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Achtung auf die kleinen Füchse!

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Balkan der Welt: Als solcher erweist sich immer mehr, in diesen Jahren, Nordafrika und die mit ihm zusammenhängenden Gebiete. Das Geheul in der Wüste verstummt nicht. Kaum schweigen die Panzer in Aegypten und Israel, erdröhnt es von neuem: diesmal waren es britische Düsenjäger, die dem Sultan von Maskat und Oman am Südostrand der arabischen Halbinsel Schützenhilfe leisteten gegen den geistlichen Herrscher dieser Gebiete, den Imam Ghaleb ben Ali, der gegen den Sultan sich erhoben hat, und über eine kleine Armee verfügt, aus saudiarabischen Freiwilligen und ausgerüstet mit amerikanischen Waffen. Das ist der Hintergrund: faktisch kämpfen hier amerikanische Oel- interessen gegen britische Oeiherrschaft, obwohl dieser Tatbestand durch die Presse der „Alliierten” verschleiert wird. Denn die Engländer hatten im Herbst 1955 eine amerikanische Oelgesellschaft, die im angrenzenden Saudiarabien die Oelrechte besitzt, mit bewaffneter Hand zum Abzug aus einem strittigen Grenzgebiet Omans und Saudiarabiens gezwungen. Im Jänner 1956 begann eine britische Gesellschaft mit den Bohrungen in diesem „leeren Viertel”.

Wird also nun der Wunschtraum Stalins Wirklichkeit, der mit dröhnender Stimme und dämonischem Gelächter Jahre vor seinem Tode den Kampf zwischen den westlichen Alliierten „vor- aüssagte”? Die Dinge sind nicht so einfach, wie man sie gerne von Beschwichtigungsrednern der westlichen Welt dargestellt bekommt. (Merkwürdigerweise sind das dieselben Herren, die uns Tag für Tag versichern, daß die Tag für Tag stattfindenden Atombombenversuche keinerlei gefährliche Folgen für Wetter und Gesundheit von Pflanze und Mensch besitzen …)

Die ernste Wirklichkeit ist dies: viel wichtiger als die eben von mancher Seite so stark in den.Vordergrund berufene europäische außenpolitische Einigung wäre die wirkliche weltpolitische Abstimmung zwischen Amerika und Europa dort, wo die Interessen widereinander stehen. Nasser ist, im Letzten, auch ein Produkt dieser Uneinigkeit. Das haben englische und französische Staatsmänner den Amerikanern klar ins Gesicht gesagt. Und es ist kein ganzer Trost, daß die Amerikaner als Gegengewicht gegen Nassers Weltmachtpläne das Königreich Saudiarabien protegieren. Und, um einem in dieser Sache unverdächtigen Manne das Wort zu geben: „Die Könige der Welt sind alt, und werden keine Erben haben”, wenn dieses Wort Rilkes gilt, dann gerade für die feudalen Herren und Scheichs des Nahen und auch Ferneren Ostens, die heute, zwischen Korea und Saudiarabien, nur mit amerikanischer Hilfe ihre vorsintflutlichen Regime halten können.

Wenn es nicht in absehbarer Zelt zu einer neuen, konstruktiven amerikanischen Politik in diesen Räumen kommt, dann macht sich der ganze Westen mitschuldig an deren weiterer Balkanisierung, das aber heißt zu deutsch: Es kann da zu keiner politischen und gesellschaftlichen Freiheit, Sicherheit, und zu keiner friedlichen und fortschrittlichen Entwicklung kommen, weil eben immer neue Gruppen mit den von den Großmächten gelieferten Waffen zum Kampf antreten: im eigenen Interesse und im falsch verstandenen Interesse ihrer Waffenlieferanten. Es ist verständlich, daß diese Situation mit tiefer Befriedigung aufgenommen wird: von Moskau und vom Weltkommunismus.

Ein warnendes Fanal, auch dieses an die Adresse der Amerikaner gerichtet, ist soeben in Tunesien gegeben worden: Hier wurde die Dynastie des Beis von Tunis, die seit 1707 regierte, abgesetzt, und der ehrgeizige Premierminister Hagib Burguiba zum ersten Präsidenten „gewählt”. Wir können schwer beurteilen, inwieweit französische Klagen stimmen, die die Veränderungen, die blutigen Kämpfe in ganz Nordafrika einerseits mit Nasser, anderseits mit amerikanischen Interessen in Verbindung bringen, und die Amerika anklagen, seinem Kapital in Nordafrika auf diese Weise einen äußerst wichtigen Raum erobern zu wollen. Wobei NATO-Flugplätze und andere Alliierten-Anlagen in Afrika diesen Vorstoß noch decken und abschirmen sollen … Mag hier französische Sorge und Ueberanstrengung den Blick überschärfen, eines ist doch Tatsache: die unbedingte Treue Eisenhowers zu seinen Alliierten — und, daneben, die unerbittliche Härte, mit der private amerikanische Mächte und Wirtschaftsgruppen ihre Interessen durchzusetzen trachten. Eine gewisse Machtlosigkeit des Präsidenten wurde ja vor kurzem mehrmals sichtbar, zuletzt zum Beispiel, als er gezwungen wurde, seine Einladung an Marschall Schukow zu widerrufen.

Gerade diese Kampagne erhält eine eigentümliche Beleuchtung, wenn man bedenkt, daß die Balkanisierung Afrikas und anderer wichtiger Wirtschaftsräume in anderen Kontinenten nur so lange besteht, als es zu keiner politischen Absprache zwischen Amerika und Rußland kommt. Dann fallen nämlich riesige Jagdgebiete weg, müssen anderen (in diesem Falle den Engländern und Franzosen) überlassen werden.

Die richtige Erkenntnis der neuen weltpolitischen Situation, die dadurch geschaffen wurde, daß die führenden Staatsmänner und Generalstabschefs der Weltmächte heute wissen, daß der Weltkrieg kein lohnendes Geschäft sein kann, deshalb vermieden werden muß, muß also, leider, immer wieder ergänzt werden durch die andere Tatsache: für „kleinere Leute”, die immerhin einige Hundert Millionen investieren können, ist der „kleine Krieg” immer noch ein lohnendes Geschäft. Das gilt gerade auch für die Manager des Oelkrieges, die noch an ihrer klassischen Doktrin aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg festhalten: daß jeder Tropfen Oel einen Tropfen Blut wert ist. — Achtung auf die kleinen Füchse, die Füchse „mit brennenden Schwänzen” (wie der Psalm sagt). Sie zünden Feuer an, die für alle gefährlich sind.

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