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Ost-westliches Exerzierfeld

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Dieser Tage feierte die Republik Somalia den dritten Jahrestag des Staatsstreichs der Armee, durch den nach neunjähriger ziviler Verfassung die Militärs unter Führung General Mohammed Siad Barres die Macht im Lande übernahmen.

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Dieser Tage feierte die Republik Somalia den dritten Jahrestag des Staatsstreichs der Armee, durch den nach neunjähriger ziviler Verfassung die Militärs unter Führung General Mohammed Siad Barres die Macht im Lande übernahmen.

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Die Republik, die im Jahre 1960 ihre Unabhängigkeit erlangte, entstand aus der Amalgaimierung der Gebiete des ehemaligen Britisch-Somaliland und des italienischen Treuhandgebietes Somalia. In diesem Land, das zweieinhalbmal so groß ist wie die deutsche Bundesrepublik, lebt ein Nomadenvolk von 2,6 Millionen. In dem kargen, von der feuchtheißen Küste ansteigenden semiariden Hochland führen die Somalis ein hartes Leben, auf der Suche nach Wasser und Weideland umherziehend wie ihre Vorfahren seit Hunderten von Jahren. Gemeinsame uralte Geschichte, gemeinsame Sprache (die allerdings bis auf den heutigen Tag nicht die Schrift besitzt, deren Schaffung das vorrangigste kulturpolitische Ziel der Regierung ist), gemeinsame Religion (der Islam ist Staatsreligion) — all dies hat Somalia zur einzigen echten Nation Afrikas südlich der Sahara gemacht. Der brennende Nationalstolz der Somalis hat dem Kontinent die einzige echte Irredenta beschert — im Grenzgebiet mit Kenia ist daraus Mitte der sechziger Jahre ein Krieg geworden.

Die Somalis fühlen sich weder als Schwarzafrikaner noch als Araber. Doch ebensowenig wie man Somalia dem afrikanischen oder dem arabischen Kulturkreis einwandfrei zuordnen kann, ebensowenig läßt sich diese Republik ohne Vorbehalt in das Schema „östlich orientiert“ und „westlich orientiert“ eingliedern, das man bei der Beurteilung der politischen Lage afrikanischer Staaten so gerne anwendet. Der Einfluß des Ostens ist allerdings groß, sowohl jener Moskaus als auch jener Pekings. Dennoch ist Somalia kein kommunistisches Land, auch nicht unter dem Militärregime General Siads, unter dem Somalia sich zunehmend enger an Moskau anlehnt. Es ist vielmehr so, daß Somalia, ein bitterarmes Land, eines der ärmsten

Afrikas, von internationaler Hilfe abhängig ist und sich diese Hilfe dort holt, wo sie am großzügigsten angeboten wird.

Die Zivilregierungen hatten die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes nicht meistern können. Die Militärregierung versprach, die Wirtschaft des Landes zu kurieren. Doch nach nunmehr drei Jahren Militärregime hat sich die triste wirtschaftliche Lage Somalias, das über keine nennenswerten Bodenschätze verfügt, und dessen karger Boden nur wenig hergibt, kaum gebessert. Vier Fünftel der Bevölkerung leben auf dem Existenzminimum. Und wenn — wie im Vorjahr — der Regen ausbleibt, so bedeutet das eine nationale Katastrophe. Deshalb wurden im Vorjahr auch alle Feiern anläßlich des Jahrestages der Revolution abgesagt.

Somalia wird sich auch in Zukunft kaum aus seiner Abhängigkeit von ausländischer Hilfe befreien können. Diese Abhängigkeit macht das Land zum Exerzierfeld des Ost-West-Konfliktes — des Wettkampfes um politischen Einfluß und um Geschäft. Dieser Kampf wird heute in Afrika mit den Waffen der Entwicklungshilfepolitik ausgetragen.

Seit der Rückkehr von seinem Besuch in Moskau, Ende des vergangenen Jahres, hat Siad begonnen, Somalia eine politische Philosophie zu geben. In groß angelegten Propagandafeldzügen ist das Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung bemüht, der Bevölkerung den „wissenschaftlichen Sozialismus“ Siad-scher Provenienz zu erläutern und sie in seiner Anwendung zu unterweisen.

In der Praxis bedeutet für Siad „wissenschaftlicher Sozialismus“ die Harmonisierung der lokalen Gegebenheiten und Traditionen mit den Erfahrungen des internationalen Sozialismus. Den lokalen Gegebenheiten und Traditionen Rechnung tragen, heißt im Konkreten Rechnung tragen der Stärke und dem Einfluß des Islam ebenso wie der Schwäche der Wirtschaft und der besonderen sozio-ökonomischen Struktur des Landes.

Mit der Konsolidierung der Macht und der Schaffung eines wirtschaftspolitischen Gesamtkonzepts, das im neuen Drei jahresplan der Regierung festgelegt wurde, begann die Militärregierung seit dem Ende des vergangenen Jahres eine rege außenpolitische und diplomatische Aktivität zu entfalten.

Die ost- und zentralafrikanische Gipfelkonferenz, auf der Somalia in der Frage Südafrika eine besonders radikale Haltung einnahm, demonstrierte Somalias wachsendes Engagement in panafrikanischen Angelegenheiten. Im Frühjahr 1971 war bereits eine Annäherung an die Nachbarstaaten Kenia und Äthiopien erfolgt, mit denen die Beziehungen wegen der Frage der in den beiden Ländern lebenden somalischen Minderheiten gespannt waren. Und vor wenigen Wochen fungierte Somalia auch erfolgreich als Vermittler im bewaffneten Konflikt zwischen Uganda und Tansanien.

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