Werbung
Werbung
Werbung

Wie ihre alten Vorgänger brauchen moderne Piraten sichere Rückzugsorte, schreibt die „Süddeutsche“, und fordert UN-Einsätze für kaputte Staaten.

Sie heiraten die schönsten Mädchen, leisten sich beste Häuser, Autos und jede Menge Drogen. Für ein paar Banditen ist der Überfluss zurück in Somalia, wo der Bürgerkrieg schon so lange tobt, dass man gar nicht mehr weiß, wann er eigentlich angefangen hat. Sie verdienen an all den Waren, die vor ihrer Küste auf Frachtern und Tankern vorbeiziehen. Somalias Piraten haben in diesem Jahr Luxusjachten und Handelsschiffe gekapert, ein Boot aus der Ukraine, voll beladen mit Panzern, und jetzt, als fehlte noch der letzte Beweis ihrer Räuberkunst, die saudische Sirius Star mit Rohöl im Wert von 100 Millionen Dollar. Nie zuvor ist ein Schiff dieser Größe in die Hände von Kidnappern geraten, und im Golf von Aden kommt das Geschäft jetzt erst richtig in Fahrt. […]

Doch die Piraterie am Horn von Afrika ist mehr als das Unwesen krimineller Seefahrer, die den Waren- und Energiefluss der Weltwirtschaft stören. Die Verbrecher können deswegen so ungeniert operieren, weil Somalia, ihr Rückzugsort, seit fast 20 Jahren ein failed state ist, ein gescheiterter, kaputter Staat. […] Die failed states sind die Ghettos des globalen Dorfes, sie sind wie jene Viertel im Schatten der Metropolen, in die sich die Polizei nicht mehr traut.

Endlich ausländische Sicherheitskräfte nach Somalia

Afghanistan ist in weiten Teilen ein kaputter Staat, in dem vor allem Terror und Rauschgift wachsen. Der Kosovo droht gerade zu zerfallen und ein Hort der Kriminalität zu werden, noch bevor er überhaupt weltweit als Staat anerkannt ist; der Aufbau durch EU und UN stockt. Länder wie Kolumbien oder Pakistan sind dem Zerfall unterschiedlich nah, aber nie ganz fern.

Somalia ist von allen das kaputteste Gebilde. Der Sondergesandte der UN hat im Sommer an den Sicherheitsrat appelliert, endlich ausländische Sicherheitskräfte ins Land zu schicken oder gar eine Blauhelm-Truppe. Die Welt ist allerdings nicht bereit, sich ein weiteres Mal nach Somalia zu wagen. Internationale, auch amerikanische Truppen sind 1993 regelrecht aus Mogadischu vertrieben worden, lange blieb in Erinnerung, wie ein Mob die Leiche eines US-Soldaten durch die Stadt schleifte. […]

Rückzug der Welt hat sich hier so wie immer gerächt

Dieses „disengagement“, dieser Rückzug der Welt, hat sich gerächt, wie er dies fast immer tut. In Somalia ist fast jeder Zweite auf Nahrung aus dem Ausland angewiesen, Clans und Stämme bekriegen einander, und jetzt erfasst die Gesetzlosigkeit auch eine der wichtigsten Schifffahrtsstraßen der Welt. Es ist wie in den großen Städten mit ihren Armenghettos: Irgendwann schwappt die Gewalt auch auf die besseren Gegenden über, dann trauen sich auch die Wohlhabenden abends nicht mehr auf die Straße. Kaputte Staaten behalten ihr Chaos nie für sich. Im Fall Afghanistans hat die Welt dies erst am 11. September 2001 begriffen; da zeigte sich, was in den Terrorlagern al-Qaidas herangereift war.

Diese Länder zu stabilisieren ist teuer, aufwendig und dauert sehr lang. Allerdings gibt es keine Alternative. Mag in den failed states auch sonst nichts gedeihen: Terrorismus, Kriminalität und Piratentum tun es in jedem Fall. Somalia braucht deswegen ein weiteres Mal Hilfe der UNO. Blauhelme und UN-Polizisten müssen dem Land helfen, die Staatsgewalt wieder aufzubauen: Gerichte und Gefängnisse, vor allem eine Polizei, die Piraten verfolgt und verhaftet, die Geld, Autos und Waffen beschlagnahmen kann.

Ein paar westliche Schiffe vor der Küste jedenfalls werden nichts ändern, dafür ist das Gewerbe der Seeräuber zu einfach und zu lukrativ. Die Angriffe werden erst abebben, wenn Somalia wieder ein Staat ist, der diesen Namen verdient.

Süddeutsche Zeitung, 19. November 2008

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung