"Netzwerke der Piraterie"

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Seeräuber suchen die großen Handelswege der Schiffahrt heim. Österreichs einziger Seerichter über die Kriminalität auf den Weltmeeren und ihre Zukunft.

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Seeräuber suchen die großen Handelswege der Schiffahrt heim. Österreichs einziger Seerichter über die Kriminalität auf den Weltmeeren und ihre Zukunft.

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Helmut Türk war Österreichischer Botschafter in den USA und wurde als Experte des internationalen Seerechts 2005 Richter und Vizepräsident des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg. Sein Mandat endet im April.

Die Furche: Sie sind seit den 70er-Jahren mit internationalem Seerecht befasst. 2009 haben Sie einen vielbeachteten Artikel über die Piraterie geschrieben und 2013 aktualisiert. Piraterie an den internationalen Seewegen - ist das ein unlösbares Problem?

Helmut Türk: Wenn wir uns die Statistiken ansehen, dann hat sich die Situation doch geändert. Im Jahr 2010 gab es weltweit 444 Überfälle, 2013 nur noch 264. Der wesentliche Rückgang ist auf den internationalen Marine-Einsatz gegen die somalischen Piraten vor dem Horn von Afrika zurückzuführen, darüber hinaus gibt es vermehrt private Sicherheitsteams, die die Schiffe bewachen, und die Situation in Somalia selbst hat sich verbessert. Es gibt aber keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Die Situation kann sich auch schnell wieder ändern.

Die Furche: In Deutschland gab es Prozesse gegen Piraten. Das ist deutlich zurückgegangen.

Türk: Jetzt gibt es bilaterale Überstellungsabkommen mit Anrainerstaaten, also etwa mit Kenia und den Seychellen, in denen ein ordentliches Gerichtsverfahren garantiert wird, Folter und die Todesstrafe ausgeschlossen sind. Freilich haben diese Prozesse auch einige Probleme aufgezeigt. Zum Beispiel war es üblich, die Piraten zu entwaffnen und die Waffen zu zerstören oder einfach ins Meer zu werfen. Bei Prozessen in Kenia stellte sich heraus, dass man mit den Waffen ja auch die Beweismittel vernichtet hatte, und die Verteidiger der Piraten also leicht sagen konnten, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass die Angeklagten tatsächlich Piraten sind.

Die Furche: Wie gut sind Seeräuber organisiert?

Türk: Wir wissen von regelrechten Netzwerken. Im Jemen gibt es Beobachter, die die Bewegungen der Schiffe und die Destination genau festhalten, die dann an die ausführenden Räuber weitergemeldet werden.

Die Furche: Was bringt Seeräuberei den modernen Piraten eigentlich ein?

Türk: Auf dem Höhepunkt der Piraterie vor Somalia haben sie für ein Schiff bis zu fünf Millionen Dollar verlangt. Es soll auch ein differenziertes System der Beute-Aufteilung gegeben haben. Vom Lösegeld gingen angeblich 30 Prozent an die Bosse, 30 Prozent dienten der Beamtenbestechung, 20 Prozent wurden für künftige Aktionen gespart, nur 10 Prozent gingen an das ausführende Raubkommando.

Die Furche: Gerade bei Somalia geht es ja auch um die soziale Notlage der Bevölkerung , die aus Fischern Piraten macht. Gibt es denn in den Strategien gegen die Piraterie auch eine soziale Dimension , die solche Umstände in Betracht zieht?

Türk: Es ist richtig, dass die Fischereigründe vor Somalia von fremden Fischereiflotten leergefischt wurden. Dazu kam noch die politische Instabilität. Ein Teil der Seeräuber sind ehemalige Fischer oder ehemalige Angehörige der Küstenwache. Man kann letztlich auch Piraterie nur an Land bekämpfen, um sie wirklich auszumerzen.

Die Furche: Im Mittelmeer gab es schon Piratenstaaten, die die Piraterie als ihre gesellschaftliche Lebensgrundlage betrachtet haben und dabei sehr erfolgreich werden, wie etwa Monaco?

Türk: Ja, das ist aber schon sehr lang her. Diese Staaten sahen sich ja teilweise auch im Kriegszustand mit europäischen Staaten. Es gibt eine Geschichte, in die auch die österreichische Marine involviert ist. Im späten 19. Jahrhundert bombardierte sie marokkanische Küstenstädte, weil Piraten mit Wissen des Sultans ein österreichisches Handelsschiff gekapert hatten. Die Bombardements dauerten so lange, bis der Sultan nachgegeben hat. Österreich ist übrigens eines der wenigen Länder Europas, in dem es noch den Straftatbestand des Seeräubertums gibt. Das gilt allerdings nur für Schiffe unter österreichischer Flagge.

Die Furche: Aber wieviele österreichische Handelsschiffe gibt es denn auf den Weltmeeren?

Türk: Derzeit keine mehr, weil das Schifffahrtsregister vor Kurzem geschlossen wurde.

Die Furche: Zurück zum Beginn: Können Sie sich vorstellen, dass die Piraterie einmal ausstirbt?

Türk: Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Man sieht das auch heute. Der Rückgang der Piraterie vor Somalia ist erfreulich, auf der anderen Seite steigen die Überfälle im Golf von Guinea. Diese Region ist der neue Brennpunkt der Piraterie. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zu den Piraten vor Somalia. Vor der somalischen Küste ging es hauptsächlich darum, Lösegeld zu erpressen. Im Golf von Guineas sind die Piraten brutaler und schonen Menschenleben nicht.

Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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