Piraten als Vorbilder

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Die Seeräuberei vor der Küste Somalias stellt die Militärmarine vor kaum zu lösende Probleme. Nun werden die Piraten auch ökonomische Vorbilder.

Immer häufiger geschieht es, dass zwischen der Welt militärischer Vorstellung und jener des gelebten Alltags deutliche Lücken klaffen. Auf der einen Seite werden große militärische Strategien aus der Taufe gehoben, die militärischen Innovationen finden auch unter zusammenbrechenden Budgets noch reißenden Absatz, die militärischen Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Doch dann geraten die Heerführerfantasien unversehens ins Wanken. Unter anderem durch Männer, die in Holzbooten mit Außenbordmotoren, ein paar Maschinenpistolen und einfachen Walkie-Talkies oder Mobiltelefonen ausgerüstet mit einer hochgerüsteten Flotte Katz und Maus spielen.

Dies exerzieren jene Piraten vor, welche vor Somalia ihr Unwesen treiben und dem globalen Waren- und Touristenverkehr ein räuberisches Bein stellen. In der Tat hat auch der koordinierte Einsatz einer ganzen Marine-Flotte am Horn von Afrika kaum nennenswerten Erfolg gehabt, abseits von der Verhaftung und Verurteilung einer Handvoll Seeräuber.

Im Internet werden die Somalis gar als Helden gefeiert, mit der schadenfrohen Analyse, sie hätten die von europäischem Kolonialismus, Diktatur und Ausbeutung gezeichnete Tragödie ihres Landes aufgenommen und an jene Welt zurückgegeben, die sie verursacht hat. Das hat auch seine innere Logik: Am Anfang der Piraterie standen schließlich Fischer, denen die globalisierten Fischfangflotten die Küstengewässer leerfischten. Die Piraterie ist so gesehen die Revanche für den Entzug der Lebensgrundlage. Mittlerweile sind zwar die Fischbestände in der Gegend erholt, aber nun haben die Fischer an der Seeräuberei merklich Freude gefunden.

Millionengeschäft Seeräuberei

Warenverkehr als auch Fischfangaktivitäten zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean sind, wenn nicht zum Erliegen gekommen, so doch deutlich eingeschränkt - und trotzdem finden die Piraten noch immer genug Beute und damit ein reiches Auskommen. Ein paar Zahlen dazu: Die Zahl der Angriffe auf internationale Schiffe ist zwischen 2004 und 2008 von fünf auf 65 gestiegen. Allein in der ersten Hälfte 2009 waren es dann schon 224.

Seit dem vergangenen Jahr sind die findigen Piraten auch dazu übergegangen, einen Ur-Kapitalismus zum Wohle piratischer Gemeinschaft zu entwickeln. Sie haben eine Börse ins Werk gesetzt, mittels derer man sich an den Piratenunternehmen als Anteilseigner beteiligen kann. Investiert werden kann in 75 Piraterieunternehmen. In etwa 30 Prozent der Fälle geht ein Unternehmen mit Abermillionen Gewinn zu Ende, von dem die Banditen der Meere dann ebenso profitieren wie die Investoren. "Ich habe damit binnen eines Monats 75.000 Dollar gemacht", berichtete ein überglückliche 22-jährige Somalierin einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters, der in die nordsomalische Stadt Harardheere gereist war, um Gerüchten vom sagenhaften Reichtum der Bewohner nachzugehen. Er fand diesen Reichtum tatsächlich. Wo früher Hunger herrschte, fahren heute Menschen mit dicken SUVs durch die Gegend. Und das alles durch Raub.

In den vergangenen Monaten wurden gar Fälle bekannt, in denen die Piraten nicht nur Lösegeld für die gekaperten Schiffe erpressten, sondern die Ladung im Hafen von Mogadischu gleich selbst verkauften. Im April vergangenen Jahres etwa scheiterten die Lösegeldverhandlungen mit dem jemenitischen Eigentümer eines Tankers, der Diesel geladen hatte. Als die Piraten das Schiff wenig später freigaben, war die Ladung verschwunden. Schaden: Zehn Millionen Euro. Solche Strategien haben die Piraten nun auch über die Grenzen des somalischen Elends hinaus als Erfinder einer erfolgreichen Unternehmensstrategie bekannt macht.

Der britische Wirtschaftsprofessor David James hat gemeinsam mit einem Colonel der königlichen Marine, Paul Kearney die Strategien der Piraten als mögliches Vorbild für neue Unternehmensstrategien untersucht. Ergebnis: Die Taktik sei sehr empfehlenswert.

"Jahrhundertelang haben militärische Strategien die Handlungsweisen in Unternehmen geprägt", so David James, "doch die Piraten, aber auch Terrorgruppen wie Al Kaida haben die Kriegsführung revolutioniert." Wie? Die Zeit der symmetrischen Kriegsführung, bei der größere Heere einander in Feldschlachten gegenüberstehen, sei vorbei. Kleine, flexible und vor allem aggressive Einheiten prägen nun die Kriege in Afghanistan, dem Irak - und auch die Raubzüge der Piraten vor der somalischen Küste. Was Unternehmer daraus lernen könnten, beantwortete James, der auch Management an der Universität von Henley lehrt, wie folgt: "Kleine Unternehmen, die sich in Marktnischen festsetzen, können große Mitbewerber in Bedrängnis bringen."

Wider die Giganten

Als Beispiel nennt der Ökonom den Spielkonsolenhersteller Nintendo, der sich gegen Giganten wie Sony und Microsoft durchsetzte, oder kleine englische Banken wie die Wonga-Bank, die mit einem neuen Geschäftsmodell den Marktführern Privatkunden abspenstig machen. "Etablierte Banken arbeiten von neun bis 17 Uhr mit hohem bürokratischem Aufwand. Sie entziehen den Kunden über Kredite, Zinsen und Gebühren für Kontoführung oder Kreditkarten viel Geld. Die kleinen Mitbewerber dagegen arbeiten außerhalb der Bürozeiten, Überweisungen dauern nicht Tage, sondern Minuten, bürokratische Nebenkosten gibt es kaum." Aus ihrem Ansatz haben die beiden Autoren den Begriff "Corporate Insurgents" gebildet und füllen damit derzeit nicht nur die Hörsäle, sondern auch internationale Wirtschaftsmagazine wie den Economist. Ihr streng militärisches Motto für die Hörer lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Revolt or Die".

Die Piraten vor Somalia sind solchen brachialen Slogans weit voraus. Sie haben seit geraumer Zeit den großen Fischschwärmen die Taktik abgeschaut: Unlängst griffen über 20 Schnellboote einen von einer indischen Fregatte begleiteten Gastanker an. Die Fregatte konnte nicht alle Kaperversuche zur gleichen Zeit abwehren. Das Lösegeld für den Tanker samt 13 Mann Besatzung: 6 Mio. Dollar.

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