Aus allen Himmelsrichtungen LebensgefAHr

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somalia hat viele Fluchtgründe: Hungersnot, Dürre, terror und Piraterie lassen die einheimische Bevölkerung seit vielen Jahren verzweifeln. Im steirischen Weiz finden junge somalier Zuflucht und erzählen ihre Geschichte.

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somalia hat viele Fluchtgründe: Hungersnot, Dürre, terror und Piraterie lassen die einheimische Bevölkerung seit vielen Jahren verzweifeln. Im steirischen Weiz finden junge somalier Zuflucht und erzählen ihre Geschichte.

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Mit verhaltener Stimme spricht Dallah Ahmed. Der junge Mann überlegt lange, wenn man ihn über die dramatische Situation in Somalia befragt. Der Hunger hat sein Land im Griff. Die Regenzeiten blieben in den letzten zwei Jahren aus und die Dürre rafft Viehbestände und Ernten dahin. Im steirischen Weiz, nördlich von Graz, hat Dallah Ahmed eine neue Heimat gefunden.

Ahmed kam 2014 nach Österreich und suchte um Asyl an. Die Lage in seiner Heimat beschreibt er so: "Die aktuelle Situation ist die schlimmste in der Geschichte. Mehr als sechs Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht und haben alles verloren was sie im Leben haben." Diese Zahlen werden von der UNO bestätigt. Sie warnt, dass 360.000 Kinder unterernährt und davon 70.000 in akuter Lebensgefahr schweben.

Ein überforderter Staat

Durch den Kontakt mit Freunden und seiner Familie in Somalia ist Ahmed gut über die Lage informiert. "Die Menschen suchen in Somalia nach ihren Familien. Die anderen Menschen, die von Hunger betroffen sind, versuchen in der Stadt Arbeit zu bekommen."

Der Staat ist mit der Situation überfordert. Das Land stürzte 1991 nach dem Sturz des somalischen Machthabers Siad Barre in einen Bürgerkrieg. Seitdem gibt es keine funktionierende Zentralregierung mehr.

Die schwachen Behörden des Bundesstaates kämpfen indes einerseits mit Unabhängigkeitsbestrebungen einiger seiner Regionen im Norden und müssen andererseits im Süden die Terroristen der islamistischen Miliz Al-Shabaab vertreiben. Dieser Verlust von staatlicher Kontrolle und Organisation macht Somalia letztlich auch zu einem gescheiterten Staat.

Dallah Ahmeds Flucht hat auch mit der Terrormiliz zu tun gehabt: "Die Gruppe kontrolliert die Lage und wir mussten uns an ihre Regeln halten. Du musst dir die Haare gleich schneiden wie Al-Shabaab, sonst schneiden sie dir den Kopf ab. Sie wollen das Gesetz der Scharia durchsetzen. Aber die Leute benehmen sich nicht wie Al-Shabaab es will", so Ahmed.

Die Terrormiliz verfolgt das Ziel einen islamischen Staat zu errichten. Die Gruppe gilt als regionaler Ableger der Terrororganisation Al-Qaida. Sie war auch der ausschlaggebende Grund für Ahmeds Entschluss zur Flucht aus seiner Heimat: "Mein Leben war durch die Terrormiliz in Gefahr. Al-Shabaab verliert an Stärke in Somalia. Soldaten der Terrormiliz kommen immer wieder und wollen neue Soldaten rekrutieren."

Im Norden, in der Region Puntland, erobern und entführen somalische Piraten Schiffe und erpressen Lösegeld für die Freilassung der Besatzungen. Was ursprünglich als bewaffneter Protest von einheimischen Fischern gegen die großen internationalen Fangflotten begann, entwickelte sich rasant zu einem lukrativen Geschäft vor den Gewässern des Horns von Afrika.

Piraterie und Militäraktion

Da die somalische Regierung kaum Mittel für eine effektive Bekämpfung der Piraterie aufbringen kann, übernehmen andere Staaten den Schutz der Schifffahrtsrouten im Indischen Ozean und im Roten Meer. Seit dem Jahr 2011 sind Piratenangriffe stark zurückgegangen. Im Zuge der Operation Atlanta der Europäischen Union konnten viele Angriffe auf Schiffe und Hilfslieferungen verhindert werden. Die Mission läuft noch bis Ende Mai 2017.

Wie man die Situation auch zusammenfassen kann: In Somalia droht aus allen Himmelsrichtungen Lebensgefahr. Diese Zustände treiben viele Menschen in die Flucht und so auch Dallah Ahmed. In Weiz hat er eine neue Heimat gefinden. Seit einigen Wochen teilter sich die Unterkunft mit zwei weiteren jungen somalischen Flüchtlingen. Musa Mohamed Yusuf (20) und Mohammad Mahamud (18) bewohnen gemeinsam mit Ahmed ein Haus in Weiz. Neben ihren Betreuern ist der Theologe Fery Berger, der Leiter der Bewegung "Way of Hope", welche sich für Flüchtlingsprojekte engagiert, ihr wichtigster Ansprechpartner.

Die Erfahrungen von Yusuf und Mahamud über ihre Flucht nach Österreich zeigen die Wege vieler anderer tausender Flüchtlinge aus Afrika. "Von Mogadischu kam ich über den Iran in die Türkei, danach nach Serbien, Ungarn und später nach Österreich. In meiner Zeit in der Türkei hatte ich niemanden, der mir geholfen hätte. Die größten Probleme hatte ich in Griechenland. Manchmal wusstest du einfach nicht, wo du einen Platz zum Schlafen finden konntest. Zwei Monate habe ich im Freien geschlafen", sagt Musa Mohamed Yusuf.

Abenteuerlich erscheint die Geschichte von Mohammad Mahamud über seine Flucht nach Österreich: "Mit einem Schlauchboot bin ich in den Jemen geflohen. Danach durch die Wüste nach Libyen. Libysche Soldaten haben mich gekidnappt und ich musste dreitausend Dollar bezahlen."

Die Flucht als Erpressungsfalle: "Wenn du gefasst wirst, musst du deine Familie anrufen, damit sie dir Geld überweisen, dann bleibst du am Leben. Wenn du aber kein Geld hast, dann stirbst du dort", erzählt der junge Mann über die Geschäfte mit der Flucht. Gleichzeitig bringt Dallah Ahmed die Situation auf den Punkt: "Als Fremder in Libyen bist du ein Geschäft, du bist ein Selbstbedienungsladen. Jeder kommt und nimmt etwas von dir."

Zu seinem neuen Leben in Österreich macht sich Dallah Ahmed viele Gedanken: "Österreich gefällt mir sehr gut. Du hast viele Fragen im Kopf und dabei bist du ein Mensch, der etwas tun möchte. Immer wieder warten. Samstag, Sonntag, unter der Woche alles ist gleich und es gibt keinen Unterschied."

Way of Hope

Gemeinsam mit Fery Berger wollen die drei jungen Flüchtlinge den Menschen in Somalia helfen. Daher gründeten sie "Way of Hope for Somalia", um Geld für von der UNICEF gestaltete Projekte zu sammeln und den Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben.

Pläne für die Zukunft gehen auch Dallah Ahmed ständig durch den Kopf: "Zuerst möchte ich meine Sprache verbessern. Dann würde ich gerne eine Arbeit oder eine Ausbildung beginnen. Als Kind war mein Traum Sprachen zu studieren. Aber es schaut im Moment nicht so gut aus." Anfang dieser Woche hat Ahmed seinen Asylbescheid erhalten: negativ.

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