Demo Ägyptische Botschaft - © Foto: Zsófia Bacsadi

Ägypten: Das Schicksal eines Wiener Studenten

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Vor 11 Jahren begann die ägyptische Revolution. Davon ist nichts geblieben. Das Schicksal eines in Kairo verhafteten Wiener Studenten steht für viele und sorgt für Proteste.

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Vor 11 Jahren begann die ägyptische Revolution. Davon ist nichts geblieben. Das Schicksal eines in Kairo verhafteten Wiener Studenten steht für viele und sorgt für Proteste.

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Senf und Oliven stehen noch im Kühlschrank, als Lilly gemeinsam mit einer Kommilitonin Ahmeds Zimmer ausräumt. Die Verwaltung des Wiener Studierendenwohnheims Base 11 hatte ihnen mitgeteilt, sie könnten das Zimmer nicht länger wie ein abgesperrtes Museum ungenutzt lassen. Die zwei Frauen verpacken Ahmeds Kleidung, Bücher, Fotos und Porträts, die seine Verlobte Souheila von ihm gezeichnet hatte.

Ein Jahr ist es nun her, dass Ahmed in Ägypten im Gefängnis sitzt. Ahmed fliegt im Dezember 2020 nach Ägypten. Er will dem frostigen Wiener Lockdown entfliehen, vermisst die Sonne in seiner Heimat, die Straßen und Gerüche Kairos.

Will seine Familie und Freund(inn)e(n) wiedersehen und Interviews für seine Forschung zu Abtreibungsrechten in Ägypten führen – seit er miterlebt hat, wie eine Freundin von ihm auf illegalem Weg abtreiben musste, lässt das Thema ihn nicht mehr los. Er will dazu promovieren, studiert Soziologie und Anthropologie an der renommierten Central European University (CEU).

Festnahme und Hausdurchsuchung

Am Flughafen in seinem Heimatland angekommen, halten die Behörden ihn drei Stunden fest. Sie befragen ihn zu seiner Forschung und seinem Leben in Österreich. Schließlich lassen sie ihn gehen.

Einige Wochen später brechen schwer bewaffnete Sicherheitskräfte ohne Durchsuchungsbefehl in das Haus seiner Familie in Kairo ein und konfiszieren Aufnahmen der Überwachungskameras im Haus. Am ersten Februar wird er aufs Polizeirevier im Stadtteil El Tagamoa El Khamis bestellt. Ahmed erscheint zusammen mit seinem Vater, aber der muss draußen bleiben. Als sein Sohn nach Stunden nicht wiederkommt, kehrt er schließlich alleine nach Hause zurück.

Wenige Tage nach Ahmeds spurlosem Verschwinden verliest die Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit schließlich die unspezifisch formulierte Anklage: Gegen ihn werde wegen Kontakten zu Terrororganisationen und der Verbreitung von Fehlinformationen ermittelt. Gemeint sind damit wahrscheinlich zwei Facebook-Posts, in denen er die ägyptische Corona-Politik kritisierte.

Lilly sitzt im Online-Seminar, als jemand in die Whatsapp-Gruppe des Soziologie-Jahrgangs schreibt: Ahmed ist verschwunden. Wie betäubt beendet sie das Seminar und läuft an die frische Luft, weiß nicht, wohin mit sich. „Noch am selben Abend haben wir angefangen, uns zu organisieren.“ Der Grund für seine Festnahme seien sein heikles Forschungsthema und seine kritische Perspektive, glauben sie. Aber vielleicht auch einfach Pech.

Seine Ankunft im Land fällt mit den Aufständen des Arabischen Frühlings vor genau einem Jahrzehnt zusammen. Auf ägyptische Studierende, die im Ausland forschen, soll seine Festnahme wie eine Warnung wirken, nicht regimekritisch zu agieren. Ahmeds Studienkolleg(inn)en, alle eng miteinander befreundet, wollen für ihn kämpfen.

Aber was unternimmt man eigentlich, wenn einer plötzlich schuldlos im ägyptischen Gefängnis verschwindet? Sie beginnen, sich zu vernetzen, wollen Ahmeds Familie, seine Verlobte Souheila und die Anwälte unterstützen. Zu diesem Zeitpunkt ist schon bekannt, dass Ahmed in der Untersuchungshaft gefoltert wurde. Nehmen Kontakt zu Amnesty International auf, setzen sich mit Journalist(inn) en in Verbindung, posten auf Social Media. Erstellen Petitionen – sogar die berühmte Philosophin Judith Butler unterschreibt. Schreiben Emails an Politiker(innen), weltweit. Nur wenige antworten.

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