Wie pluralitätsfähig ist der Islam eigentlich? Und wie offen ist der Islam gegenüber anderen Religionen? Diese Fragen können wir nicht pauschal beantworten, denn es gibt unterschiedliche Auffassungen von der Pluralitätsfähigkeit des Islams. Ich möchte dies an der Frage nach der Erlaubnis, Kirchen in islamischen Ländern zu bauen, erläutern. Vorige Woche fand eine Tagung in Kairo zum Thema "Der Islam und der Westen" statt. Der Großmufti des Landes, Schauqi Allam, betonte das, was er zuvor auf der Homepage des Mufti-Amtes als offizielle Fatwa mit der Nummer 4121 veröffentlicht hat: "Kirchen in islamischen Ländern zu bauen, ist nicht nur erlaubt, sondern gehört zur Erfüllung des göttlichen Auftrages an den Menschen, die Erde zu bebauen." Er erinnerte an den Koran-Vers, der zur Verteidigung und Bewahrung nicht nur von Moscheen, sondern von anderen Gotteshäusern aufruft: "Würde Gott nicht die einen Menschen durch die anderen abwehren, würden Synagogen, Kirchen, Gebetsstätten und Moscheen zerstört, in denen des Namens Gottes viel gedacht wird. Gott hilft gewiss dem, der ihm hilft."(22:40) Gleichzeitig lesen wir die Fatwa des Großmuftis von Saudi-Arabien, der Bau von Kirchen in islamischen Ländern sei nicht erlaubt. Er interpretiert die Quellen anders und sieht darin ein klares Bauverbot für Kirchen. Das eigentliche Problem besteht in der fehlenden Pluralität in einem Land wie Saudi-Arabien. Denn es gibt kaum Saudis, die selbst Christen sind. In Ägypten sind ca. 12 Prozent der Bevölkerung Christen, und das Land steht vor der Herausforderung, die nationale Identität als gemeinsamen Nenner für alle Ethnien und Religionen zu etablieren. Dort, wo Vielfalt gelebt wird, findet diese meist früher oder später auch ihren Ausdruck im Verstehen und Auslegen der Religion und irgendwann in der Selbstdefinition der Gesellschaft, in der "Einheit in Vielfalt" als Motto identitätsstiftend ist.
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