6961327-1984_49_02.jpg
Digital In Arbeit

Die Schande der Not

Werbung
Werbung
Werbung

Sie sterben in Fuchshöhlen und an Straßenrändern, in Wäldern und im rissigen Sand der ausgetrockneten Felder. In den Zawvas, den ,fläusern der Toten", türmen sich ihre von Amöbenruhr, Lungenentzündung und Gelbsucht ausgezehrten Leiber. Das Wasser des Jenaza-atabi, des Totenwäschers, ist nach Monaten das erste, das ihre Körper kühlt.

Für Hunderttausende, die von der größten Hungerkatastrophe Äthiopiens seit über hundert Jahren heimgesucht wurden, kommt dieses Wasser zu spät. Erst seit dem 23. Oktober werden aus aller Welt Hilfslieferungen ins Land geschafft.

Dieses Datum markiert einen eindrucksvollen Triumph der Femsehwirkung. Seit zwei Jahren wissen Experten um die Äthiopien drohende Hungerkatastrophe. Aber erst seit der Ausstrahlung eines erschütternden BBC-Films in England, den seither die ganze Welt zu sehen bekam, geschieht etwas.

Die Regierung des marxistischen Staatspräsidenten Mengistu Haue Mariam wollte lange keine ausländischen Fernsehteams ins Land lassen, weil man davon Vorteile auch für die Rebellen in der Provinz Eritrea und einen Ansehensverlust befürchtete.

Ein ähnlicher Prestigestandpunkt hatte Kaiser Hai-le Selassie im Dürrejahr 1973 schweigen lassen. Damals zahlten 10.000 Äthiopier mit ihrem Leben dafür. Heuer sind sieben bis zehn Millionen von einem solchen Schicksal bedroht.

Noch im September hat das neue Regime den zehnten Jahrestag der marxistischen Revolution mit kostspieligem Pomp gefeiert, ehe man Hunger bekämpfen ging. Und noch bei der Tagung der Organisation der afrikanischen Einheit in der äthiopischen Hauptstadt mußten die Privatmaschinen der eingeflogenen Potentaten an die Pistenränder geschoben werden, damit die Flugzeuge mit ausländischen Nahrungsmitteln landen konnten.

Für Millionen wird jede Hilfe zu spät kommen. Dennoch muß sie fortgesetzt, vervielfacht, von jedem von uns mitgetragen werden: weil es nach Saint Exupery zum Wesen des Menschseins gehört, im Angesichte der Not sich zu schämen.

Aber wir alle wissen: Mit Proteinsendungen ist Äthiopien (das die Hälfte seiner Exporterlöse für Waffenkäufe verwendet) uuf Dauer nicht zu helfen — und auch nicht den 30 anderen Staaten Schwarzafrikas.

Wer plant wo für das Uberleben der Millionen; denen Ideologenwahn, Machtgier und Gleichgültigkeit das Fundament ihrer Existenz entziehen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung