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Angola auf dem Ho-Tsdii-Minh-Pfad

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Die Detente wurde zur Farce. Als die „Altkolonialisten“ gingen, waren die Neokolonialisten schon mit Waffen und Kriegsberatern zur Stelle.

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Die Detente wurde zur Farce. Als die „Altkolonialisten“ gingen, waren die Neokolonialisten schon mit Waffen und Kriegsberatern zur Stelle.

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Seit Angola am 11. November 1975 unabhängig wurde, besitzt es eine Regierung und eine Gegenregierung: Die Regierung der marxistisch orientierten „Volksrepublik Angola“ mit der Hauptstadt Luanda und die Regierung der westlich ausgerichteten „Demokratischen Volksrepublik Angola“ mit der provisorischen Hauptstadt Huambo, vormals Nova Lisboa. Hinter diesen Regierungen stehen die rivalisierenden Befreiungsbewegungen.

Die Luanda-Regierung wurde von der MPLA gebildet, deren Führer, Agostinho Neto, zum Präsidenten der Volksrepublik ernannt wurde. Ihre ersten Aktionen deuten darauf hin, daß Neto das Land nach dem Muster einer osteuropäischen Volksdemokratie zu führen gedenkt. Bei der Bildung der Regierung in Huambo einigten sich FLNA und UNITA — eine Koalition zweier ehemals verfeindeter und nun in einer unstabilen Zweckehe verbundener Unabhängigkeitsbewegungen — darauf, daß ihre Regierung nur eine provisorische sei und ein Präsident erst nach Beendigung des Krieges ernannt werden solle.

Von den Kongowirren bis zum Vietnamkrieg reichen die Vergleiche, mit denen der Bürgerkrieg in Angola beschrieben wird. Tatsächlich tragen die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Erlangung der Unabhängigkeit der letzten portugiesischen Provinz in Afrika Züge sowohl der einen wie des anderen. Denn auch dieser Krieg ist längst kein „Bürgerkrieg im Busch“ mehr (wenn er das jemals war), sondern ein „imperialistischer“ Krieg, in dem die großen Machtblöcke darum streiten, das Vakuum zu füllen, das durch den Abzug der Portugiesen im südlichen Afrika entstanden ist.

Wieder verweist die öffentliche Meinung westlicher Länder darauf, „man habe es immer schon gewußt und gesagt, daß Afrika nicht reif für die Unabhängigkeit sei“. Sie trifft aber mit diesem Gemeinplatz wieder einmal in ihrem Urteil über diesen Kontinent daneben. Ohne das Eingreifen der Großmächte und anderer Staaten wäre der Konflikt zwischen den drei Befreiungsbewegungen wahrscheinlich längst beigelegt. Es gibt jedoch zahlreiche gute Gründe — wirtschaftliche, strategische und politische —, warum andere Staaten am Ausgang dieses Krieges so großes Interesse zeigen. Der Preis, um den es geht, ist sehr hoch.

Angola ist fruchtbar und reich an Bodenschätzen. Es gehört zu den wichtigsten Kaffee- und Sisalprodu-zenten der Welt. In der Ausbeutung und Erschließung seiner reichen Diamantenvorkommen, seiner Erdöl-und Eisenerzlager sind amerikanische und europäische Konzerne und Banken engagiert.

Strategisch besitzt Angola eine Schlüsselposition. So erwartet die Sowjetunion, daß sich das MPLA-Regime für ihre Militärhilfe mit Konzessionen für die Errichtung von Flottenstützpunkten erkenntlich zeigen werde. Dadurch würde Angola strategisch zum Pendant Somalias, wo russische Militärbasen den Ausgang des Roten Meeres kontrollieren. Durch die Stützpunkte' in Angola wären die Russen in der Lage, die für Europa so wichtige Kap-Route zu kontrollieren. Von allergrößter Bedeutung ist der Umstand, daß Angola im Süden an Namibia, die Achillesferse Südafrikas, grenzt. Von Angola aus wäre eine militärische, politische und wirtschaftliche Einflußnahme auf die Geschehnisse im „Weißen Afrika“ leicht möglich.

Politisch wäre ein Sieg der Kräfte, die von den Sowjets unterstützt werden, ein schwerer Schlag für die Afrikapolitik des Westens, aber auch Rotchinas, das in Angola gemeinsam mit Südafrika die antisowjetische UNITA unterstützt. Trotz intensivster Bemühungen konnten nämlich die Sowjets in Afrika bisher keine nennenswerten, vor allem aber keine dauerhaften Erfolge verzeichnen. Afrika ist nicht „rot“ geworden, wie das von Moskau seit den frühen sechziger Jahren immer wieder prophezeit wurde. Es versucht vielmehr den Weg eines „afrikanischen Sozialismus“ zu gehen und eine blockfreie Außenpolitik zu führen. Mit einem politisch verläßlichen Stützpunkt im reichen Angola wäre dem Kommunismus Moskauer Prägung jedoch ein wichtiger Schritt auf sein Ziel hin gelungen.

Um diese lockende Beute hat ein Wettlauf im großen Stil eingesetzt. Die Staaten und Mächte, die am Ausgang dieses „Buschkrieges“ so großes Interesse zeigten und zeigen, kann man in ein prosowjetisches und ein antisowjetisches Lager teilen. So stehen in sonderbarer Gemeinsamkeit Rotchina, die USA und Südafrika in einem Lager.

Moskau und Gefolge unterstützen die MPLA. Diese 1957 gegründete Bewegung, deren ideologische Ausrichtung auf einer Mischung von marxistisch-leninistischen und katholischen Grundsätzen basiert, steht unter der Führung des Arztes und Dichters Dr. Agostinho Neto. Sie hat sich stets bemüht, neben den militärischen Aktionen auch soziale und volkserzieherische Maßnahmen zu setzen, um eine gesellschaftliche Neuordnung Angolas herbeizuführen. Die Unterstützung aus Moskau durch Waffenlieferungen und die Entsendung von Beratern, aber auch die Unterstützung aus Kuba durch reguläre Truppen, die mit dem russischen Kriegsgerät auch umgehen können, ist in den letzten Wochen immer intensiver geworden. Außer der UdSSR und Kuba erhält die MPLA und mit ihr die Volksrepublik Angola diplomatische Unterstützung durch die radikalen Staaten Afrikas wie Guinea, Kongo (Brazzaville), Algerien und Somalia. Spektakulär war hingegen die Anerkennung der Neto-Regierung durch Nigerien, das zu den gemäßigten, westlich orientierten Staaten Afrikas zählt und dessen Beispiel Schule macht.

Das MPLA-Regdme ist von den vereinigten gegnerischen Befreiungsbewegungen FLNA und UNITA, die sich westlicher Gunst erfreuen, strategisch gleichsam in die Zange genommen. Die FLNA ist aus der GRAE, der „Angolanischen Exilregierung“ Holden Robertos, hervorgegangen. Holden Roberto war bereits als Kind ins benachbarte Zaire (damals noch Belgisch Kongo) ausgewandert und hatte seinerzeit auf seifen Kasavubus und Lumumbas am Kongokrieg teilgenommen. Seine antiportugiesische Guerillatätigkeit hatte schon 1954 mit der Errichtung von Trainingscamps und mit Überfällen auf Nordangola von kongolesischem Territorium aus begonnen. Seine Bewegung operiert nach wie vor von Zaire aus und wird von Präsident Mobutu, der Ansprüche auf die ölredche Enklave Cabinda erhebt, unterstützt. Unterstützung erhält die FLNA auch von den USA, die ihre Waffenlieferungen über Kinshasa kanalisieren.

Die UNITA entstand durch Abspaltung von der Holden-Roberto-Gruppe und steht unter der Führung des seinerzeitigen Außenministers der angolanischen Exilregierung (GRAE), Jonas Savinbi. Die UNITA wird vor allem von Südafrika — aber auch von Rotchina — mit Waffen und Soldaten unterstützt. Die in den Reihen der UNITA kämpfenden Weißen sind alte Kämpfer aus dem Kongo, französische Legionäre, Rhodesier, Südafrikaner und einstmals portugiesische Soldaten. Dazu kommen nun angeblich auch Vietnamveteranen und schwarze Freiwillige aus den USA. In diesem „Buschkrieg“ wird also mit Waffen aus sämtlichen Arsenalen der Welt gekämpft.

Es scheint, daß es der MPLA in den letzten Wochen gelungen ist, sich aus der immer bedrohlicher gewordenen Zangenbewegung der vereinigten FLNA- und UNITA-Streit-kräfte zu lösen.

Uber die tatsächliche militärische Lage und den Umfang der Waffenlieferungen aus der UdSSR und den USA ist es schwierig, ein objektives Bild zu erhalten. Wie viele russische Berater und kubanische Soldaten auf der einen und wie viele Südafrikaner, internationale Veteranen und einstmals portugiesische Soldaten auf der anderen Seite kämpfen, ist ebenfalls nicht mit Sicherheit zu sagen. Die intervenierenden Mächte sind um Diskretion bemüht.

Pest scheint zu stehen, daß die Sowjets hier alles auf eine Karte gesetzt haben und durch immer massivere Unterstützung eine militärische Entscheidung zugunsten der Luanda-Regierung erzwingen wollen. Ebenso scheint festzustehen, daß dies die USA, vor allem aber die Republik Südafrika, für die die Angolafrage zu einer Existenzfrage geworden ist, um jeden Preis zu verhindern versuchen werden. So hat Außenminister Kissinger in unverhüllter und scharfer Form die Russen, die durch ihr Angolaengagement die Detente-Politik in Afrika zur Farce machen, vor einer weiteren Eskalation in Angola gewarnt. Pretoria wiederum erklärte, daß es die Einmischung Moskaus und anderer kommunistischer Staaten als ernste Bedrohung ansehe.

Angesichts der sich immer mehr eskalierenden militärischen Ereignisse in Angola ist der — vorläufig noch journalistische — Vergleich mit dem Vietnamkrieg nicht von der Hand zu weisen. Die Gefahr einer Vietnamisierung Angolas ist tatsächlich gegeben — allerdings unter umgekehrten strategischen Vorzeichen, da es diesmal die Russen wären, die Kriegsmaterial und Nachschub auf dem Seeweg um die halbe Erde heranbringen müßten.

Für eine diplomatische Lösung des Konflikts ist der Spielraum schon sehr klein geworden. Die afrikanische Diplomatie, die eine Koalition aller drei kämpfenden Gruppen Angolas zustande bringen wollte, scheiterte am militärischen Eingreifen der Großmächte. Der Westen muß dabei einen Faktor in sein Kalkül ziehen: die Haltung der afrikanischen Staaten. Die Zahl derer, die die Luanda-Regierung anerkannten, ist auf 16 angewachsen, während Afrika der Ge-genregierung in Huambo eine diplomatische Anerkennung bisher verweigert hat.

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