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Die „Sechs“ und die „Sieben“

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Im Jahre 1955 wurde in Messina von den Außenministern der sechs Montanunionstaaten der Plan gefaßt, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, in dem es keine gegenseitigen Zölle und quantitativen Handelsbeschränkungen mehr geben sollte, sondern nur noch ein einheitliches Zollsystem gegenüber Drittländern. Der Beitritt, so wurde beschlossen, sollte allen OEEC-Staaten offenstehen, das Projekt in zehn bis fünfzehn Jahren verwirklicht sein. Auf einer außerordentlichen Sitzung der gemeinsamen Versammlung der Montanunion in Brüssel im Jahre 1956 wurde der Gemeinsame Markt als vollständige Zollunion definiert. Damit war die Marschroute festgelegt. Zollunion bedeutet Aufgabe gewisser Souveränitätsrechte, bedeutet, eine gemeinsame

Wirtschaft- soll die politische Einigung Europas durchgeführt werden.

Die Entschlüsse der sechs Montanunionstaaten stellten die übrigen OEEC-Länder vor eine schwierige Situation. Vielen ist der Beitritt zu einer Zollunion zu weitgehend. Großbritannien, das mit Sorge diese Entwicklung betrachtete, s ilug nun als Ausweg eine sogenannte Freihandelszone vor. Ihr sollten alle 17 Mitgliedsländer der OEEC angehören, also auch die sechs

Montanunionstaaten, die dann sowohl Mitglieder der EWG als auch der Freihandelszone wären. Die Briten hofften diesen Vorschlag durchsetzen zu können und damit zwei Fliegen auf einen Schlag erlegt zu haben: einerseits Mitglied eines großen europäischen Marktes zu sein, ohne der Zollunion anzugehören, und anderseits ihr Präferenzsystem gegenüber deni Commonwealth zu erhalten.

Bei den Verhandlungen zeigte sich nun, daß der britisch-französische Gegensatz nicht zu überwinden war. So verhandelte man monatelang und kam nicht um einen Schritt weiter. Unterdessen wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Wirklichkeit. Im März 1957 schon hattert-dieVertreter der sechs Montähünibri- ’stąatėti • die Verträge zur Errichtung der EWG unterzeichnet. Ab 1. Jänner 1959 wurde der Zoll- und Kontingentsabbau begonnen. Für die übrigen OEEC-Staaten bedeutet dies, daß mit fortschreitendem Abbau der Zölle und Kontingente innerhalb der EWG Diskriminierungen unvermeidlich werden. Jede neue Zollsenkungsetappe verstärkt die handelhemmenden, handelverzerrenden und handelablenkenden Wirkungen im Warenaustausch zwischen den EWG- und den übrigen OEEC-Ländern.

Der jüngste Versuch nun, vielleicht doch zu einem gesamteuropäischen Markt zu kommen, ist die geplante „Kleine Freihandelszone". Niemand in den sieben Partnerländern — Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Schweiz, Portugal und Oesterreich; Finnland hat noch keinen endgültigen Entschluß gefaßt, an der „Kleinen Freihandelszone“ teilzunehmen — sieht in dem geplanten Zusammenschluß mehr als die Schaffung einer günstigeren Verhandlungsbasis für die kommenden Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftskommission und der OEEC. Letztes Ziel der „Kleinen Freihandelszone“ ist daher nur die Gewinnung einer erfolgversprechenden Plattform für eine multilaterale Assoziierung mit den sechs EWG-Staaten und den übrigen der OEEC angehörenden Ländern: Bei der Konferenz der Minister der Sieten x- in Schweden wurde beschlossen, den Regierungen der Partnerländer die Errichtung der Europäischen Freihandelszone der sieben Länder zu empfehlen. Unmittelbares Ziel ist, die Zölle zwischen den Partnerländern ab 1. Jänner 1960 um 20 Prozent zu senken.

Für Oesterreich liegt viel an dem Zustandekommen dieser „Kleinen Freihandelszone". Ist doch die österreichische Wirtschaft durch den Gemeinsamen Markt der Sechs besonders un angenehm betroffen. Die Haupthandelspartner, Italien und die Bundesrepublik Deutschland, gehören dem EWG-Block an, und jedes Jahr wird es schwerer werden, Fertigwaren, Halbfertigwaren und Eisen und Stahl in die EWG-Staaten zu exportieren. Die Ausfuhr von Rohstoffen wird wahrscheinlich nur in unbedeutendem Maße betroffen werden. Der Neutralitätsstatus Oesterreichs verhindert es aber, der EWG beizutreten.

Die wirtschaftliche Verflechtung Oesterreichs mit den Teilnehmerstaaten der „Kleinen Freihandelszone“ ist relativ gering. Nur elf Prozent des österreichischen Außenhandels wurden 195 8 mit der „Kleinen Freihandelszone" abgewickelt. Etwas günstiger wird die Lage, wenn man weiß, daß 87 Prozent des Exportes in die Länder der „Kleinen Freihandelszone" Industriewaren gewesen sind.

Schon diese wenigen Angaben sollten genügen, um zu zeigen, daß Oesterreich auf den Handel mit dem EWG-Raum nicht verzichten kann. 1958 kamen 54 Prozent der österreichischen Importe aus diesen Staaten und wurden 50 Prozent des österreichischen Ausfuhrvolumens dorthin exportiert. Selbst die Tatsache, daß 1958 39 Prozent der österreichischen Ausfuhr in die EWG Roh- und Brennstoffe waren, beeinträchtigt nicht die überragende Stellung der Länder des Gemeinsamen Marktes für dia österreichische Außenwirtschaft.

Aber die „Kleine Freihandelszone“ ist ja nicht nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, sondern ausschließlich unter dem Aspekt der Schaffung einer günstigeren Ausgangsbasis für künftige Verhandlungen mit der EWG. Es ist zu hoffen, daß der durch die Schaffung der „Kleinen Freihandelszone“ geschaffene Impuls stark genug sein wird, um die Gespräche über die Schaffung einer großen Freihandelszone wieder zu beleben.

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