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Wien zwischen Stockholm und Paris

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Reibungslos, mit der Präzision eines lang erprobten Apparates, verliefen bisher in Stockholm die Verhandlungen zur Schaffung einer Kleinen Freihandelszone. Es gab kaum nennenswerte Schwierigkeiten, die Termine wurden eingehalten, , und noch im Laufe des heurigen Jahres dürfte Oesterreich den Vertrag des „Europäischen Freihandelsbundes“ unterzeichnen. Es zeigte sich, daß während der seinerzeitigen Vorbereitungen zur Schaffung einer Großen Freihandelszone gute Arbeit geleistet wurde, die nun in Schwedens Hauptstadt verwendet werden konnte. Nebenbei bemerkt, wurde damit der französische Einwand von der technischen Unmöglichkeit einer Freihandelszone (Ursprungsprobleme der Waren usw.) ad absurdum geführt. Etwas mehr Mühe bereitete nur die Formulierung des offiziellen Schlußkommuniques, in dem jedem Anschein einer Antiblockbildung der „ausgesperrten“ sieben Staaten1 gegen die sechs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft2 behutsam aus dem Wege gegangen wurde.

Dennoch löste die rasche Einigung der Minister in Stockholm unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unfreundliches Stirnrunzeln aus. Man entdeckte plötzlich — etwas spät — die Gefahr einer wirtschaftlichen Zweiteilung Europas. Insbesondere Deutschland sieht seinen Markt in Skandinavien (Autos, Schiffsbau) durch England bedroht.

Trotz alledem gibt es aber keine Anzeichen, daß dieses Unbehagen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft — in der Frankreich den Ton angibt — bewegen könnte, die „Ausgeschlossenen" der Kleinen Freihandelszone — in der England der Sprecher ist — geschlossen zu assoziieren. Zu groß scheinen die machtpolitischen Spannungen zwischen diesen beiden Staaten in Europa zu sein.

Oesterreich, das mit zu den „Ausgesperrten" gehofft sitzt im Klub vdn Stockholm, obwohl es — Wirtschaftlich gesehen — dort sehr wenig vb?fer&fibhdt. M tÜ efri AnKftlrtß an die päische Wirtschaftsgemeinschaft, die mit ihrer einheitlichen Handels- und Sozialpolitik von einer wirtschaftlichen Gemeinschaft zwangsläufig zu einer politischen werden muß, kommt aus Neutralitätsgründen nicht in Betracht. Anderseits bietet ein Beitritt zu einer Kleinen Freihandelszone gerade für unser Land kaum einen Ersatz für das „Ausgeschlossensein“ aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft:

• Die Kleine Freihandelszone ist ein heterogenes Gebilde, dessen Staaten keine geographische, wenig politische und nur geringe wirtschaftliche Verbindung haben.

• England wird naturgemäß eine dominierende Stellung zufallen, da sein Außenhandel allein größer ist als der der gesamten übrigen Mitgliedstaaten. (Das geplante Einstimmigkeitsprinzip gilt nur bezüglich „neuer Verpflichtungen“, während sonst das Mehrstimmigkeitsprinzip spielen kann.)

• Die Kleine Freihandelszone wird nur ein Bund von 80 Millionen Einwohnern gegenüber 165 Millionen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein und hatte im Jahre 1958 durchschnittlich einen Handelsaustausch von 230 Millionen Dollar im Monat gegenüber 560 Millionen der Sechsergemeinschaft.

• Oesterreich wickelte im Jahre 1958 lediglich 10,5 Prozent seiner Ausfuhr und 11,2 Prozent seiner Einfuhr mit den Stockholmer Ländern ab, aber 50 Prozent seiner Exporte und 54 Prozent seiner Importe mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

• Dazu kommt, daß der Handel unseres Landes gerade mit den Staaten von Stockholm im Vorjahr eine besonders rückläufige Tendenz zeigte. (Zirka 15 Prozent gegen 6,2 Prozent des Gesamthandels.)

Wie man sieht, ist also die Kleine Freihandelszone keine absolut salomonische Lösung. Ueber- dies betrifft sie nur Industrieerzeugnisse, die landwirtschaftlichen und Meeresprodukte, beides heiße Eisen, wurden bei den jetzigen Verhandlungen ausgeklammert. Sie harren aber nach wie vor der Lösung.

Selbstverständlich wäre die von den Stockholmer Staaten ehrlich angestrebte und besonders von Oesterreich erhoffte, ja ersehnte geschlossene Assoziierung der „Sieben“ an die „Sechs“ die Ideallösung. Damit wäre das alte Projekt der Großen Freihandelszone verwirklicht. Ein solches Hoffen ist aber wenig realistisch. Warum sollte Frankreich nun plötzlich gewähren, was es bisher so hartnäckig ablehnte? Weshalb vor allem dem Löwen von der Atlantikinsel den Zaun öffnen? Die wirtschaftlichen Nachteile, die das Land oder die Gemeinschaft durch den neuen Freihandelsbund erleiden können, werden nach der herrschenden Ansicht in Paris durch die politischen Vorteile eines geeinten Kontinenteuropa unter seiner „geschichtlich begründeten“ Führung weit überwogen. Es mag sein, daß innen- oder außenpolitische Verhältnisse Frankreich einmal zur Aufgabe seines jetzigen Standpunktes bewegen werden. Was geschieht aber, wenn dies nicht eintritt? Und wenn doch, was passiert in der Zwischenzeit?

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft muß, ob sie will oder nicht, ohne den Mantel einer Großen Freihandelszone schon durch die bloße Existenz ihre Nachbarn diskriminieren. Gegenwärtig wirkt sich bereits, abgesehen von kleineren Benachteiligungen, das psychologische Moment sehr bedenklich aus. Wirtschaftsdynamik und -tendenz, Patent- und Lizenzabkommen, Fusions- und Investitionsbestrebungen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind ausschließlich auf den Gemeinsamen Markt ausgerichtet, und die „Außenseiter“ geraten immer mehr ins Hintertreffen. Und davor wird diese auch eine Kleine Freihandelszone nicht schützen.

Noch ein Letztes: Wie jeder Staat wird Oesterreich den Anschluß an ein Freihandelsgebiet anfänglich mit wirtschaftlichen Umstellungen, ja Lasten und Opfern bezahlen müssen. Für unser Land käme aber im Falle eines Beitrittes zur Kleinen Freihandelszone infolge der ungünstigen Handelsstruktur auch noch eine starke Umorientierung des Marktes, nämlich von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Kleinen Zone dazu. Eine zusätzliche Belastung unserer Wirtschaft. Das Gebiet der sechs darf daher für uns unter keinen Umständen verlorengehen.

Was soll nun Oesterreich tun?

Der Ausweg aus dem Dilemma wäre ein zweiseitiger Assoziierungsvertrag Oesterreichs mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der unser Verhältnis zur Kleinen Zone kaum stören würde. Dieser Vertrag, in dem uns die sechs eingedenk der engen Handelsbeziehungen und unserer besonderen außenpolitischen Lage entgegenkommen würden, könnte auch als Schulbeispiel für die anderen „Außenseiter“ gelten. Um das zu erreichen, müßte er allerdings sehr bald zustande kommen. Sein Schwergewicht hätte neben den üblichen handelserleichternden Maßnahmen, wie Kontingentaufstockung und Zollabbau, in einer A n- passung unserer Zollsätze an den Tarif der Gemeinschaft, aber auch in einer sorgfältigen Wahrung unserer Souveränität zu liegen.

Es steht wirklich für unser Land zu viel auf dem Spiel, als daß wir als interessierte Zuschauer ruhig abwarten können, ob wohl einmal eine geschlossene Assoziierung der „Außenseiter" an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gelingen wird — oder auch nicht. Wir haben wohl kaum Zeit, dem Ausgang des englisch-französischen Matches entgegenzusehen.

Unsere Interessen liegen weder an der Themse noch an der Seine, und deshalb sollten wir nicht vergessen, bevor wie die Konvention von Stockholm unterzeichnen, Oesterreichs Unterschrift unter einen Assoziierungsvertrag mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu setzen.

1 Großbritannien, die drei skandinavischen Länder, Schweiz, Portugal und Oesterreich.

’ Frankreich, Deutschland, Italien und Benelux.

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