6886763-1979_30_06.jpg
Digital In Arbeit

Kongreß der Entmaoisierung

Werbung
Werbung
Werbung

Premier Hua Guofeng beherrschte die Sitzung des Nationalen Volkskongresses (= Parlament), der in der zweiten Hälfte des Juni in Peking stattfand, aber seine Erklärungen stimmten aufs Beste mit der von Deng Xiaoping eingeschlagenen Linie ü.berein. Dies bedeutet, daß das. Politbüro nach langen internen Auseinandersetzungen - die irn Dezember begannen, als sich zeigte, daß die zu weit gesteckten Ziele des Zehnjahresplanes (1976 bis 1985) einer Revision bedürfen - sich auf eine den Realitäten besser angepaßte, vorsichtigere Wirtschaftspolitik geeint hat.

Wie Hua den 3299 Delegierten erläuterte, werde China in den nächsten drei Jahren vorerst einen Prozeß der Revision durchführen, in dem unrentable Anlagen aufgegeben und untüchtige Manager, die während der Kulturrevolution auf Grund ihrer radikalen Ideologie in hohe Stellungen aufrückten, durch fähige Technokraten ersetzt würden. Wie erwartet, werden auch die gigantischen Pläne für Schwerindustrie, besonders Stahlwerke, zugunsten der Landwirtschaft und Leichtindustrie zurückgesetzt.

Für klassenkämpferische Massenbewegungen bestände keine Notwendigkeit mehr. Vielmehr seien Disziplin und hohe Leistungen zur Verwirklichung der vier Modernisierungen das Gebot der Stunde. Den Grundsatz, den Marx und Mao Ze-dong verkündet hatten: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, für jeden nach seinen Bedürfnissen“ änderte er daher ab: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, für jeden nach seiner Arbeitsleistung“.

Den Bauern wird im Interesse der Produktionssteigerung mehr Land zur freien Bearbeitung überlassen. (Schon hört man Berichte, daß diese Privatisierung stellenweise dazu geführt hat, daß sich die Brigaden in den Kommunen wieder in Familieneinheiten auflösen.)

Die Wirtschaftsplaner in Peking sind die alten Mitkämpfer Dengs, die bereits in den fünfziger Jahren, bevor Maos „Großer Sprung vorwärts“ die Wirtschaft an den Rand des Chaos brachte, die oben ausgeführten Pläne befürworteten. Auch Dschou Enlai hatte 1964 bereits die vier Modernisierungen ins Auge gefaßt. Aber Mao vereitelte sie, weil er erkannte, daß ihre Durchführung unweigerlich zur Verdünnung der kommunistischen Ideologie führen müsse.

Das ist genau, was heute geschieht, doch bleibt den chinesischen Führern keine Alternative. Zählte China 1953 noch 530 Millionen Menschen, ist die Bevölkerung heute nahe bei einer Milliarde, ohne daß sich die produktiven Gebiete ausgedehnt hätten.

Die Technokraten von Dengs Kaliber müssen greifbare Resultate vor romantische Ideen setzen. Drei von ihnen wurden zu Vizepremiers ernannt: Dscheng Yun, das Planungsgenie, Po Ipo, ein früherer Finanzminister, und Yao Ihn. In der „Akademie für Sozialwissenschaften“ faßt Deng seinen Brain-Trust zusammen. Auf dem Kongreß bekannte sich auch Hua erstmals öffentlich zu Dengs Credo: Praxis und nicht ideologische Radikalität sei das einzige Kriterium der Wahrheit.

Andere Beschlüsse des Kongresses müssen, wenn sie verwirklicht werden, ebenfalls zu tiefgreifenden Änderungen führen. Vom 1. Jänner 1980 an soll China, erstmals nach 30 Jahren, ein Strafrecht mit einem Justizsystem (nach japanischem Vorbild) erhalten, an Stelle der revolutionären Willkür. Privatbesitz wird anerkannt, Bekenntnisse auf Grund von Folter sind ungültig. Auch freie und geheime Wahlen für die Kongreßdeputierten sind angekündigt.

Geradezu revolutionär wirkt die Abschaffung der während der Kulturrevolution eingesetzten Revolutionsausschüsse, die Provinzen und Städte beherrschten, und ihr Ersatz durch Volksregierungen. Sogar Religionsfreiheit wird verheißen. China ist zwar immer noch eine harte Diktatur - die erstaunlich rasch ins Offene gedrungene Demokratiewelle wurde schnell wieder abgebunden. Doch bleibt die Hoffnung, daß die Modernisierung und Öffnung des riesigen Landes doch langsam zu einer Liberalisierung führen wird.

Die Aufgabe des Volkskongresses bestand wesentlich darin, die radikalen Änderungen, die nach Maos Tod in China eingetreten waren, zu legitimieren. Es war ein Kongreß der Entmaoisierung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung