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Kein Tauwetter in Peking

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Tokio blickt mit größter Spannung auf Peking. Die Bedeutung der Tagung des Nationalen Volkskongresses wird hier nicht unterschätzt. Entscheidende Beschlüsse werden bei der Tagung des rotchinesischen Parlaments bekanntgegeben; wesentliche Entschlüsse werden bei den internen Konferenzen der Partei-und Staatsführer, die vor und nach der Parlamentstagung immer stattfinden, gefaßt werden. Die Parlamentstagung ist eine Art Generalzu-sammenkuntft der Führer aller politischen, staatlichen, wirtschaftlichen und gewerkschaftlicher Körperschaften.

Seit Wochen kommen Führer der chinesischen Kommunisten, die auf alle Kontinente verstreut waren, nach Peking zurück; Außenminister Chen Yi aus Indonesien, Stellvertretender Ministerpräsident Li Hsieni-nien aus Albanien, Gewerkschafts-präsiderot Liu Ning yi aus Nord Vietnam, Liao Cheng chiv Präsident des Afro-Asiatischen Solidaritätsko-mitwess aus Rom. Die Liste der politischen Reisenden, die vor der Tagung nach Peking zurückkamen, könnte noch um Dutzende erweitert werden. Sie zeigt, wie weit das politische Aktionsfeld Pekings reicht. Sie zeigt auch, wie breit der Diskussionsrahmen und das Diskussions-feld der Tagung des Volkskongresses und, noch mehr, der internen Konferenzen vor und nach den Parla-mentssitzungen sein wird.

In den Nachbarstädten Rotchinas ist man der Ansicht, daß in diesem Jahr der Bogen der Gesprächsthemen besonders weit gespannt sein und das Resultat entsprechend wesentlich wird. Denn die Themen der unmittelbaren Not, Nahrungsmittelmangel, Uberbrückung der landwirtschaftlichen Krise sind nicht mehr so akut und haben an der Spitze der Tagesordnung anderen Sorgen Platz (gemacht.

Die neuen Probleme sind zum Teil noch viel schwieriger zu lösen als die Probleme der unmittelbaren Not. Rotchinesische Wirtschaftsdelegierte und Journalisten, die in immer größerer Anzahl nach Tokio kommen, nennen erstaunlich offen die Krisenpunkte der rotchinesischen Zukunftsplanung! Nicht die „Bedrohung durch den Imperialismus“ , auch nicht die Auseinandersetzung mit der UdSSR verursachen jenen Kreisen, die sich für Staat und Partei verantwortlich fühlen und Gedanken machen, schlaflose Nächte; das sind politische Komplexe, zu deren Bewältigung man bewährte politische Rezepte zu haben meint. Doch immer bedrohlicher werden jene Probleme, ian die weder Marx noch Lenin dachten und die sich auch Mao und seinem Kreis erst verhältnismäßig spät offenbarten. Uber den Diskussionen und Geheimgesprächen der 3037 Abgeordneten des Volkskongresses und den Parteiführern wird als ständiger Schatten, der durch die bewährten Mittel der Dialektik nicht verr scheucht werden kann, das unbezwingbare Anwachsen der Bevölkerung stehen und die rapide Vergreisung der Staats- und der Parteiführung. Die Bevölkerung Rotchinas ist bei 740 Millionen Menschen angekommen; das Durchschnittsalter der Mitglieder der Regierung, des Präsidiums, des Zentralkomitees, bei 61 Jahren.

fällig. Der Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes im Frühjahr 1964 stand unter dem Zeichen der Warnung vor den Versuchungen des besseren Lebens und der Prophezeiung, daß Generationen, drei bis zehn, noch ihre Leben dem Klassenkampf weihen und in ständigem Klassenkampf stehen müssen. Doch die Veteranen scheinen nicht an den Erfolg ihrer Worte an die Jugend zu glauben. Dem Kongreß folgten Säuberungen auf dem Fuß, Säuberungen unter den jüngsten Funktionären, an deren Stelle oft wieder ältere traten, und vor allem Säuberungen unter den Erziehern, die man zu Sündenböcken machte. Liu Ding-yi, Leiter der Propaganda, warnte im November in einer Rede auf der Universität vor den Schriftstellern und Universitätsprofessoren, „die gegen uns kämpfen und die ihren Haß gegen den Kommunismus den Assistenten und

Und sie erwarten wesentliche Richtlinien aus den Geheimgesprächen vor und nach dem Volkskongreß.

Natürlich steht auch die Auseinandersetzung mit Moskau und die afro-asiatische Politik im Mittelpunkt der Vorbereitungen und der Diskussionen des Volkskongresses. Doch man erwartet kaum große Veränderungen und wegweisende Linien, die dem Bisherigen widersprechen. In Rotchina hat das Tauwetter der sowjetisch-chinesischen Beziehungen nicht einmal eine dünne Eisschicht schmelzen können. Die Kampagne gegen den Revisionismus wurde niemals auch nur um einen Grad gemildert. Vor allem steht das Denken und Fühlen der Menschen in Rotchdna, und nicht nur der Kommunisten, noch immer unter dem Schatten des abrupten Abzugs der sowjetischen Techniker und Spezialisten; den Stil des Abzugs empfindet man als Perfidie, Überheblichkeit, Hohn. Die Sowjets wollten nach Ansicht der Chinesen nicht nur, daß Rotchiina Schaden erleide, sie wollten China züchtigen, so daß es sein Gesicht verliert. Das kann nicht vergessen oder verziehen werden und wird in den Fundus des Hasses Chinas gegen die UdSSR auf unbegrenzte Zeit aufgenommen werden.

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