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China will bald zur Normalität zurück

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Am 9. Juni, fünf Tage nach der blutigen Niederwerfung des Studentenprotestes, hielt Chinas „Reformhoffnung“, wie Deng Xiaoping in den westlichen Medien bis zu diesem Zeitpunkt ständig bezeichnet wurde, bei einem Empfang der Armeekommandeure der für den Ausnahmezustand eingesetzten Truppen eine großangelegte Rede, in der Chinas starker alter Mann (am 22. August war er 85) mit den Konterrevolutionären abrechnete.

Damit erwies sich Deng einmal mehr als genialer Taktiker und Dialektiker. Geschickt legte er dar, was seit seiner politischen Auf erstehimg 1977 sein Kurs gewesen war - und auch weiterhin sein wird: Festhalten an „einem Mittelpunkt“ (dem wirtschaftlichen Aufbau) und an den „zwei Grundsätzen“ (nämlich den sogenannten „vier Prinzipien“/Kasten Seite 9 sowie Reform und Öffnung). Die „Konterrevolution“ war nach Deng nichts anderes als eine Auseinandersetzung zwischen den vier Grundprinzipien und der „bürgerlichen Liberalisierung“.

Das ist das Stichwort, das in den vergangenen zehn Jahren immer dann ins politische Spiel gebracht worden war, wenn in China die Einführung demokratischer Regeln gefordert wurde. Hier liegt aber die Grenze des chinesischen Reformprozesses. Alles war möglich geworden, nur nicht politische Freiheit

Deng konnte deswegen in seiner Ansprache alles verteidigen, was er bisher geleistet hatte. Nicht die Reformpolitik habe sich als Fehler erwiesen, sondern die ungenügende Entschlossenheit am Festhalten an den vorgegebenen Prinzipien und eine mangelhafte politisch-ideologische Arbeit. Deshalb soll „die Befürwortung des schlichten Lebens“ ein „Hauptthema in der künftigen Erziehung bilden und für die nächsten 50 bis 70 Jahre gültig sein“, hielt Deng fest, der nie eine echte Demokratisierung im Sinn hatte - auch wenn dies von westlichen Kommentatoren in ihrer euphorischen Berichterstattung über die chinesische Metamorphose geflissentlich übersehen wurde.

„Was die politische Strukturreform anbelangt, so steht fest, daß wir unbeirrbar auf dem System des Nationalen Volkskongresses beharren. Wir werden nicht die Dreiteilung der Gewalten wie etwa in den USA einführen. Die USA bezichtigen uns der Unterdrückung der Studenten Aber als sie den Studentenunruhen und dem Aufruhr gegenüberstanden, setzten sie auch ihre Polizei und Truppen ein und verhafteten Leute und ließen Blut vergießen. Sie unterdrückten die Studenten und ihre Bevölkerung, während wir einen konterrevolutionären Putsch niederwarfen. Wer gibt ihnen das Recht, uns zu kritisieren?“-fragteDeng in seiner heftig akklamierten Rede.

Die Faszination im Westen über das, was in China seit mehr als zehn Jahren geschieht - als Beispiele seien hier die Deng-Biographie von Uli Franz und „Nach dem Sturm erhebt sich der gebeugte Bambus China im Umbruch“ vom „Spiegel “-Ostredakteur Fritjof Meyer genannt - ließ die vorhin genannte Grenze der Reformmöglichkeiten auch im Kopfe Dengs völlig übersehen.

Die Frühjahrskrise 1989 kam für den Saarbrückener Politologen und China-Experten Jürgen Domes aber nicht überraschend. Sie habe bloß Legenden zerstört. Für Domes zählt auch D eng - neben ChenYün, General Wang Chen sowie den Altstalinisten Li Xiannian und Bo Yibo - zu den Orthodoxen, die jetzt wieder einmal gesiegt haben. Allerdings, so seine Prognose, werde die Bevölkerung jetzt „in noch stärkerem Maß als schon bisher versuchen, am Willen ihrer Führung und am System vorbeizuleben“.

In dieser Sichtweise scheint mit der Niederschlagung der Demokratiebewegung künftig auch das wirtschaftliche Reformprogramm, das nach Dengs Willen ja weiterlaufen soll, als wäre nichts geschehen, emstlich gefährdet. Da werden auch die „Augenzeugen“ nicht viel ändern können, die Peking jetzt in den Medien aufmarschieren läßt, um der Bevölkerung das Blutbad vom 4. Juni schmackhaft zu machen

Das Regime und eine korrupte Beamtenschaft werden weiterhin das Schicksal des größten Landes der Erde bestimmen. Eine Versöhnung des freiheitlichen Denkens der Intellektuellen mit Chinas politischer Führung-wie dies Österreichs seinerzeitiger China-Botschafter Wilfried Gredler dieser Tage bei einem China-Abend des Wiener ÖVP-Akademikerbundes forderte -wird noch lange auf sich warten lassen.

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