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Frösche auf dem Boden des Brunnens

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Während des chinesischen Neujahrfestes des Mondkalenders beschmieren die altmodischen chinesischen Hausfrauen gern den Mund des Küchengottes, allerdings nur auf dem Bild, mit Honig, damit dieser etwas Süßes über diese Familie bei' seinem nächsten Besuch beim Hauptgott im Himmel berichten sollte... Ich glaube natürlich nicht, daß der Verfasser dieses Buches auch die Rolle des Küchengottes auf Formosa gespielt hat.

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Während des chinesischen Neujahrfestes des Mondkalenders beschmieren die altmodischen chinesischen Hausfrauen gern den Mund des Küchengottes, allerdings nur auf dem Bild, mit Honig, damit dieser etwas Süßes über diese Familie bei' seinem nächsten Besuch beim Hauptgott im Himmel berichten sollte... Ich glaube natürlich nicht, daß der Verfasser dieses Buches auch die Rolle des Küchengottes auf Formosa gespielt hat.

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Meiner persönlichen Meinung nach liegt das Gewicht dieses Buches hauptsächlich im sechsten Kapitel: „Wird China am Gelben Fluß geteilt?“ Wenn man den Inhalt des sechsten Kapitels genauer liest, bekommt man den festen Eindruck, daß Taipeh das chinesische Festland nicht zur Gänze zurückzuerobern beabsichtige, wie offiziell immer wieder propagiert wird, sondern es wolle nur die Hälfte des Reiches der Mitte, und zwar südlich des Gelben Flusses oder gar südlich des Jangtsekiangs, zurückbekommen, ja sogar unter der Bedingung, mit dem Nordreich — auch wenn es ein sowjetrussisches Marionettenregdme sein wird — friedlich zu koexistieren, wie es bereits bei den Nord-Süd-Dynastien Chinas 386 bis 589 Anno Domini der Fall gewesen war. Dies hat auf jeden Fall Yen Chia-kan, der Vizepräsident Taiwans, dem Verfasser des Buches unter vier Augen in Aussicht gestellt. Eine Gemeinsamkeit der meisten chinesischen Politiker, um nochmals ein chinesisches Sprichtwort zu zitieren, ist, daß sie gleichsam „Frösche auf dem Boden eines Brunnens“ seien, die nicht viel von der Außenwelt gesehen haben. Daher ist ihre Himmelsvorstellung auch sehr beschränkt. Diese kleine „Anekdote“ dient als eine Fußnote zum Kapitel drei „Wie stark ist Mao eigentlich?“ und zum Kapitel fünf „Das Zentrum der Gegenoffensive“. Die Landkarte I zeigt die angeblichen nationalchinesischen Guerillabasen auf dem Festland.

Niemand wird bezweifeln, daß es auf dem Festland Chinas antimaoistische, ja antikommunistische Einheiten gibt, doch sie gleich mit „nationalchinesischen Guerillas“ zu identifizieren, ist wiederum zu gefährlich; denn, ob das Volk des chinesischen Festlands, besonders die junge Generation, die Kuomintang noch haben will, ist sehr problematisch. Die zweite Frage lautet: Ob die Kuomintang zurückschlagen will oder kann? Allem Anschein nach will sie jetzt gar nicht, obwohl sie davon träumt und es wünscht; denn wenn sie wirklich wollte, hätte sie nicht viermal die gute Chance verpaßt — die letzte war beim Wirrwarr der Kulturrevolution.

Man mag sagen, daß sie es kann, weil sie über 800.000 Soldaten verfügt. Doch eines darf man nicht vergessen, daß der überwiegende Teil dieser Soldaten keine Festlandchinesen, sondern Formosaner sind (ganz ausgezeichnet ist die Schilderung des Verfassers des Buches über die „nichtchinesische Herkunft“ und die „Entsinlsierung“ der formo-sanischen Bevölkerung, Seiten 192 bis 195). Ob die Formosaner auf dem chinesischen Festland sterben wollen oder nicht, ist die dritte große Frage.

Wenn man die jetzige internationale Lage betrachtet, wobei die Volksrepublik China trotz ihres Gesichts-verlusts doch noch von einer Reihe Länder (Italien, Kanada, Belgien usw.) anerkannt wird und die Luft der Zwei-China-Theorie und Ein-China-Ein-Formosa-Theorie wieder dicker geworden ist, kommt ein natürlicher Schluß beinahe schon zustande, nämlich die „mögliche Unabhängigkeit oder Selbständigkeit Formosas“ (Seite 220 des Buches) und die Zulassung Pekings in die UNO — das könnte wahrscheinlich die Lösungsformel Nixons werden. Deshalb ist der Zweikampf um das Gelbe Reich eher zweifelhaft, weil er vielleicht nie stattfinden wird.

Einige wahrscheinlich irrtümlich unterlaufene Fehler müssen jedoch angeführt werden: Tschu ist nicht ein kaiserlicher Vorname, sondern ein Familien- beziehungsweise Sip-penname (Seite 198). Nanking ist niemals eine Mandschu-Hauptstadt gewesen (Seite 199)! Die Bahnlinie in der Provinz Fukien läuft von Futschou über Nanping — nicht Nanking! — nach Kuangtse und Amoy (Seite 248).

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