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Variante: Schweizer Ostpolitik

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China ist Mode geworden. Auch in der Schweiz. Soeben ist eine schweizerische Parlamentarier-Delegation von einem „langen Marsch“ durch das Reich der Mitte in die Heimat zurückgekehrt. Parlamentarier der verschiedensten Richtungen, aber keine Kommunisten. An sich wäre dies nichts außergewöhnliches, denn schließlich unterhält die Schweiz schon seit langer Zeit diplomatische Beziehungen mit Peking, und das Gläserklirren, das die parlamentarischen Staatsgäste Maos am 1. August, am schweizerischen Nationalfeiertag, auf dem exterritorialen Gelände der chinesischen Hauptstadt veranstalteten, hätte an sich Ausdruck vollster Harmonie sein können. Nur im steten Lächeln der Gastgeber ließ sich nicht genau ausmachen, wie weit chinesisches Gedächtnis zurückreicht.

Vielleicht erinnerten sie sich nämlich noch des Lärms, der sich vor zwei Jahrzehnten um zwei China-Pilger in der Schweiz entwickelte. Der eine war Karl Dellberg, der eigenwillige Walliser Sozialdemokrat, den man mit Anerkennung und Distanz den „Löwen von Siders“ nennt. Der andere war der Kabarettist Alfred Rasser, der damals in der Person von „Soldat Läppli“ den Schweizern einen Soldaten Schwejk vorführte. Beide, Rasser und Dellberg, waren nach ihrer Rückkehr fast wie Landesverräter behandelt worden. Ein Dossier in der Bundesanwaltschaft in Bern war ihnen sicher, und diese „Ehre“ wurde bis vor nicht allzu langer Zeit noch allen schweizerischen Ostwanderern zuteil, ob sie nun als Monteur eines Großkonzerns in die Sowjetunion reisten oder als Journalist nach der Tschechoslowakei. Einzig den regelrechten Touristen, die an festorganisierten Gesellschaftsausflügen nach Leningrad und Moskau teilnehmen, wird seit kurzem eine Ausnahme gewährt. Ihnen wird der Flecken im Reinheft, nämlich als Ostfahrer gekennzeichnet zu sein, erspart. Ein Berner Journalist, der kürzlich einige Kollegen zu einer gemütlichen

Hausparty einlud, weiß allerdings zu berichten, daß noch nicht alles Gold ist, was glänzt. Er hatte nämlich zu seinem privaten Fest auch einige Presse-Attaches ausländischer Botschaften eingeladen, darunter den sowjetischen. Und prompt erschienen noch ungeladene Gäste, die sich zwar nicht ins Haus selbst vordrängten, sondern mehr oder weniger diskret vor der Umzäunung postierten. Nur waren sie mit weniger diskreten Horchgeräten ausgestattet, und das, was sie hörten, füllte nachher in Bern wieder einige Dossiers. Ob mit interessanten oder uninteressanten Dingen, das ist natürlich eine andere Frage.

Grüne China-Lichter

China gegenüber ist das Klima aber trotz allem immer noch wesentlich kühler geblieben. Was den Sowjets gegenüber Ausnahme wurde, blieb Mao gegenüber die Regel. Erst im letzten Jahr zeichnete sich allmählich eine leichtere Erwärmung ab. PTT- und Swissair-Vertreter waren im vergangenen August nach Peking aufgebrochen, um auf ihrem Interessengebiet zu sondieren. Vor einigen Monaten zog kein Geringerer als der ausgesprochen rechtsstehende Genfer Polizeigewaltige Henri Schmitt, der sich sogar einige Chancen als Celio-Nachfolger im Bundesrat ausrechnet, nach Peking. Dann folgten Gespräche über ein chinesisch-schweizerisches Luftfahrtabkommen, und dieser China-Boom wurde nun durch die Parlamentarier gekrönt: zwei Freisinnige, drei Vertreter des Landesrings der Unabhängigen und drei Sozialdemokraten. Die Ärzte, Lehrer und Journalisten, die als Mitglieder von mehr oder weniger gewichtigen Delegationen sich kürzere oder längere Zeit ebenfalls in China aufhalten, zählen schon kaum mehr.

Konservative Sorgen

Die Entwicklung ist geradezu verwirrend. Wo soll das noch hinführen, fragen sich konservativ gebliebene Konservative. Zu Besorgnis ist aber kein Anlaß, denn der schweizerischen Ostpolitik sind handfeste Leitplanken gesetzt. Mit der Aufschrift „Made in USA“. Der China-Boom hatte nämlich nicht unbedingt zufällig zu jenem Zeitpunkt eingesetzt, als Präsident Nixon seine Kehrtwendung angekündigt hatte. Seit Amerikas Präsident höchst persönlich in China grüne Lichter aufgesteckt hat, wagen die verkehrserzogenen Schweizer die Ausfahrt.

Gerade das aber wirkt höchst unsympathisch. Es gibt nämlich auch heute, nach Nixons Besuch,' noch Gründe, enge China-Kontakte abzulehnen, genau wie es anderseits auch schon vor dem Nixon-Ausflug Gründe für solche Kontakte gab. Etwas mehr Selbständigkeit — so sagen schweizerische Kritiker — täte der Schweiz gut.

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