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Digital In Arbeit

Einheit ohne Vielfalt

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Die Produktionsbrigade Mei Jia-wou der Volkskommune vom Westsee, einige Dutzend Kilometer außerhalb von Hang- tschou, stand einer neugierigen Schweizer Delegation Rede und Antwort. Es ging um die Rentabilität des Teepflückens, die soziale Stellung der Arbeiter, das Funktionieren der Volkskommune und das Alltagsleben ihrer Mitglieder. Etwa um 9.45 Uhr Ortszeit war das Gespräch beendet und die Gäste wollten aufbrechen, um den Teepflückerinnen bei der Arbeit zuzusehen und den Arbeitsablauf kennehzulernen. Programmwidrig forderte der Vizepräsident des Revolutionskomitees die Anwesenden nochmals zu etwas Geduld auf. Dann nahm er einen Zettel in die Hand und las: „Vor nicht ganz einer Stunde, um 9 Uhr Ortszeit, ist bekanntgegeben worden, daß Präsident Nikon zurückgetreten sei.”

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Die Produktionsbrigade Mei Jia-wou der Volkskommune vom Westsee, einige Dutzend Kilometer außerhalb von Hang- tschou, stand einer neugierigen Schweizer Delegation Rede und Antwort. Es ging um die Rentabilität des Teepflückens, die soziale Stellung der Arbeiter, das Funktionieren der Volkskommune und das Alltagsleben ihrer Mitglieder. Etwa um 9.45 Uhr Ortszeit war das Gespräch beendet und die Gäste wollten aufbrechen, um den Teepflückerinnen bei der Arbeit zuzusehen und den Arbeitsablauf kennehzulernen. Programmwidrig forderte der Vizepräsident des Revolutionskomitees die Anwesenden nochmals zu etwas Geduld auf. Dann nahm er einen Zettel in die Hand und las: „Vor nicht ganz einer Stunde, um 9 Uhr Ortszeit, ist bekanntgegeben worden, daß Präsident Nikon zurückgetreten sei.”

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Der Dolmetscher übersetzte, und seine Worte wirkten wie der Griff in ein Wespennest. Vor allem hätte man natürlich gerne erfahren, wie die Volksrepublik China auf diese

Entwicklung mit ihren weltpolitischen Folgen reagierte.

Wiederum griff der Vizepräsident des Revolutionskomitees zum vorbereiteten Zettel und las. Der Dolmet-

“scher übersetzte: „An der Freundschaft zwischen den Völkern der Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China wird dieser Wechsel nichts ändern. Dies garantiert auch der Umstand, daß Kissinger auch unter dem neuen Präsidenten im Amt verbleiben wird.” Diese Präzisierung schien in chinesischer Sicht plausibel, war doch Kissinger jener Mann, der in Geheimmission den China-Besuch vorbereitet hatte.

Die Information der ausländischen Gäste klappte also fernab der Hauptstadt dank einer besonderen Dienstleistung des Außenministiums. Wie aber wurde das Volk informiert? In allen Zeitungen, die uns zu Gesicht kamen, war die Meldung vom Nixon-Rücktritt auf der letzten Seite veröffentlicht, dort etwa, wo nach westeuropäischer Art die „Unglücksfälle und Verbrechen” gemeldet werden. Übrigens nahm sie auch nicht mehr Platz in Anspruch als nach unseren Begriffen etwa vier bis fünf Zeilen!

Die Frage drängt sich natürlich auf, wie denn die zentral« Order funktioniert. Warum haben — um etwa beim Beispiel Schanghai zu bleiben — beide dort erscheinenden Tageszeitungen die Meldung von der Demission Nixons genau gleichwertig behandelt? Natürlich wurde die Agenturmeldung veröffentlicht, aber schließlich werden solche Meldungen — selten zwar, aber ausnahmsweise doch — durch redaktionelle Worte angereichert. Warum also nicht im Fall Nixon? Darauf eine Antwort zu bekommen, war völlig unmöglich. Die Journalistenkollegen wollten uns einreden, daß offenbar die beiden Zeitungsredaktionen das Ereignis gleich eingeschätzt hätten, daß sie gleichermaßen von der Tatsache ausgegangen seien, es handle sich dabei um ein rein inneramerikanisches Ereignis, das letzten Endes die übrige Welt nicht interessiere, und daß diese gleiche Bewertung dann automatisch zur gleichen Aufmachung geführt habe und sogar dazu führen mußte.

Selbst im Lande der Akupunktur wagt man aber nicht, an eine solch wirksame Telepathie zu glauben, nur ist es für einen außenstehenden Beobachter völlig unmöglich, die handfesteren Zusammenhänge zu erkennen.

Daß die beiden Schanghaier Blätter — das eine eher politisch, das andere eher wirtschaftlich ausgerichtet — zueinander in keinerlei Konkurrenzverhältnis stehen, glaubt man hingegen den Berufskollegen. Eine Konkurrenz in einem solchen Staatssystem ist undenkbar. Unklar hingegen ist, nach welchen Gesichtspunkten die Leser, also die Kunden, der einen Zeitung gegenüber der anderen den Vorzug geben.

In diesem Zusammenhang versuchten wir, etwas über die Anzahl der Zeitungen und deren Auflagen zu erfahren. Man drückte uns einen Prospekt in die Hand, der allerdings mit Ausnahme der Preise keinerlei Zahlenmaterial bot. Auch ist der Katalog keineswegs vollständig, enthält er doch offensichtlich nur jene Organe, die auch für den Ausländer gedacht sind, nämlich:

„Hongqi”: Herausgegeben vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas, jährlich zwölf Nummern in Chinesisch, Mongolisch, Koreanisch und Uigurisch.

„Renmin Ribao”: Organ des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, Tageszeitung in chinesischer Sprache.

„Guangming Ribao”: Tageszeitung in chinesischer Sprache.

„Minzu Huabao”: Monatsschrift in Chinesisch, Mongolisch, Koreanisch, Tibetisch, Uigurisch und Kaschisch.

Der Prospekt führt dann noch eine Menge von Fachpublikationen an sowie Propagandaschriften in ausländischen Sprachen, von denen hier nur die „Peking Rundschau” erwähnt sei. Dies ist eine politische Wochenschrift über China und Weltangelegenheiten. Sie ist in Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch und Spanisch erhältlich.

Der Journalist, der als Mitglied einer offiziellen Delegation durch China „geschleust” wird, kommt sich natürlich etwas frustriert vor, denn Zeitdruck und Organisation der Reise verhindern eine Vertiefung gewisser Informationen. Daß aber das Zeitungswesen auoh für China- Kenner eher etwas Geheimnisvolles ist, beiwies der australische Sinologe Ross Terrill. In seinem Buch „800 Millionen” (Hoffmann und Campe, 1973) schildert er einen Streit, der am Grab Sun-Yat-sens in Nanking aufgeflackert war. „Es ging um .Lokalzeitungen” — die Chinesen benutzen das Wort dokai” für alle Zeitungen außer der ,Volkszeitung”. Am Tag zuvor hatte ich in Schanghai versucht, ,Wen Hui Pao’, ein Schanghaier Blatt, zu kaufen. An sechs Zeitungskiosken holte ich mir jedesmal eine Abfuhr. .Ausländer”, erklärte man mir, .dürfen keine lokalen Zeitungen kaufen.” Nun, an dem Grab in Nanking behauptete ein Beamter zufällig im Verlauf eines Gesprächs über die Freiheit in China, ein Ausländer könne .alles kaufen, was er will”. Ich hielt ihm — vielleicht etwas zu ungestüm — mein Erlebnis! in Schanghai ent-

gegen. Mein Begleiter von Luxinshe, der Jüngste in der Gruppe, antwortete mir: .Mister Terrill, Sie werden mehr lernen, wenn Sie bescheidener sind.” “

Bescheidenheit ist aber nicht unbedingt die größte Tugend westlicher Journalisten — also lernen sie in China recht wenig!

China ist in seiner Information ganz auf sich gestellt. Ausländische Zeitungen kommen nicht ins Land, ausländische Rundfunksendungen können vom Durchschnittschinesen nicht gehört werden, und zwar einerseits, weil es verboten ist, anderseits aber, weil die chinesischen Geräte den ausländischen Empfang gar nicht möglich machen.

So bleibt es dann bei der Einheitskost. Als wir am Tag nach Nixons Rücktritt in mehreren Privatwohnungen — teils in ländlichen Kommunen, teils in der Stadt Schanghai — die Bewohner fragten, was sie über dieses Ereignise wüßten, war die Antwort stets eine erschreckend stereotype: „Das ist ein rein inneramerikanisches Ereignis und es ändert nichts an der Freundschaft zwischen den Völkern der Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China.” Hatten wir das nicht schon einmal gehört?

Von der Produktionsbrigade außerhalb von Hangtschou bis Schanghai also die gleiohbleibende Version. Die Vielzahl der Mitarbeiter —* bei der größten Tageszeitung der 11-Millio- nen-Stadt Schanghai, „Befreiung”, die täglich mit 4 Seiten Umfang in einer Auflage von etwa 600.000 erscheint, sind. 150 Redakteure angestellt — sorgt also weniger für die Vielfalt der Information als vielmehr für die ideologische Einheit.

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