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Patriotische Kapitalisten

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Die erste Handelsdelegation, die von den Philippinen in Peking eintraf, fürchtete, sie werde auch die letzte sein. Ministerpräsident Tschu En-lai empfing die Delegierten und fragte nach dem philippinischen Handel mit Formosa. Peking hatte bisher den Handel mit seinem Land und den Handel mit Formosa für unvereinbar gehalten. Die Gäste aus Manila machten sich auf eine erzwungene Abreise noch am selben Abend gefaßt. Wieder kam von Tschu En-lai das Unerwartete. Er lobte Manilas Handelseifer und riet, den Warenaustausch mit Formosa zu vergrößern. Für das Volk auf Formosa sei der internationale Handel eine notwendige Hilfe. Die Philippiner kehrten aus Peking mit guten Abschlüssen heim und können ihren Handel mit Formosa unbeschränkt weiterentwickeln.

Einige Tage später wiederholte sich die Szene mit einer japanischen Delegation: Betretenheit der Japaner, als die Sprache auf den fernöstlichen Handel kam; erlösendes Lob Tschu En-lais für Japans Handel mit Taiwan.

Fast zur gleichen Zeit begannen Direktoren der rotchinesischen „Bank of China“ in Hongkong, von den Möglichkeiten einer offiziösen Mission Pekings in der Kronkolonie zu sprechen. Und es sickerte durch, daß dieses Problem, von chinesischen Diplomaten in London vorgetragen, vielleicht sogar auf die Tagesordnung der Londoner Gespräche des chinesischen Außenministers gesetzt werden soll. Der Wunsch, nach Hongkong eine offiziöse Mission zu senden, bedeutet eine Umkehr der Politik Pekings gegenüber der Kronkolonie. Peking hatte bisher in Hongkong aus außenhandels- und devisenpolitischen Gründen Niederlassungen — wie die „Bank of China“ — unterhalten. Doch offiziell und offiziös galt Hongkong als ein vom britischen Kolonialismus okkupiertes Territorium. Die Entsendung einer Mission noch Hongkong würde aber die Anerkennung der Kronkolonie zumindest als temporäre Realität bedeuten. Der Konjunktur von Hongkong wären keine Grenzen gesetzt, das benachbarte China und seine Niederlassungen würden von dieser Konjunktur profitieren.

In Hongkong pfeifen alle Spatzen von den Dächern, daß Geheimverbindungen zwischen Formosa und China gelegt wurden. Die Geschwätzigkeit der Spatzen von Hongkong ist berüchtigt. Sie pfeifen ähnliche Weisen seit mindestens 15 Jahren. Meistens ist dabei der undurchdringliche, in Moskau ausgebildete Tschi-ang Tsching-kuo, Ministerpräsident, Machthaber und Sohn des Präsidenten von Formosa, Tschiangkaischek, der mysteriöse Partner Tschu En-lais. Diese Gerüchte haben verschiedene Quellen, aber eine gemeinsame Eigenschaft: sie konnten nie durch Tatsachen untermauert werden. Die gegenseitige Feindschaft blieb ungeschwächt. Pekings Ablehnung aller Handelspartner, die auch mit Formosa Handel trieben, lockerte sich kaum merkbar erst 1972.

Sicherlich zeigt die neue Haltung zum Formosahandel der Handelspartner und zu Hongkong eine Änderung der Politik Chinas an. Vor mehr als einem Jahr begann Peking, sein Interesse von den „proletarischen“ Organisationen auf die „kapitalistischen“ Gruppen und auf den Mittelstand in Hongkong, in Singapur und in Formosa zu verlagern. Und statt Waffen und Progaganda-material kamen Kredite der „Bank of China“. Peking sieht keine Möglichkeit und vielleicht auch nicht die Nützlichkeit gewaltsamer Veränderungen in mehr oder weniger unmittelbarer Zukunft. So schaffen sich die chinesischen Kommunisten einen „Kader“ von „patriotischen Kapitalisten“ als gegenwärtige Kompagnons und als Parteigänger der Zukunft.

„Patriotische Kapitalisten“ ist ein Begriff des Mao-Marxismus. Chinesische Kapitalisten, die sich im nationalen Kampf nützlich machten, waren ein wichtiges Element des revolutionären Sieges. Nach dem Sieg wurden sie belohnt. Ihr Eigentum wurde nach den realen Werten abgelöst, sie konnten als hochbezahlte Direktoren weiterarbeiten und selbst die Kulturrevolution entzog den Familien der „Patriotischen Kapitalisten“ nicht das Recht, das Mao ihnen gewährt hatte. Viele leben noch heute von den Zinsen in der Spitzengruppe des chinesischen Einkommens. Das hat sich herumgesprochen. Chinesische Reeder und Werftbesitzer in Hongkong wurden von Vertrauensmännern Pekings gefragt: „Ist es euch lieber, Reeder und Werftdirektoren im größten Hafen des größten Reiches der Welt zu werden oder in einem allen politischen Stürmen ausgelieferten Kolonialhafen?“ Doch die Antwort wurde nicht als eine Option für die Gegenwart, sondern für die Zukunft gewertet.

Seit 1972 entfaltet die „Bank of China“ in Hongkong und in Singapur breite Kreditaktionen. Planmäßig wird das chinesische Kapital und das chinesische Gewerbe gestärkt und an die chinesischen Banken gebunden.

Handelsvertreter aus Formosa werden nicht mehr als Feinde behandelt, die Schwesterbank der „Bank of China“, die kommunistische „Bank of Communication“, läßt ihnen Tips und gute Brocken zukommen. Mit Hilfe der gewonnenen Kräfte soll erst die Wirtschaft und dann die Politik von Hongkong, Formosa und Singapur in den Sog des Zentrums des Reiches der Mitte kommen. Die Förderung des Handels mit Formosa als ein chinesischer Akt der Solidarität, die offiziöse und temporäre Anerkennung der Kronkolonie Hongkong und der Ausbau der Schiffahrtslinien über Singapur sind die adäquate Taktik für den langen Weg.

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