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Surrealismus aus Pistolen

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„Kommst du im nächsten Jahr wieder, wirst du mich in den Wäldern finden, in einem Bodenverteilungskomitee oder im Gefängnis." Felixberto Olalia, Partisanen-Veteran, Bauernführer, Gewerkschaftsführer, ergänzte am Flugplatz von Manila den politischen Abschied: „Komm 1973 wieder. Dann wirst du Zeuge der Entscheidungen sein." Von Ölalia kam der letzte Brief im September, später keiner mehr. Er ist nicht in die Berge gegangen, denn die Rückzugsgebiete der „Neuen Volksarmee" in Zentral-uzon und in Isabella sind vom Militär umstellt; mit der Vernichtung soll nach 25 Jahren des Bürgerkriegs jetzt ernst werden. Er arbeitet nicht in einem Bodenverteilungskomitee, und es ist nach wie vor kein Böden zum Verteilen da. Er ist wieder im Gefangenenlager. Eine Entscheidung ist gefallen, noch bevor das Jahr 1972 um war: Präsident Marcos' Kriegsrecht.

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„Kommst du im nächsten Jahr wieder, wirst du mich in den Wäldern finden, in einem Bodenverteilungskomitee oder im Gefängnis." Felixberto Olalia, Partisanen-Veteran, Bauernführer, Gewerkschaftsführer, ergänzte am Flugplatz von Manila den politischen Abschied: „Komm 1973 wieder. Dann wirst du Zeuge der Entscheidungen sein." Von Ölalia kam der letzte Brief im September, später keiner mehr. Er ist nicht in die Berge gegangen, denn die Rückzugsgebiete der „Neuen Volksarmee" in Zentral-uzon und in Isabella sind vom Militär umstellt; mit der Vernichtung soll nach 25 Jahren des Bürgerkriegs jetzt ernst werden. Er arbeitet nicht in einem Bodenverteilungskomitee, und es ist nach wie vor kein Böden zum Verteilen da. Er ist wieder im Gefangenenlager. Eine Entscheidung ist gefallen, noch bevor das Jahr 1972 um war: Präsident Marcos' Kriegsrecht.

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1973 wird über mehr entschieden werden. Die alten Verträge zwischen den USA und ihrer seit 1946 unabhängigen Exkolonie sicherten reziproke Privilegien, vor allem das Recht auf Realbesitz. Diese Verträge laufen 1974 aus. Der Antiamerikanismus der Rechten und der Linken sammelt zu einer Aktion: „Zerreißt den Laurel-Langley-Vertrag!" Das ist leicht gesagt, aber Zucker ist der Hauptexport dieses Inselstaates der Naturkatastrophen. Und die USA-Zuckerquote sichert den Absatz von 60 Prozent der Zuckerernte; die Quote, nicht der USA-Bedarf. Denn Zucker ist der Reichtum der armen Länder, das Angebot ist groß und auch Kuba könnte sich bald einreihen. Unter dem Druck des Filipino-Nationalismus soll Marcos die Verträge mit jenem Staat auslaufen lassen, von dem die Philippinen wirtschaftlich abhängen. So nahm Marcos die Entscheidung vorweg, proklamierte im September 1972 das Kriegsrecht und schickte die Parlamentarier heim oder ins Gefängnis.

100 Tage sind seither vergangen. Der Präsident versprach, es würden 100 Tage der sozialen Erfolge sein. Die Erfolge blieben aus. Aber Ende Jänner dekretierte Marcos eine neue Verfassung, die ihm das Recht der Entscheidung gibt, vor allem darüber, ob die Verträge mit den USA verlängert, verändert oder beendet werden.

Soll der Zusammenbruch der Beziehungen verhütet werden, so muß der Präsident das Land in Fesseln legen.

Unfreiheit paßt schlecht in die Filipino-Landschaft. Dort brach 1898 die erste Kolonialrevolution Asiens aus. Trotz ihrer Bekehrung zum Glauben der Kolonialherren versuchten die Filipinos, das spanische V lonialregime abzuwerfen. Sie wurden anschließend sofort von den amerikanischen „Antikolonialisten" um den Preis ihrer Revolution gebracht. Mit dem neuen, dem amerikanischen Kolonialregime fanden sie sich nicht leichter ab. Den Japanern fielen, als sie kamen, die Hazienderos daher um den Hals. Andere aber gingen in den antijapanischen Untergrund, unter ihnen Ferdinand E. Marcos aus Ilonos, der heute Präsident der Republik ist, und die Huks, die heute wieder Huks, nämlich Partisanen im Busch sind. „Naturkatastrophen nehmen sie als philippinisches Schicksal hin, Zwang nicht", begründete Pater Policarpio von der Jesuitenuniversität Atheneo die politischen Schwierigkeiten seit 1898, „von den Spaniern haben sie die Verachtung der Wirklichkeit, aus Hollywood das Traumbild und aus der eigenen Erbschaft die Malaien-Phantasie mitbekommen. Als Ausbeuter hat man mit ihnen ein leichtes Spiel, als Politiker ein schweres."

Die Filipino-Landschaft hat mit dem Verlust der Freiheit ihren Glanz verloren. Selbst Präsident Marcos' schöne Frau Ismelda ist glanzloser geworden. Und Marcos, der 1972 mit 52 Jahren in jugendlicher Kraft strotzte, ist gealtert. Doch: konnte der Präsident anders handeln?

Können die Philippinen außerhalb des Gnadenkreises der USA existieren?

Vor allem, wer wird vom Abzug der Amerikaner profitieren?

Und ist das Kriegsrecht nicht die Konsequenz von Washingtons „Asia-tisierung der asiatischen Politik"?

Zwei Filipino-Politiker lieferten mir Antworten.

Benigno Aquino, Senator, Führer der Oppositionspartei, modern-charismatischer Rivale Marcos'; Millionär und Volkstribun, Weltmann und Nationalist: „Marcos will die USA-Verträge retten. Das Volk will sie zerreißen. Die USA schauen weg."

Benigno Aquino lebt heute im Lager mit seinem Freund Olalia.

Enrile Ponce, Sekretär für Landesverteidigung im Kabinett Marcos: „Ist der Vietnamkrieg zu Ende, dann müssen wir auch unseren latenten Bürgerkrieg hinter uns bringen. Sonst holt uns der Teufel. Und Washington sieht zu."

Marcos rechtfertigte sein Kriegsrecht mit der Notwendigkeit, Reformen, vor allem die Landreform, unbehindert von Kommunisten und von Gangstern endlich durchzuführen. Sofort wurden Kommunisten und Gangster festgenommen, damit endlich politischer Friede und Landfriede herrsche. Es waren im September nicht nur Kommunisten, die als politische Feinde festgenommen wurden, es waren aber fast ausschließlich Gangster, die seither freigelassen wurden. Im September hieß es in Manila: „Die Übelsten sind im Lager mit den Besten." 100 Tage später schrieb mir ein Journalist: „Die Besten sind noch im Lager, von den Übelsten nur wenige."

Die Schlüsselposition seines Kriegsrechtprogrammes war für Marcos die Auflösung der fast vierhundert Privatarmeen und die Konfiszierung der Waffen. Das Resultat von Marcos' Kampagne gegen die Pistole als Alltagskleidungsstück und gegen die Privatarmeen als Standardsymbol der Erfolgreichen bestimmt den Ausgang der Bodenreform: Nur wenn Marcos die Privatarmeen der Grundbesitzer und der Strauchritter auflöst, kann an eine Bodenreform gedacht werden.Nur wenn er die Entschlossenheit zur Bodenreform beweist, wird er genug Popularität und Kraft haben, den Bossen ihre Privatarmeen zu nehmen.

Scheitert Marcos aber an der Bodenreform, dann bleibt nur der Kampf für und wider die USA-Verträge. Und im Untergrund der Opposition sammeln sich die demagogische Rechte der schlauen Grundbesitzer und die supernationalistische Linke auf dem gemeinsamen Nenner des Antiamerikanismus. Nirgends in Asien fand ich den Antiamerikanismus so virulent wie auf den Philippinen. .

Als Resultat der Kulturmischung aus Spanischem, Amerikanischem und Malaiischem bietet dieses Land das großartige Bild einer surrealistischen Politik. Die Filipinos lieben die Waffe und das Drama. Politik ist ihnen ein chevalereskes Spiel mit unberechenbaren Effekten und mit dem Leben als Einsatz. Die Spanier haben unzählige Mestizen zurückgelassen, die als „Illustrados" zur herrschenden Schicht wurden, dazu die Intensität des Glaubens, den sie malaiisch anreicherten, und die Faszination des ewigen Don Quijote. Die Spanier waren gefürchtet und verhaßt, aber sie beherrschten die Regie. Die Amerikaner sind verachtet; sie kennen so viele Spiele, nur nicht die chevale-resken. Sie wurden 1898 mit einem Busineß-Trick aus antikolonialisti-schen Befreiern zu Kolonialherren. Dann traten sie fast kampflos ihre politische Macht ab und breiteten mit allen Mitteln ihre wirtschaftliche Macht aus. Auf ihre iberische Erbschaft sind die Filipinos stolz. Die Hollywood-Kultur nahmen sie als erfreuliches Gebrauchsgut auf. De la Cruze, Chefredakteur des „Mirror" in Manila („Mirror" eingestellt, Chefredakteur eingesperrt) philosophierte: „Auf dem Weg über den Nationalismus der Illustrados rächt sich jetzt das katholische Spanien für seine Niederlage an den protestantischen Siegern."

Der krankhaft antiamerikanische Journalist der Rechten führte mich zum Ausgangspunkt des Weges durch die philippinische Zauberlandschaft. Sein Sohn war Pressesekretär des Präsidenten. Als Gast des Präsidenten lernte ich Felixberto Olalia kennen, der mich weit nach links, bis zur Volksarmee des „Commander Dante" geleitete.

Der Präsident gab eine Osterparty im Sommerpalast bei Baguio. Unter den Gästen fiel mir einer auf, dessen Haut alabastern und dessen männlicher Charme offenbar groß war: Felixberto ÖlalA. 1948 politischer Kader der Huks, 1956 gefangen, bis 1970 in Gefängnissen und Lagern, dann Berufsrevolutionär, immer zwischen einer Flucht in die Wälder und einer Rückkehr in den Kerker. Ob er vom Präsidenten eingeladen worden sei, fragte ich — natürlich, sonst wäre er ja nicht hier. Ob er oft vom Präsidenten eingeladen werde? Ja, ziemlich oft, wenn er nicht gerade bei den Huks oder hinter Gittern sei. „Der Präsident ist doch mein Freund. Wir haben beide in Ilonos dieselbe Schule besucht." Ob er sich vom Präsidenten verabschieden wird, wenn er wieder in die Wälder1 geht? Natürlich, sie werden beide wissen, was bevorsteht, und nicht darüber sprechen. Nur Abschied nehmen.

Um zehn Uhr abends war ich mit Felixberto im Hyatt verabredet; Abendessen vor politischen Gesprächen. Das war kein Abendessen, sondern ein strahlendes Dinner im elegantesten Hotel von Manila. Wir waren die Gäste des Hotelbesitzers, und Olalia stellte ihn vor: „Der große Zuckerbaron." Dem Zucker- und Hotelbaron gefiel die Vorstellung und er lachte. Er trug die gleiche Pistole wie Olalia, und beide trugen ihre Waffen sehr sichtbar. Als wir am Tisch allein waren und ich mehr erfahren wollte, sagte Felixberto: „Der Abend ist noch zu jung. Er will älter und schöner werden. Warte!" Um punkt 12 Uhr gingen wir in den Prunksaal, er war voll von Illustrados, die gestickte Nobelhemden aus Palmenfasern trugen. Auf einem Laufsteg führten schöne Frauen die neuesten Abendmoden vor. Die schönen Frauen waren übrigens Transvestiten. Wir trafen im Spiegelsaal sowohl Kommunistenführer wie auch Generäle. Sie alle kannten einander und verbeugten sich voreinander.

Zwei Tage später reisten wir auf die Insel Negros. Die Leibeigenschaft ist dort Wirklichkeit.

Nach jeder Naturkatastrophe sind in der Umgebung alle Hotels besetzt. Die Agenten der Bordelle und dje Agenten der Zuckerbarone sammeln sich um den Marktplatz. Beide kaufen nach demselben System ein: Den Angehörigen wird zur Überwindung der ärgsten Not ein Barkredit gewährt. Der Kredit geht zu Lasten der Arbeitskraft, die sich opfert, oder von der Familie geopfert wird. Die Behandlung ist auf den Zuckerfeldern und in den Bordellen ziemlich die gleiche. Zur Summe des Barkredits wird vom ersten Tag an Kost- und Quartiergeld mit Wucherzinsen aufgeschlagen. Der Lohn am Jahresende reicht selten zur Bezahlung der Schulden.

In Negros wollte Olalia seit einem Jahr eine Gewerkschaftsgruppe bilden. Die Gründung ist legal, der Terror der Privatarmeen illegal, aber effektiv. Olalia hatte auf seine Reise zwölf Genossen mit Maschinenpistolen mitgenommen. Die Schläger der Grundherren lungerten um uns herum. Die schönen Tage vom Hyatt-Hotel waren vorbei. „Es arbeitet hier eine Untergrundgruppe" sagte Felixberta „Sie wird auftauchen, wenn ihre Kraft größer ist als die Macht der Grundbesitzer und der Polizei."

In Manila berichtete Felixberto dem Komitee zur Förderung des Nationalismus, einer Art von nationaler Front. Ihr Präsident ist Exsenator Tanada (noch auf freiem Fuß), ein Mann der Rechten. Tanada klärt mieh auf: Nicht nur der ganze Zuk-kerexport gehe in die USA; die USA halten auch ihre Hand über 70 Prozent aller Investitionen, sechs Prozent gehören den Chinesen. „Was bleibt für die Filipinos, solange es einen Laurel-Nagley-Vertrag gibt und Chinesenprivilegien?"

In den Monaten meines Aufenthaltes entschwanden Negros und selbst die aufständischen Mohammedaner auf Mindanao in den Hintergrund. Was blieb, waren die USA, die Verträge. Das Land fieberte der Kündigung der Verträge, der Übernahme des USA-Eigentums entgegen. Besonders stark waren die Fiebermale an den Hazienderos zu erkennen. Ich fragte Laszino, den Führer einer Marxistenpartei: „Wer wird das Geld haben, den Amerikanern ihr Eigentum abzulösen, selbst wenn die Ablöse unter Druck gering ist? Wessen Macht wird stärker werden, müssen die Amerikaner gehen; wer wird noch machtloser sein?" Der Marxist Laszino interessierte sich wenig für solche unzeitgemäßen Probleme, Olalia mehr. Außer Hörweite Laszinos sagte Olalia: „Die Oligarchie kämpft mit beiden Händen. Marcos ist die eine, wir sind die Reserven der anderen Hand."

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