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Philippinen: Ein Klima der Gewalt
An Krisenherden ist Asien gewiß nicht ärmer als andere Kontinente. Nicht nur in und um Indien brennt es. Die tödlichen Schüsse auf den philippinischen Oppositionspolitiker Aquino haben schlagartig die konfliktgeladene Situation in diesem Inselstaat beleuchtet.
An Krisenherden ist Asien gewiß nicht ärmer als andere Kontinente. Nicht nur in und um Indien brennt es. Die tödlichen Schüsse auf den philippinischen Oppositionspolitiker Aquino haben schlagartig die konfliktgeladene Situation in diesem Inselstaat beleuchtet.
Seit 18 Jahren herrscht Ferdinand Marcos als Präsident über den Inselstaat der Philippinen. Um weiter an der Macht bleiben zu können (nach zwei Amtsperioden hätte er nicht wieder kandidieren dürfen), rief er 1972 unter dem Vorwand, es drohe eine kommunistische Revolution, das Kriegsrecht aus. Er hob es formell 1980 in Erwartung des Besuches von Papst Johannes Paul II. wieder auf, de facto besteht sein totalitäres Militärregime aber bis’ heute.
Wie diese Herrschaft sich im Alltag auswirkt, schildert die Zeitschrift „Kathwahan“ aus Da- vaos so: „Im Vertrauen auf ihre gesetzlich verankerte Immunität neigen Regierungstruppen bei der Verfolgung subversiv tätiger Per-
spnen und Terroristen dazu, auch Zivilisten gegenüber zu toben. Massenverhaftungen, willkürliche Inhaftierungen, unmenschliche Folterungen, Massenevakuierung und Plünderung sowie Brandstiftung sind an der Tagesordnung.“
Die überwiegende Mehrheit der Opposition bilden die Demokraten, aber eine relativ kleine Anzahl von bewaffneten Untergrundkämpfern gibt Marcos einen Vorwand, gegen alle seine Gegner hart vorzugehen.
Als einzige Integrationsfigur der gemäßigten Opposition galt Senator Benigno Aquino, den bei seiner Rückkehr in die Heimat am 22. August die Kugel eines Attentäters niederstreckte.
Der illegale Widerstand verzeichnet starken Zulauf: der bewaffnete Flügel der KP, die „Neue Volksarmee“ (NPA), besteht aus schätzungsweise 10.000 Partisanen und zehnmal so vielen, überwiegend jungen Sympathisanten.
Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen, NPA und der militanten „Muslimischen Befreiungsfront“ fordern hohen Blutzoll. Allein im Krisenzentrum Mindanao, einer Insel im Osten des Landes, starben 1981 mindestens 370 Zivilisten bei Straßenschlachten.
Auch der katholische Klerus nimmt eine zunehmend regimekritische Haltung ein. Jaime Kardinal Sin, Oberhirte von 43 Millionen Katholiken — über 80 Prozent der Bevölkerung—, hat vor Gewalt gewarnt. Er beklagt, daß auf die oberen fünf Prozent mehr als 30 Prozent des Gesamteinkommens entfallen, während 17 Millionen — ein Drittel der Bevölkerung — in absoluter Armut leben. Nach vorsichtigen Schätzungen sind 25 Prozent arbeitslos oder haben nur Gelegenheitsjobs. Das Realeinkommen der durchschnittlichen Familien liegt heute
niedriger als vor zehn Jahren.
Die Zahl der Uniformierten hat sich dafür seit 1972 vervierfacht, der Verteidigungshaushalt
wächst jährlich um 17 Prozent, 1983 beträgt er eine Milliarde Dollar. Die USA greifen Marcos und seinen Generälen dabei kräftig unter die Arme.
Aus politischen Gründen sind ohne Urteil nach Schätzungen westlicher Beobachter rund 1000 Menschen in Haft. Durch eine „außergerichtliche Haftanordnung“ (PCO = Presidential Commitment Order) kann Marcos jeden festnehmen lassen, der „subversiver Tätigkeit“ oder der „Anstiftung zur Rebellion“ verdächtigt wird.
Eine solche „PCO“ traf unter anderen auch den Hamburger Pastor Volker Schmidt. Er war als Vertreter der deutschen evangelischen Entwicklungshilfeorganisation „Dienst in Ubersee“ zwei Jahre lang als Erwachsenenbilder in Mindanao tätig, half beim Aufbau eines Kirchenblattes, arbeitete an einer Studie über Verhältnisse und Methoden der dortigen Kirche. Automatisch ergaben sich dadurch Kontakte mit dem politischen Untergrund — und Schmidt wurde dem Regime verdächtig.
Die Verwechslung mit einem polizeilich Gesuchten, der den Untergrundbewegungen in Mindanao Gelder aus kommunistischen Ländern gebracht haben soll, führte schließlich am 24. März 1983 zur Verhaftung des Pastors. Selbst nach Aufdeckung des Irrtums wurde Schmidt keineswegs entlassen, sondern angeklagt, subversive Dokumente besessen zu haben.
Massiver Druck von außen führte in einer am 1. September abgehaltenen Gerichtsverhandlung endlich dazu, daß die Anklage fallengelassen wurde, zumal die ihm angelasteten Dokumente in einem philippinischen Dialekt verfaßt waren, den Schmidt gar nicht versteht. Durch eine Verfügung, die Präsident Marcos anläßlich seines 66. Geburtstages erließ, wurde u. a. die PCO für Volker Schmidt aufgehoben. Mit 36 weiteren politischen Häftlingen wurde er auf freien Fuß gesetzt.
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