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Marcos und der Kardinal

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„Wenn der Papst zu uns kommt“, hieß es in einem Vorbericht der Tages­zeitung „Bulletin“, „wird ihn ein Schauspiel erwarten, wie es nur wenige Völker zu bieten vermögen“. Schon 1979 wollte der Heilige Vater nach Ma­nila kommen. Doch terroristische Um­triebe ließen einen Aufschub seines Be­suches geraten erscheinen.

Als kurz vor Weihnachten offiziell der Besuchtstermin (17. bis 22. Fe­bruar) bekanntgegeben wurde, stellte sich auf den Phillippinen allenthalben die Frage, ob bis Mitte Februar das seit acht Jahren bestehende Kriegsrecht aufgehoben würde.

Es wurde tatsächlich: Rechtzeitig zum Amtsantritt des neuen US-Präsi- denten Ronald Reagan hob der philip­pinische Präsident Ferdinand Marcos das Kriegsrecht Mitte Jänner auf - wohl, um bei der neuen Administration in Washington von vornherein einen guten Eindruck zu machen, wohl auch, um im eigenen Land, wenige Wochen vor der Visite des Papstes den katholi­schen Klerus etwas regimefreundlicher zu stimmen.

Jaime Kardinal Sin, der Primus der katholischen Kirche im einzigen christ­lichen Land Asiens, hatte bereits früher gewarnt, das Fortbestehen des Kriegs­rechts könne zu einem Bürgerkrieg füh­ren. Nicht zum erstenmal hatte der Kardinal indirekt Kritik an dem autori­tären Regime des philipinischen Präsi­denten und Regierungschefs geübt und damit das Unbehagen breiter Volksschichten artikuliert.

Und nur der Kardinal kann es sich leisten, den starken Mann im Malaca- nang-Palast von Manila anzugreifen. Marcos mag die Armee hinter sich ha­ben; seine Generäle sitzen vielfach in Aufsichtsräten und damit auch an den Schalthebeln der Wirtschaft. Aber im Volk hat das Wort des Kardinals das größere Gewicht.

Oppositionspolitiker und die Presse können einzelne Minister, aber nicht den Mann an der Spitze, noch dessen einflußreiche Gattin Imelda, die First Lady der Philippinen, kritisieren. Bei­

den ist ein ausgeprägter Sinn für Publi­city zu eigen. So müßte es denn schon seltsam zu- und hergehen, wenn der Glanz des Papstbesuches nicht auf Fer­dinand und Imelda Marcos fiele.

Das Kriegsrecht war 1972 weniger umstritten als in den letzten Jahren. Die diktatorischen Vollmachten, die es dem Präsidenten nach sieben Jahren konsti­tutioneller Herrschaft gab, hatten an­fangs eher positive Auswirkungen.

, Zuvor hatten auf den Philippinen Zustände wie im Wilden Westen ge­herrscht: Politische Gegner und krimi­nelle Banden hatten ausgiebig von den Feuerwaffen Gebrauch gemacht, die für jedermann verfügbar waren. Ma­nila galt als eines der heißesten Pflaster der Welt.

Marcos wollte die Volksenergien für eine „neue Gesellschaft“ freimachen. Die Republik der siebentausend Inseln erlebte einen mehrjährigen Wirt­schafts- und Touristen-Boom. Manila entwickelte sich zu einer der größten Hauptstädte der Welt.

Freilich, auch die Kluft zwischen arm und reich wurde größer. Nicht weit von dem neuen Geschäfts- und Bankenstadtteil Makati entstanden ausgedehnte Slums. Während die In­frastruktur der Provinz weitgehend un­terentwickelt blieb, erhielt Manila ein hypermodernes Kultur- und Kongreß­zentrum.

Einstweilen jedoch bekommen die Filipinos die weltweite Rezession zu spüren. Die Exporte des Landes, haupt­sächlich Tropenprodukte, erbringen heute weniger Erlöse, während für Erd­öl und Industrieprodukte höhere Preise gezahlt werden müssen. Der Lebensun­terhalt bei niedrig gehaltenen Löhnen wird teurer, die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung steigt.

Zwar wird den Filipinos ein unver­wüstlicher Optimismus nachgesagt, doch die wenig verheißungsvolle wirt­schaftliche Entwicklung läßt soziale Unrast befürchten.

Die Kirchen in den Städten und Dör­fern der Philippinen geben dem Besu­cher das Gefühl, nicht in Asien, sondern in Lateinamerika zu sein. Vier von fünf Filipinos sind Katholiken, nur vier Pro­zent der Bevölkerung sind Moslems, drei Prozent gehören protestantischen Glaubensrichtungen an, und die restli­che Minderheit besteht aus Animisten.

Die Christianisierung des Landes ist ein bleibendes Erbe der über dreihun­dertjährigen spanischen Kolonialherr­schaft. Stützpfeiler der spanischen Macht war die katholische Kirche, die bis in die Neuzeit ein enges Bündnis mit den weltlichen Herrschern pflegte.

Die einzigartige Geschichte dieses Landes hat überall ihre Spuren hinter­lassen, sowohl im Bild der Städte wie in der Sprache. Man hat den typischen Fi­lipino als ein Wesen mit orientalischem Gesicht, spanischem Namen und ame­rikanischem Vokabular definiert. All­gemein gelten die Philippinen als „das westlichste Land Asiens“.

Allen historischen Erfahrungen zum Trotz haben sich die zumeist klein­

wüchsigen Filipinos em großes Herz für alles Fremde bewahrt. In ihrer Gast­freundschaft lassen sie sich von keinem Volk Asiens so leicht übertreffen. An­dererseits ist kaum ein anderes Volk Asiens so sehr bemüht, seine eigene Identität zu finden. Die Freude an der Selbstdarstellung, der Hang zum De­korativen findet Ausdrucksformen, die so manches, was materiell reichere Länder hervorbringen, in den Schatten stellen.

Allerdings wird Johannes Paul II. nicht die Probleme dieses in christlicher Tradition wurzelnden Landes verken­nen. Auf den südlichen Inseln des Ar­chipels liefern sich seit Jahr und Tag militante Moslem-Rebellen und Regie­rungstruppen einen unentschiedenen Kleinkrieg. Die Aufständischen, Mo­ros genannt, wollen einen unabhängi­gen Staat.

Man wirft der Zentralregierung in Manila vor, sie habe den Süden stets vernachlässigt und versuche nun, dieses Gebiet durch verstärkte Zuwanderung systematisch zu christianisieren. Nicht nur die Landnahme der neuen Siedler, auch die Übergriffe undisziplinierter

Regierungssoldaten haben viel böses Blut geschaffen.

Bei den alltäglichen Schießereien und Bombenexplosionen, so wird ge­sagt, hätten Leute wie der Libyer Ghad- hafi, aber auch Angehörige der philip­pinischen Mafia ihre Hand im Spiel. Im Norden des Landes verstärkt sich der Terror der kommunistisch ausge­richteten „Neuen Volksarmee“.

Die unter Präsident Marcos durchge­führte Landreform der frühen siebziger Jahre hat anscheinend die kommunisti­sche Gefahr nicht zu bannen vermocht. Rebellisch gebärden sich seit jeher auch die Studenten, die nach dem Studium vielfach nicht den Job finden.

In der malayischen Völkerfamilie können sich die Filipinos der höchsten Alphabetenquote rühmen. Schon 1611 wurde Santo Tomas, die älteste Uni­versität Südostasiens, gegründet. Dem philippinischen Klerus und den Ordens­schulen gehören seit jeher zahlreiche ausländische Lehrer und Priester an.

Vor allem aus diesen Reihen kom­men zunehmend Sozialkritiker und ra­dikale Kräfte, die sich mit klassen­kämpferischen Parolen gegen die alte und neue Oligarchie wenden.

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