Unverwandte Geborgenheit
Freundschaft ist das Ergebnis eines sorgfältigen Wahlprozesses. Sie kann räumliche Distanz überwinden und an innerer Entfremdung zerbrechen. Über die Genese einer besonderen Beziehung.
Freundschaft ist das Ergebnis eines sorgfältigen Wahlprozesses. Sie kann räumliche Distanz überwinden und an innerer Entfremdung zerbrechen. Über die Genese einer besonderen Beziehung.
In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Menschen zu Nomaden geworden. Jedes Jahr ziehen zehn Prozent der Österreicher(innen) um, und im Durchschnitt wechselt jeder dreimal im Leben den Wohnort. Das führt dazu, dass die Herkunftsfamilie oft hunderte von Kilometern entfernt lebt und die Verwandtschaft nicht selten über das ganze Land verstreut ist. Wie aber können junge Eltern eine Kinderbetreuung finden, wenn die Großeltern so weit entfernt sind? Wie können umgekehrt ältere Menschen die täglichen kleinen Hilfen finden, die ihnen das Leben erleichtern? Manche Hilfen haben wir in den letzten Jahrzehnten professionalisiert. Es gibt ein breites, wenn auch nicht flächendeckendes Angebot von Kinderkrippen und Betreuungseinrichtungen. Es gibt Seniorenheime und 24-Stunden-Pflege. Aber selbst wenn die konkreten Angebote optimal organisiert und personell besetzt sind, bleiben viele kleine Hilfeleistungen unerledigt, die wegen ihrer Kleinteiligkeit nicht professionell geleistet werden können. Klassisch sind das die Leistungen, die die Großfamilie oder Verwandtschaft übernimmt. Aber wenn die hunderte Kilometer entfernt lebt?
Wohlwollen als einziger Zweck
Manche suchen die Lösung im Aufbau eines „Freundeskreises“ am neuen Wohnort. Doch sind das wirklich „Freunde“ im engeren Sinn des Wortes? Oder müssten wir solche Kreise, die uns in den kleinen Dingen des Alltags unterstützen, nicht anders nennen? Was ist eigentlich Freundschaft? Der Klassiker einer Philosophie der Freundschaft ist Aristoteles. Für ihn ist Freundschaft die Beziehung zweier Menschen, die von wechselseitigem Wohlwollen um seiner selbst willen geprägt ist. Das Wohlwollen ist der einzige „Zweck“ der Freundschaft. Nur deswegen kann eine Freundschaft vollkommen frei sein: Freunde entscheiden sich füreinander in völliger Freiheit. Sie sind weder durch verwandtschaftliche noch durch geschäftliche oder andere von außen kommende Verpflichtungen oder Interessen genötigt oder motiviert, eine Freundschaft einzugehen. Etymologisch ist es das, was im deutschen Begriff „Freundschaft“ steckt, der vom Adjektiv „frei“ abgeleitet ist.
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