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Wissenschaft oder Unfug?

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Wenige’ Stunden nach Bekanntgabe des Ergebnisses der amerikanischen Präsidentschaftswahlen teilte Dr, George Gallup vom American Institute of Public Opinion der Presse mit, daß er eine Gruppe führender amerikanischer Soziologen ersucht habe, seine Vorhersagen über den kommenden, neuen Präsidenten zu untersuchen, um herauszufinden, wo der katastrophale-Fehler m der von ihm angewandten Methode liegt. Dr- Gallups „American Institut of Public Opinion”, ein auf Gewinn berechnetes Geschäftsunternehmen, mit Tochterinstituten in einer Reihe außeramerikanischer, darunter mehrerer europäischer Länder, deren Miteigentümer und Direktor er ist, schien in seinen Grundfesten erschüttert. Eine Flut von Vorwürfen, begleitet von Kündigungen zahlreicher Verträge mit hiesigen führenden Zeitungen, hatte sich über ihn ergossen. Auch seine wissenschaftliche Reputation schien ins Wanken geraten zu sein, denn Dr. Gallup ist nicht nur Geschäftsmann, sondern hat es auch verstanden, seinem System der „Ergründung der Volkesstimme” einen wissenschaftlichen Mantel umzuhängen, bei dem es keinesfalls schon feststeht, ob er in diesem Lande, in dem der Konsument industrieller, geistiger und politischer Erzeugnisse eine so wichtige Rolle spielt und daher der Erforschung wert ist, nur das schillernde Gewand eines Scharlatans verhüllt. Sein System ist tatsächlich ein System, aber es hat sich am „Fall Truman” erwiesen, daß seine Behauptung von der „nahezu” ‘ Unfehlbarkeit seiner Methode zumindest stark übertrieben war.

Es sind drei Gebiete, die den „Pollsters” (Poll — die Wahl, die Befragung, die Abstimmung; Pollster — derjenige, der die Befragung durchführt) in den USA ihre große Bedeutung verschaffen. Ihre.wichtigste. Domäne ist das geschäftliche Absatzgebiet. Die Erforschung des Marktes . nach den Chancen, die er der Ware bietet, ist eine notwendige Tätigkeit, die um .so wichtiger ist, als gerade in Amerika astronomische Summen für Reklame ausgegeben werden. Marktanalysen sind in Europa längst bekannt, wenn sie auch dort von großen Unternehmungen meist im eigenen Wirkungskreis vörgenommen werden.’ Es kann für den Erzeuger eine Existenzfrage bedeuten, ob eine bestimmte Wäre in einem bestimmten Landstrich benötigt wird, welche Kohsurhentenkreise für sie! in Frage kommen, welches der richtige Weg’ ist, sie ‘ ‘an- den Verbraucher’ heranzubringen, ‘ ob sie dem Geschmack des Konsumenten’ entsprechen wird, welche Veränderungen vor-1’ genommen werden sollen, ‘um’ sie den Bedürfnissen eines speziellen Verbraucherkreises anzupassen. Es ist von Wichtigkeit, festzustellen, aus welchen Kreisen sich die Bevölkerung eines Absatzgebiets zusammensetzt, ob ein bestimmter Bezirk von Arbeitern oder Bauern, von Mittelständlern- oder wohlhabenden Bürgern bewohnt wird. Die Zahl der Frauen und Männer und Kinder spielt eine Rolle, und schließlich ist es von besonderer Wichtigkeit, zu erfahren, was der Käufer über die Ware denkt. Die Erforschung. des Marktes ist eine picht, unerhebliche, aber- notwendige Spesenpost im Budget eines jeden modernen Unternehmens. Das System der Erforschung der Märkte wird an zahlreichen Hochschulen gelehrt. Marktanalysen bilden jenen Geschäftszweig, der Dr. Gallup einen sehr großen Teil seines wahrscheinlich respektablen Gewinnes, .einbringen.muß,’ und es ist daher nur zu verständlich,…wie sehr ,er bėmüht seimtpußj-spne durchdįs Wahldebakel stark- ins Schwanken gekommene Reputation wieder, herzustellen. …

Anläßlich- einer seiner’ Vorlesungen -an : der Princeton University —dieser berühmten amerikanischen Universität, deren Präsh dent einmal Woodrow Wilson war — sagte- Dr. Gallup ungefähr folgendes: „Es ist ge- radezu- lächerlich, Menschen einen; Tag vor, der Wahhzu prophezeien, wie sie am nächsten’ Tag wählen- werden. Jedoch in- Anbe-’ tradit der großen Nachfrage -nach solchen” Prophezeiungen, sehe ich keinen -Ausweg, wie sie vermieden werden können.-” Die Nachfrage ist” tatsächlich groß, wie sich schon daraus zeigt, daß Gallup nicht weniger- als 125 große Tageszeitungen, mit seinen- statistischen Berichten und deren, Auslegung versorgte, und- daß cs neben Gallup, noch- eine-Anzahl anderer „Pollsters” von Reputation gibt, worunter Mister. Roper des „ Fortune”-Magazihs mit Gallup am erster. Stelle steht. • Dem -österreichischen Beobr achtet ist es nicht ohne weiteres verständlich, - woraus denn dieses Interesse an statistischen. Vorhersagen entspringt/ Obwohl das- Bestreben, den, Leser durch die dauernde .-Darbietung…sensationell aufgemachter Berichte in Spannung ,zu.,halten, in der. amerikani-. sehen-Presse unmißverständlich zutage tritt,_. so verdanken Gallup , und die Seinen nicht , dieser Sensationssucht ihre Popularität., Auch, die. kindische Liehe. am Spiel, die dem Ppyehologen eine wichtige Handhabe ity. seiner. Analyse . des menschlichen . und . wie man, mir sagt, .hauptsächlich des, männlichen. Charakters, ist und. die am. Amerikaner im Verlauf einer Wahlperiode hemmungslos in Erscheinung -tritt —…es sind. Unsummen, die-als sogenannte .todsichere Wetten, auf. Dewey-eingegangen wurden, verloren worden—, ist es nicht, die die hiesigen Zeitungen- veranlaßt, ihre Leser über den. Wechsel. in der - Stimmung -der. Wähler auf dem lau- fenden .zu. halten. Die Gründe für das Inter- esse t ap. „den,, .Prophezeiungen, der Gallups scheinen, yiel, tigfer zu liegen.. Ein sehr, größer T,eil., der wahlberechtigten Europäer — lä;; Mittel- und -Westeuropa jedenfalls —į hat eipe Weltanschauung-,, ob diese nun einen wirtschaftlichen, religiösen oder rėin poli-’ tischen Hintergrund hat. Der Amerikaner hat keine Weltanschauung im europäischen Sinn. Die., amerikanische Sprache hat auch; keine Übersetzung, für das Wort ,,Weltanschauung”. Seinen Glauben an die Demo-’ kratie findet er sowohl in der Republikani- sehen als. auch in der Demokratischen Partei def, USA, vertreten, Diese beiden . Parteien .unterscheiden, sich nicht in Fragen von . Weltanschauung. Sie, haben überhaupt kein weltanschauliches, Programm. Ihr Programm wird, alle vier Jahre auf den Parteikönven- tiqnen beschlossen. Der amerikanische Wähler gibt, dem seine Stimme — von. einer Anzahl Unentwegter abgesehen —, der . seinen, jeweiligen Interessen am Nützlichsten scheint. Der Amerikaner wählt keine Partei — er wählt Personen, und bei den letzten Wahlen waren anscheinend große’Massen bis zur letzten Minute unschlüssig,’ werft Sfe ihre Stimmen geben sollen.’ Für den Kandi-’ daten bedeutet es aber eine Gefahr, sich der- Anhängerschaft seiner Wähler hie sicher ZU’ wissen. Diese Unsicherheit bietet ihm ge- ‘ nügend Anlaß, die Ansicht der Bewohner seines Wahlkreises zu erforschen. Gallup tut: dies für ihn. Er untersucht die öffentliche Meinung und bringt diese — wie ėr behauptet, verläßlich — in Form seiner Polls ZU’ Papier..

Das dritte Arbeitsfeld der Pollster hat manches mit der. Vorhersagung des Ausgangs bevorstehender Wahlen gemein. Es ist die Untersuchung der öffentlichen Meinung und. der. Stellungnahme zu aktuellen Themen, die sich aus politischen, Wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Fragen ergeben., „Soll die Atombombe als Waffe ausgeschaltet werden?” ist eine solche aktuelle. .Frage.. Solche Untersuchungen könnten von außerordentlicher Bedeutung sein, . wenn sie tatsächlich einen Querschnitt . der , gesamten öffentlichen Meinung widerspiegeln würden, denn von der Veranstaltung .einer Volksabstimmung abgesehen, die verfasnm. -chtli.chq Voraussetzung hat und nur, sehr’. en stattfindet, hat die öffentliche Mrihung.’ praktisch keine, Möglichkeit, . ihre Ansicht kundzutun und weder derjenige, der von diesem Willen abhängig ist oder ihn zu lenken berufen erscheint, verfügt über die Mittel, ihn kennzulernen. Von kleinen Blättern im Range von Vereinsorganen abgesehen, gibt es keine Parteipresse im europäischen Sinn. Kein Zweifel, daß die Größe eines Staatsmannes nicht von seinem Talent abhängig ist, lediglich den Willen der breiten Masse blindlings in die Tat umzusetzen. Selbst wenn in einem demokratischen Staatswesen das Majoritätsprinzip der entscheidende Faktor ist, so bedeutet dies noch nicht, daß es gerade die Majorität sein muß, deren Entscheidung die richtige ist. Das Mandat, das dem Staatsmann von seinen Wählern überantwortet wurde, ist keine Blankovollmacht. Er ist auf den Kontakt mit seinem Wähler angewiesen. Dr. Gallup bringt diesen Gedanken in seinem im Verlag der Princeton University Press erschienenen Buch „A Guide to Public Opinion Polls” folgendermaßen zum Ausdruck: „Führer, die keine Kenntnis davon haben, was die Öffentlichkeit denkt, oder die in Unkenntnis darüber sind, wie weit das Wissen der Öffentlichkeit in einer bestimmten Frage reicht, werden nur zu leicht ineffektive und erfolglose Führer, die schließlich die Möglichkeit zu führen verlieren müssen.” Es gibt daher ernstzunehmende Stimmen, die der Ansicht sind, daß die Erforschung der öffentlichen Meinung, wenn sie dem privaten Geschäftsinteresse entzogen wäre und auf ein Niveau gebracht würde, das jeden Zweifel ausscblösse, ein nützlicher Faktor in einem demokratisch verwalteten Staatswesen werden könnte.

Verschiedene Teile im gegenwärtigen Public Opinion Polling werden kritisiert. Allein schon die Fragestellung erheischt größtes Verantwortungsbewußtsein auf seiten jener, die sie verfassen. In der „Sociometry” (August 1940) beschuldigte Prof. Ross Stag- ner von der University of Illinois Dr. Gallup und Mister Roper der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, indem sie das Ergebnis ihrer Polls „zugunsten oder gegen eine Intervention der USA im letzten Kriege?” veröffentlichten. In einer Ausgabe des „Public Opinion Quarterly” veröffentlichte Professor Arthur Kornhauser von der Wayne University eine umfangreiche Studie von 155 Fragen, die zwischen 1940 und 1945 die führenden Polls über das Thema „Arbeiterschaft” gestellt haben. Er behauptet, daß 75 Prozent aller von Gallup gestellten Fragen und 33 Prozent aller von anderen Institutionen gestellten Fragen eine negativ Tendenz bereits in ihrer Fragestellung anzeigten, was naturgemäß zu einer der Gewerkschaftsidee ungünstigen Beantwortung führen mußte. Public Opinion Polling hat aber auch sehr viel mit der Intelligenz der Befragten zu tun. Das „Tide Magazin” veranstaltete im März 1947 einen Poll über den „Metallic Metalls Act”. Das Publikum war Über diesen Akt solange verschiedener Meinung und begründete seine Anschauung in ernstzunehmender Weise, bis es zu seiner Überraschung belehrt wurde, daß es einen „Metallic Metalls Act” überhaupt nicht gibt und daß es sich dabei um die reine Erfindung eines Titels handelte, der wie der Name eines Gesetzes aussieht. Dieses Beispiel beweist aber auch, wie man eine öffentliche Meinung „bilden” kann.

Wie arbeiten die Public Opinion Polls? Aus Veröffentlichungen von „Rundfragen an die Leser” in Zeitungen und aus der Versendung von Fragebogen an wahllos zusammengestellte Adressen haben sich im Verlauf der Zeit zwei Systeme herausgebildet, die im allgemeinen zur Erforschung der öffentlichen Meinung verwendet werden: „Aera Sampling” und „Quota Sampling”. Auch das amerikanische Ministerium für Landwirtschaft und das offizielle „National Opinion Research Center” wenden sie im eigenen Wirkungskreis an. Im Falle der Aera-Samplin g-M e t h o d e wird eine bestimmte für den besonderen Zweck geeignete Stadt (oder ein Landstrich) in kleine Abschnitte zerlegt, in die Angestellte des Polling-Instituts mit Fragebogen entsandt werden und nun die Aufgabe haben, eine bestimmte Anzahl von Personen auszuwählen und sie zu interviewen. Die Pol- ligg-Institute behaupten, daß sie auf diese Weise einen ziemlich verläßlichen Querschnitt erhalten, der, auf die Gesamtbevölkerung der Stadt übertragen, deren Anschauung über die gestellte Frage widergibt. Das Quota-Sampling-System (Sample = Muster) ist etwas komplizierter und sieht auch wissenschaftlicher aus. Zu seiner Durchführung werden offizielle Unterlagen, wie die Statistiken der letzten Volkszählung, Wählerlisten und dergleichen herangezogen, die Aufschluß über die Zahl der Mitglieder bestimmter Berufsgruppen, über Geschlecht und Alter, Religion, Erziehung, Einkommen usw. geben. Das proportionelle Verhältnis der einzelnen Gruppen zueinander und zur Gesamtbevölkerung wird errechnet und in jeder Gruppe eine Quote bestimmt, die vom Interviewer erfaßt wind (das kann auch auf dem Wege der Post geschehen) und gibt nach Ansicht der Public Opinion Institute die Meinung der Gesamtgruppe und schließlich der gesamten Bevölkerung wieder. „Wenn ein Muster sorgfältig ausgewählt wurde”, sagt Dr. Gallup in seinem weiter oben zitierten Buch, „dann entspricht es einer genauen Kopie der gesamten Bevölkerung. Es stellt eine Art Miniaturwählerschaft dar, mit den gleichen Proportionen an Farmern, Ärzten, Rechtsanwälten, Katholiken, Protestanten, alten und jungen Leuten, Unternehmern und Arbeitern usw., wie sie in der Gesamtbevölkerung vertreten sind. Wenn diese Muster richtig ausgewählt wurden, widerspiegeln sie daher die Meinung der gesamten Nation — mit einem nur kleinen Irrtumsvorbehalt.”

Im März 1948 veranstaltete Gallup eine „Volksbefragung” unter dem Thema: „Glauben Sie, daß in sechs Monaten die Preise höher, niedriger oder die gleichen wie heute sein werden?” Fast zur selben Zeit (im April 1948) veranstaltete Mister Roper in dem angesehenen Magazin „Fortüne” ebenfalls einen Poll, dessen Frage nahezu wortgetreu dieselbe war. Hier ist das Ergebnis beider Polls:

Gallup Roper

Haben nun die beiden führenden amerikanischen Instituts of Public Opinion nur einen Fehler in der Auswahl ihrer „Muster” gemacht oder spricht das Ergebnis dieser beiden Polls gegen Public Opinion Polls als solche? Ist Public Opinion Polling eine ernstzunehmende, entwicklungsfähige Wissenschaft oder Unfug? Das ist die Frage.

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