7105284-1995_28_02.jpg
Digital In Arbeit

Man muß lernen, mit Grenzen zu leben

19451960198020002020

„Wer Angst vor Erfolg hat, hat die Erfahrung gemacht, daß Siegesfeiern nicht schön sind. Der wurde alleingelassen, verspottet oder noch mehr gefordert und damit überfordert” Was sagt der Salzburger Kinder- und Jugendpsychiater Manfred Biebl über „Erfolg und Scheitern” in der Erziehung?

19451960198020002020

„Wer Angst vor Erfolg hat, hat die Erfahrung gemacht, daß Siegesfeiern nicht schön sind. Der wurde alleingelassen, verspottet oder noch mehr gefordert und damit überfordert” Was sagt der Salzburger Kinder- und Jugendpsychiater Manfred Biebl über „Erfolg und Scheitern” in der Erziehung?

Werbung
Werbung
Werbung

DIEFURCHE: Was ist aus Ihrer Sicht Erfolg in der Erziehung? MANFRED BlEBL: Erziehung war erfolgreich, wenn die Kinder als beziehungsfähige, selbstverantwortli -che und gesellschaftsfähige Menschen zurecht kommen.

Wir leben heute in einer Übergangskultur. Viele Eltern versuchen nach einem neuen Menschenbild zu erziehen. Ihr Bemühen ist nicht mehr auf das Ziel gerichtet „Wir machen einen guten Bürger”. Die Entwicklung geht weg vom Obrigkeitsglauben hin zu mehr Eigenverantwortlichkeit. Dieses gute Bemühen bringt aber nicht immer auch ein gutes Ergebnis. Dann nämlichnicht, wenn der Begriff „Freiheit” mißverstanden wird und die Erziehung zu „Zügello-sigkeit” führt.

DIEFURCHE: Wie sollte Erziehung also aussehen, damit sie Grundstein für ein „erfolgreiches” Leben wird? Wobei mit „erfolgreich” hier „beziehungsfähig” und „selbständig” gemeint ist BlEBl.: Erziehung muß so sein, daß die Kinder lernen, mit äußeren und inneren Grenzen zu leben. Dafür müssen die Eltern für ihre Kinder aber eine Autorität sein. Damit ist nicht „autoritär sein” gemeint. Die Kinder müssen den Eltern Autorität zuschreiben können.

Erziehung war früher wesentlich leichter: Eine „Watschn” und jede Diskussion erübrigte sich. Wer aber den Anspruch erhebt, gewaltfrei zu erziehen, hat es viel schwerer, braucht viel mehr innere Buhe und Sicherheit.

Der gewollte, begrüßenswerte

Wandel im Erziehungsstil bringt also neue Probleme. Wenn ihre Kinder scheiterten, war die einzige Frage der Eltern: „Habe ich zuviel geschlagen?”. Heute scheitern manche junge Menschen, weil sie fast ohne Grenzen groß wurden. Das ist ein Phänomen, das es früher kaum gab.

DIEFURCHE: Haben Kinder „Abwehrmechanismen” gegen irrige Erziehungsmaßnahmen oder sind sie ihren Eltern „ausgeliefert”? BlEBL: So etwas muß es geben, weil man immer wieder sieht, daß Kinder, die unter den schrecklichsten Bedingungen aufwachsen mußten, großartige Menschen geworden sind. Das scheint mir ein Hinweis darauf zu sein, daß der Mensch nicht nur geprägt wird von dem, was vererbbar ist und davon, was er durch die Erziehung, Umwelt... mitbekommt, sondern daß jeder Mensch auch über etwas ganz Individuelles, Eigenständiges verfügt.

Manche Kinder zerbrechen an

ihren schwachen Eltern, manche werden zu Helfern für ihre schwachen Eltern. Die Utopie, „laß die Menschen groß werden und sie werden es richtig machen” erfüllt sich bei manchen Kindern, andere führt sie in die Katastrophe. Es gibt nur Erziehungsrichtlinien, aber keine Bezepte mit Erfolgsgarantie.

DIEFURCHE: Gibt es einen „ Ur-Mißer-folg”, auf den alle weiteren Mißerfolge zurückgeführt werden können3 BlEBL: Einen programmierten Mißerfolg? Nein, das glaube ich nicht, dazu bin ich zu optimistisch. Ich fragte einmal eine erfolgreiche junge Frau, die eine wirklich arge Kindheit hinter sich hat, wie sie mit dieser Vergangenheit so gut leben kann. Sie erzählte, ihr Hauptschuldirektor habe immer wieder zu ihr gesagt: „Aus dir wird einmal was.” Das war für das Mädchen der einzige positive Einfluß, der aber für sie stark genug war.

Natürlich gibt es auch die ganz schrecklichen Fälle, etwa von Säuglingsmißbrauch, wo keine positive Entwicklung möglich ist.

Das zunehmende Wissen über die Bedeutung des Erziehungsstiles spielt hier eine große Bolle. Schlagende Eltern früherer Generationen haben meist gar nicht gewußt, was sie anrichten. Die Menschen können sich heute Information und Hilfe holen. Das wird denkmöglich und wird auch getan. Früher wäre nicht einmal denkmöglich gewesen, Unsicherheit in Erziehungsfragen zu zeigen. Wer überhaupt darüber nachgedacht hat, gab sich selbst die Schuld, wenn etwas in der Erziehung nicht geklappt hat.

Das Nachdenken über Erziehung nimmt zu. Und Eltern, Kinder und Jugendliche wissen, daß sie über ihre Erfahrungen und Probleme reden können. Die Menschen wissen, daß sie nicht allein sind.

DIEFURCHE: Tragen die Eltern in jedem Fall einen Teil der Schuld, etwa bei Abdriften in die Kriminalität? BlEBL: Das ist keine Frage von „Schuld”. Von „Schuld” kann man nur bei Verbrechen reden. Es geht vielmehr um die Frage „Was können wir in Zukunft besser machen?”. Lö-sungsorientiertes Handeln soll vor problemorientiertem Handeln kommen. Schuld- und Sühnedenken führt wieder zurück in die Zeit starrer Grenzen, in der Gehorsam über Eigenverantwortung stand.

dieFurche: Was können beziehungsweise sollen Eltern also tun, wenn ihr

Kind in Schwierigkeiten ist? BlEBL: Für mich ist das Elternhaus eine therapeutische Hilfe. Wenn ein Kind von durchschnittlich anständigen Eltern in Schwierigkeiten kommt, können diese Eltern dem Kind auch helfen, sie sind die kompetentesten Helfer. Ein Kind dankt es gar nicht, wenn Fremde „unheimlich gut” sind. Es ist schöner für das Kind, wenn man den Eltern ermöglicht, hilfreich zu sein.

Wenn man Jugendlichen, die über ihre Eltern schimpfen, zustimmt, macht man sie zu Vollwaisen, drückt aus: „Die sind unmöglich, und du stammst von ihnen.” Kinder wollen ihre Eltern achten und auf ihre Gemeinschaft stolz sein können.

dieFurche: Wie sollten Erzieher mit dem schulischen Scheitern normal begabter Kinder umgehen? BlEBL: Es gilt, Neugier lustvoll zu schüren. Je mehr man auf Fehler und Fehler-Ausmerzen aus ist, umso mehr hemmt man Neugierde, Freude und Lust am Lernen. Wenn sich Eltern die Position zu eigen machen, daß ihr Kind es richtig machen will, im Augenblick aber vielleicht nicht kann, werden sie viel schneller erkennen, welche Hilfe das Kind braucht. Die Gegenposition ist „Ohne Druck geht nichts.”

DIEFURCHE: Kann aus Scheitern auch Positives erwachsen3 BlEBL: Was Eltern möglicherweise als Scheitern betrachten, kann für einen Jugendlichen ein großer Erfolg sein. Wenn Scheitern aber heißt, im Leben nicht zurechtzukommen, kann nichts Positives daran gesehen werden.

Manchmal ist Scheitern sogar eine lebensnotwendige Erfahrung. Dann, wenn man durch Scheitern wahrnimmt, daß man an eine Grenze gekommen ist. Scheitern kann einen Menschen weiterbringen, wenn er lernt, die Konsequenzen aus einer negativen Erfahrung zu ziehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung