"Der Dialog mit den Kindern darf nie abreißen"

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dieFurche: Sie selbst sind Vater von vier Kindern. Was waren und sind Ihre größten Ängste und Sorgen während der Pubertät Ihrer Kinder?

Max Friedrich: Meine Kinder sind elf, 16, 19 und 20 Jahre alt. Meine Ängste sind mit jenen, die ich in meinem Buch beschrieben habe, ident. Gleichgültig ob das Drogen, Kriminalität oder die Frage betrifft: hat das Kind genügend Kraft, sich gegen das, was auf es einströmt, zu wehren?

dieFurche: Sind viele persönliche Erfahrungen, die Sie mit Ihren Kindern erlebt haben, in Ihr neues Buch "Irrgarten Pubertät" eingeflossen?

Friedrich: Natürlich. Aber auch Erfahrungen durch Gespräche mit dem Freundeskreis meiner Familie.

dieFurche: Was sind die wichtigsten Ratschläge, die Sie Eltern von pubertierenden Kindern geben können?

Friedrich: Der erste und wichtigste Satz ist: im Anfang war das Wort und daraus ergab sich der Dialog. Der Dialog sollte nie abreißen, auch wenn es noch so schwierig ist. Weiters sind Gelassenheit und etwas mehr Humor notwendig. Ein weiterer Punkt ist, daß ein Kind Zuwendungsbedürfnisse hat. Auch wenn es nach außen zeigt, daß man mit ihm nicht reden soll. Das ist eine sogenannte defensive Fassade. Im Inneren sehnt sich das Kind nach Liebe, Geborgenheit, Wärme und Fürsorge. Wichtig ist auch, daß sich Eltern mit der Kulturszene ihrer Kinder beschäftigen. Ich kann nur über etwas reden, wenn ich darüber bescheid weiß. Das heißt, Eltern müssen Modeströmungen, die Musikszene und den Zeitgeist kennen. Ich meine beispielsweise die Sprache. Vor rund zehn Jahren waren etwa die Ausdrücke "urcool" und "affengeil" in. In der Zwischenzeit wechselte das auf "ursuper" und ähnliches. Diese Sprache macht die Welt der Pubertierenden aus. Sie symbolisiert: "dringe nicht in meine Welt ein!"

dieFurche: Woher wissen Eltern, was gerade in ist?

Friedrich: Wenn sie mit Ihren Kindern regelmäßigen Gesprächskontakt haben. Denn Kinder wollen Eltern gewisse Dinge mitteilen, sie verklausulieren es nur. Sie wollen nicht wie ein offenes Buch behandelt werden. Es ist gleichsam ein Dedektivspiel. Das Kind verbirgt verschiedenes, die Eltern wollen es wissen. Daraus ergeben sich natürlich neue Konflikte, aber auch eine Gesprächsbasis.

dieFurche: Was können Eltern machen, wenn die Beziehungen zu ihren Kindern bereits eskaliert sind?

Friedrich: Das gibt es nicht.

dieFurche: Aber Sie haben in Ihrem Buch auch einige Fallbeispiele aufgezeigt, wo es um Drogensucht oder Kriminalität geht. Wie sollen sich Eltern in solchen Extremfällen verhalten?

Friedrich: Immer wieder signalisieren: "Ich bin für Dich da". Dann gibt es den Abbruch nicht. Es ist klar, daß sich Eltern mit ihren Wertvorstellungen als gescheitert betrachten, wenn nichts mehr weitergeht. Aber das Kind muß die Gewißheit haben, daß es jemanden auf der Welt gibt, der zu ihm steht.

dieFurche: Wenn aber Eltern selbst am Ende ihrer Kräfte sind?

Friedrich: Es gibt genügend Profis, an die sie sich wenden können.

dieFurche: Welche Aussagen oder Handlungen sollte man als Eltern unbedingt vermeiden?

Friedrich: Jegliche Provokation in Richtung: "Siehst Du, das hast Du jetzt davon." Das sind Sätze, die aus der Erziehungskiste des vorigen Jahrhunderts stammen. Die Jugend lebt in einem Probierstadium. Jeder, der Versuche in Physik und Chemie gemacht hat weiß, daß Versuche auch schief gehen können. Versuchs-Irrtums-Lernen ist etwas sehr Spannendes, und es handelt sich ja um den Irrgarten Pubertät. Die Pubertät ist ein Labyrinth, in dem man manchmal wieder zurück gehen muß, um einen neuen Weg zu suchen.

dieFurche: Sie schreiben in Ihrem Buch, daß Selbstverstümmelungen nicht nur an Zahl, sondern auch in Vielfalt zunehmen. Warum?

Friedrich: Bei der Selbstverstümmelung gilt die Devise: "Ich füge mir Leid zu, und dann werden alle erkennen, wie sehr ich leide." Ich denke, die Zunahme an Selbstverstümmelungen hat mit der Dialogunfähigkeit zu tun. Je weniger wir miteinander reden, umso mehr müssen unsere Kinder in die Aktionssprache umsteigen. Der Jugendliche benützt diese um sich mitzuteilen. Die Frage ist, ob es dann einen Dolmetscher gibt.

Das Gespräch führte Monika Kunit.

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