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Wir leiden für den Westen

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DIEFURCHE: Wie haben Sie die materielle Basis fiir dieses Werk zustandegebracht? Jelena Brajsa: Nur mit Spenden - auch in schlechten Zeiten. Man hat doch immer etwas zu teilen. Vor zehn Jahren bekam ich einen Paß und konnte ins Ausland reisen. Von dort bekam ich viel Hilfe. Meine Kasse war nie leer und darf nie leer werden, sonst bin ich eben nicht fähig, die Caritas zu leiten.

DIEFüRCHE: Was hat der Krieg an Ihrer Aufgabe verändert? BRAJSA: Dieser Krieg ist grausamer als die Weltkriege. Sie waren Kinderspiele gegen das, was sich heute tut. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Zagreb, eine Millionenstadt, beherbergt 126.000 Flüchtlinge - zwölf Prozent der Bevölkerung. 100.000 Menschen mit Nahrung zu versorgen, Tag für lag und das seit drei Jahren, das ist nicht einfach.

DIEFURCHE: Kümmern Sie sich allgemein um Flüchtlinge? BRAJSA.- Für Kinder zu sorgen, ist unsere Hauptaufgabe, aber nicht unsere einzige Tätigkeit. Wir betreuen Flüchtlingslager und Häuser für Waisen. Oft wissen wir nicht, ob die Eltern nicht vielleicht nach dem Krieg auftauchen werden. Allein in Kroatien sind 13.000 Menschen vermißt. Wenn davon nur die Hälfte zurückkommt, ist das schon schön. Außerdem kümmern wir uns verstärkt um waltigt oder mißhandelt wurden oder einfach in Not sind. In diesem Jahr haben wir sieben Häuser in der ganzen Stadt gekauft. Zur Zeit leben in diesen bei uns 96 Frauen mit 118 Kindern. diefurche: Wieviele Häuser haben Sie denn insgesamt* Brajsa: 16 Häuser: für Kinder, für kinderreiche Familien, für Frauen. Wir haben jetzt 2 Containersiedlungen. Da gibt es auch Zentralheizung. Jetzt werden wir noch ein Container-Stockhaus bekommen. Da können wir wieder 70 Frauen mit Kindern unterbringen oder alte Menschen. Es ist schrecklich, wie viele alte Menschen auf den Straßen leben und sterben.

DieFurche: Wieviele Mitarbeiter haben Sie derzeit3 Brajsa: 137 vollamtliche und viele Freiwillige, Gruppen, die zu viert oder fünft einfach auf der Straße helfen oder Flüchtlingslager besuchen. Wir haben auch ein Projekt für im Krieg verletzte Kinder, von denen es leider viele gibt. Wir bringen sie unter, richten für sie Sonderschulen ein, um ihnen später Arbeitstellen zu beschaffen. diefurche: Alles hofft, daß der Krieg bald zu Ende ist brajsa: Ja, aber ich kann nicht warten bis der Krieg zu Ende ist. Wir müssen heute so arbeiten als wäre der Krieg schon zu Ende. Sonst verlie-

Sonst ist alles zu spät. Wenn wir nicht die feste Hoffnung hätten, daß das bald zu Ende ist, wären wir alle schon total kaputt. Ich habe gehört, daß sich im Westen viele an den Krieg, an die Nachrichten über den Krieg gewöhnt haben. Wir können das nicht.

Wie viele Frauen, Kinder, alte Menschen sind in diesem Krieg schon gefallen, massakriert worden! Das kann nicht ewig so weitergehen. Es muß auch für uns wieder die Sonne kommen. Aber ich denke auch folgendes: Der liebe Gott weiß, daß wir ein treues Volk sind, das mit Christus leidet. Deswegen gibt er uns zu leiden. Jemand muß auch leiden. Es ist wie in der Familie: Ist ein behindertes Kind eine Strafe Gottes? Nein. Es ist ein Segen. Gott weiß, wem er ein Kreuz gibt. Nicht jeder kann so ein Kreuz tragen. diefurche: Leiden wofür? brajsa: Der Westen hat, obwohl er schon lange demokratisch ist, Gott den Rücken gekehrt. Wenn wir es sein sollten, die für die Erneuerung des Westens leiden, so sind wir dazu bereit. Aber ein Leben lang kann man nicht Simon von Cyrene sein. Ich war noch nie so stolz, Mitglied der Kirche zu sein wie jetzt. Was die Kirche in den letzten drei Jahren für das Volk getan hat, ist wunderbar. Wenn es nötig ist, öffnen wir die Türen unserer Kirchen, um daraus ein Spital zu machen oder Kin-

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