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Kinderängste

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Das Ereignis „Golfkrieg” warf jüngst auch die Frage auf, was der Krieg in den Medien bei Kindern bewirke. Die Medien selbst machten sich zum Anwalt aufgeschreckter Eltern und Lehrer, die sich um die Aufarbeitung der medialen Kriegseindrücke bei ihren Sprößlingen zu kümmern begannen.

Einen anderen Akzent gewinnt die Problematik in der Sicht des bei Hamburg lebenden Medienpädagogen Jan Uwe Rogge: „Es ist ein Problem, daß Erwachsene glauben, Kindern bei der Verarbeitung der Kriegsberichte unbedingt helfen zu müssen”, meint Rogge. Für ihn drückt sich in den Bemühungen der Erwachsenenwelt um das seelische Gleichgewicht der Kinder deren eigene unverarbeitete Angst aus: „Der Golf krieg ist das Thema der Erwachsenen”, betont Rogge und warnt: „Es darf nicht passieren, daß die Erwachsenen ihre eigene Betroffenheit zur Betroffenheit der Kinder machen.”

Der Medienpädagoge hat hier vor allem die jüngeren Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren im Blick. Für sie unterscheidet sich eine Kriegsnachricht in der emotionalen Wirkung zunächst kaum von einer anderen Katastrophenmeldung. Trennungs- und Verlustängste würden wach, der persönliche Bezug zum Ereignis werde assoziiert. Was die „Katastrophe Golfkrieg” im Bewußtsein von Kindern erst zu etwas Besonderem macht, ist nach Ansicht Rogges die Reaktion der Erwachsenen darauf: Auch sie zeigten sich - im Gegensatz zur Konfrontation mit den meisten anderen „Katastrophen” -gefühlsmäßig berührt - und das nicht nur kurzfristig, sondern lang anhaltend. Daraus ergäbe sich die eigentliche Gefahr für Kinder, betont Rogge: Übertragungsobjekte der Ängste zu werden, mit denen Eltern und Erzieher nicht fertig würden. Nach psychologischen Erkenntnissen zählt der Verlust emotionaler Sicherheit zu den schwersten seelischen Belastungen eines Kindes.

Eltern sollten, so Rogge, ihren Sprößlingen aber auch nicht Themen aufzwingen, sondern wachsam sein für das, was diese von sich aus in Gespräch und Verhalten anböten. In diesem Sinne plädiert Rogge dafür, Kindern zunächst einmal ihre

Angst zu „belassen”. Sie vom Fernseher generell wegzuhalten hält der Medienpädagoge für falsch. Ebenso verkehrt sei es aber auch, Kinder bewußt mit der harten Kriegswirklichkeit zu konfrontieren. „Wer das macht, verunsichert und verängstigt Kinder enorm”, warnt Rogge. Nach Ansicht des Medienpädagogen ist es sinnvoll, den großen politischen Konflikt in die kleine persönliche Welt des Kindes zu übersetzen, Strukturen des Krieges am Beispiel von Konflikten im Kinderalltag zu veranschaulichen.

Im Computerspiel verarbeitet

Grundsätzlich anders stelle sich die Konfrontation Vorpubertärer und Jugendlicher ab etwa elf Jahren mit dem Medienereignis Golfkrieg dar. „Die meisten Bilder der bisherigen TV-Berichterstattung verführen vor allem Kinder und Jugendliche dazu, den Krieg mit dem gewohnten Videospiel zu verwechseln”, schrieb Peter Rabl im „pro-fil” und unbegründet ist dieser Gedanke keinesfalls. Dennoch ist nach Schätzung Rogges nur ein „relativ geringer” Teil der Jugendlichen ernsthaft gefährdet, die erste, „wirkliche” Wirklichkeit von einer zweiten, „Spiel” -Wirklichkeit nicht mehr trennen zu können. Das beträfe jene rund zehn Prozent aller jugendlichen Computerfreaks, die sich tatsächlich ganz in ihre Medienwelt verloren hätten.

Bei einem anderen Teil der Jugendlichen beobachtet Rogge den Versuch, Gefühle der Angst und des Zorns über mediale Angebote abzureagieren, „wobei das kriegsbezogene Computerspiel Verwendung finden kann, nicht aber als Imitation, sondern als Form von Verarbeitung”. Nach Erfahrung des Medienpädagogen sei für Jugendliche das Gespräch untereinander die gängigste und wichtigste Form des Umgangs mit Krieg und Kriegsberichterstattung. Die Intensität und das kritische Potential dieser Auseinandersetzungen - wie es sich etwa in Friedensaktionen und -de-monstrationen von Schülern äußert - zeigt auch, daß eine Verharmlosung des Kriegs durch die zensurierte Berichterstattung nicht greift. Rogges Hypothese: Die Schrecken des Krieges darzustellen habe in der Folge eher Auswirkungen auf Erwachsene als auf Kinder und Jugendliche.

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