"Das ist Moral, aber nicht Wissenschaft"

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Eric Goamaere, belgischer Einsatzleiter von "Ärzte ohne Grenzen" in Südafrika und Referent bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen, über sein AIDS-Programm im Township Khayelitsha und die umstrittene Anti-AIDS-Politik der USA.

Die Furche: Sie versuchen seit 1999 in Ihrem AIDS-Behandlungsprogramm in Khayelitsha - 30 Kilometer von Kapstadt -, die Lebenserwartung von HIV-Infizierten zu erhöhen. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz?

Eric Goamaere: Wir haben es geschafft, dass 82 Prozent unserer Patienten nach drei Jahren noch leben. Das ist schon ein phantastischer Erfolg - wobei man sagen muss, dass in unserem Township von den rund 500.000 Einwohnern 27 Prozent hiv-positiv sind.

Die Furche: Eine Heilung von AIDS ist nach wie vor nicht in Sicht. Wäre es so gesehen nicht besser, alle Kräfte für Prävention zu verwenden?

Eric Goamaere: Es erscheint tatsächlich paradox, eine unheilbare Krankheit zu bekämpfen, indem man die Kranken behandelt - und nicht dafür zu sorgen, dass sich weniger Menschen anstecken. Deshalb hat es auch 15 Jahre lang nur präventive aids-Programme gegeben. Nun gibt es aber während der ersten fünf Jahre nach einer hiv-Infektion meistens keine Symptome- anders als etwa bei Cholera oder Tuberkulose. Die Leute lassen sich also nicht testen, weil sie sich nicht krank fühlen - und weil es keinen Anreiz gibt: Denn wenn sich herausstellt, dass man hiv-positiv ist - und in Khayelitsha ist das wie gesagt bei jedem Vierten der Fall -, dann würde ein Betroffener nur erfahren: "Sorry, aber dagegen gibt es nichts!" Die Leute denken sich also: Warum soll ich dann überhaupt hingehen? Eine mögliche Behandlung ist hingegen ein großer Anreiz, den eigenen Gesundheitsstatus zu überprüfen.

Die Furche: Wie viele Personen gehen derzeit zu einem Aids-Test?

Goamaere: Mittlerweile lassen sich bei uns 60 Prozent der Frauen zwischen 20 und 40 Jahren testen, Männer leider weniger. Doch in ganz Südafrika machen nur fünf Prozent einen Test: Und das, obwohl es das Land mit der weltweit höchsten Zahl an hiv-Infizierten ist: Momentan schätzt man zwischen 5,8 und 6,2 Millionen.

Die Furche: Wie schwierig war es, leistbare Medikamente zu bekommen?

Goamaere: Es gab mehrere Probleme: Unser erstes Ziel war natürlich, die Medikamentenkosten zu senken. Als ich 1999 nach Südafrika gekommen bin, hat eine Behandlung pro Person und Jahr 6000 us-Dollar gekostet. Man kann keinen Gesundheitsminister eines Entwicklungslandes davon überzeugen, in ein Behandlungsprogramm zu investieren, wenn er für die Behandlung einer einzelnen Krankheit so viel zahlen muss. Eine Senkung der Medikamentenkosten war aber erst möglich, als es gelungen ist, die exklusiven Patentrechte auf spezifische antiretrovirale Medikamente (die das Absterben der cd4-Zellen im Blut und damit die Schwächung des Immunsystems verzögern, Anm. d. Red.) zu brechen. Gleichzeitig mussten wir natürlich die Produktionskapazität erhöhen, man braucht ja Millionen von Tabletten. Heute werden in Südafrika vor Ort bestimmte Generika erzeugt, eine jährliche Behandlung kostet mittlerweile nur mehr 200 us-Dollar. Aber trotzdem geben manche Pharmafirmen ihre Patentrechte nicht auf.

Die Furche: Welche?

Goamaere: Zum Beispiel Roche: Wenn Roche sagt, sie überlassen ihr Patent ohnehin den am wenigsten entwickelten Ländern, dann muss man sagen, dass diese Länder wie etwa Somalia gar nicht die Kapazität haben, solche Medikamente zu erzeugen. Auch Brasilien hat versucht, Generika zu erzeugen - aber sie waren nicht in der Lage. Nun verhandeln sie seit Ewigkeiten mit Roche, aber die Firma will ihnen keine Lizenzen geben. Das finden wir unfair! Wir fordern daher, dass die Pharmafirmen Zwangslizenzen an die betroffenen Länder abgeben müssen - eine solche "compulsory licence" ist ja keine Piraterie, wie die Pharmafirma Pfizer einmal gemeint hat, sondern führt dazu, dass vor Ort Medikamente erzeugt werden, die Produktionskapazität erhöht wird, in lokaler Währung gezahlt wird und Jobs geschaffen werden. Daneben bekommt der Patent-Inhaber ohnehin noch seine Gebühren - zwischen drei und fünf Prozent. Solche Lizenzen würden wir uns verstärkt auch für Südafrika wünschen.

Die Furche: Um diese Gebühren zu bezahlen, braucht man Mittel ...

Goamaere: Ja, wobei der "Global Fund" für uns sicher einen substanziellen Beitrag leistet. Der wirkliche Skandal ist aber, dass dieser Fonds nun nach drei Jahren schon knapp bei Kasse ist. Viele Staaten haben ihre Zusagen zurückgezogen, weshalb es eine Lücke von 700 Millionen Dollar gibt. Österreich hat seit der Einrichtung des "Global Fund" überhaupt nur ein Mal eine Million us-Dollar eingezahlt - das ist so hoch wie der Beitrag von Uganda. Einfach lächerlich!

Die Furche: Gibt es überhaupt ausreichend Mitarbeiter zur Versorgung der AIDS-Patienten?

Goamaere: Nein, denn die Krankenschwestern und Ärzte werden von den westlichen Gesundheitssystem abgezogen. 1999 waren in Großbritannien 700 südafrikanische Krankenschwestern registriert, heute sind es 7000! Außerdem wissen wir, dass die usa bis 2020 ungefähr 200.000 Krankenschwestern benötigen - wobei sie gesagt haben, dass sie diese Leute vor allem in Entwicklungsländern rekrutieren werden. Dieser "brain drain" ist kaum zu stoppen, aber wir müssen ihn bremsen, denn ohne Mitarbeiter können wir nicht drei Millionen aids-Kranke südlich der Sahara behandeln.

Die Furche: Wie hoch ist das Gehalt eines Mitarbeiters in Afrika?

Goamaere: Im Kongo bekommen sie von der Regierung drei us-Dollar pro Monat. Natürlich bleiben sie dann nicht dort! Die Briten waren übrigens die ersten, die in Malawi die Gehälter der Mitarbeiter im Gesundheitswesen verdoppelt haben - von 20 auf 40 Dollar. Daraufhin haben viele beschlossen, doch zu bleiben.

Die Furche: Manche verweisen darauf, dass auch problematische Traditionen die AIDS-Ausbreitung fördern würden: etwa der Aberglaube, dass Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau Aids heilen könnte ...

Goamaere: Ich empfinde das als rassistisch. Mit solchen Geschichten versucht man, Verantwortung abzuwälzen - nach dem Motto: Diese Leute sind selber schuld, weil sie nicht verantwortlich mit ihrer Sexualität umgehen. Natürlich gibt es dieses Problem, aber es ist viel geringer, als diese Leute glauben machen wollen. 99,9 Prozent der Ansteckungen passieren nicht bei Prostitution oder Vergewaltigung, sondern dann, wenn Menschen, die nicht wissen, dass sie hiv-positiv sind, Sex mit ihrem regulären Partner haben. Wichtig sind also Information und Bildung über die hiv-Ansteckung - und gute Behandlungsmöglichkeiten, damit die Menschen sich überhaupt testen lassen. Und natürlich brauchen wir auch ausreichend Kondome.

Die Furche: Wobei derzeit heftig über die Ursachen eines Kondom-Mangels in Uganda gestritten wird. Die USA haben dies auf eine schadhafte Kondom-Lieferung zurückgeführt, doch "Ärzte ohne Grenzen" hat die amerikanische Anti-AIDS-Politik dafür verantwortlich gemacht ...

Goamaere: Wir sind tatsächlich sehr besorgt über die Situation in Uganda: Die neuesten Poster, die dort im Zuge einer Vorsorge-Kampagne verteilt werden, legen ihr Augenmerk ausschließlich auf Abstinenz und Treue. Das ist sicher beeinflusst von den religiös-fundamentalistischen Bewegungen in den usa. Doch eine aktuelle epidemiologische Studie - und zwar nicht eine von "Ärzte ohne Grenzen", sondern eine des us-amerikanischen Centers for Disease Control - geht in eine ganz andere Richtung: Man wollte in dieser Untersuchung herausfinden, woran es liegt, dass in Süd-Uganda die hiv-Neuinfektionsraten so niedrig sind. Schließlich hat man festgestellt, dass der Grund nicht in Abstinenz liegt - die jungen Leute haben signifikant mehr Geschlechtsverkehr - und auch nicht in der Treue - denn die Zahl der Sexualpartner steigt an. Das einzige, was die Zahlen sinken lässt, ist die Verwendung von Kondomen - und die steigende Zahl an Toten: Dadurch geht ja die Prävalenz (der Anteil der hiv-Infizierten an der Gesamtbevölkerung, Anm. d. Red.) zurück. Doch statt Kondome zu verteilen und Sterbende zu behandeln konzentrieren sich die usa auf das, was nicht funktioniert: auf Enthaltsamkeit und Treue. Das ist Moral - aber nicht Wissenschaft. In so einer ernsten Situation ist das inakzeptabel!

Die Furche: Alles Signale, dass die Milleniums-Ziele, etwa das Eindämmen von AIDS, nicht erreicht werden. Was gibt Ihnen trotzdem die Kraft, weiterzumachen?

Goamaere: Ich bin seit 24 Jahren in Entwicklungsländern im Einsatz und habe viele Hilfsprogramme scheitern gesehen. Um ehrlich zu sein habe ich auch 2003, als die who das Ziel "3 by 5" formuliert hat, dass also bis 2005 drei Millionen aids-Patienten Zugang zu Medikamenten haben sollen, nicht geglaubt, dass das ernst gemeint ist. Heute weiß jeder, dass das unerreichbar ist. Wir erreichen derzeit nur etwa eine Million. Trotzdem ist das ein großer Erfolg. Und wenn wir uns in den nächsten zehn Jahren ernsthaft bemühen, dann haben wir vielleicht sogar die Chance, diese Epidemie zu stoppen.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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