WASSER an die Wurzeln

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Eine österreichische Gynäkologin ermöglicht mit ihrer "Aktion Regen" Frauen in Entwicklungsländern eine selbstbestimmte Geburtenkontrolle.

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Eine österreichische Gynäkologin ermöglicht mit ihrer "Aktion Regen" Frauen in Entwicklungsländern eine selbstbestimmte Geburtenkontrolle.

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Materiell habe ich alles, aber die Lebensaufgabe fehlt mir." Diese Erkenntnis rüttelte Maria Hengstberger mit 47 Jahren wach. Schon als Mädchen wollte die Wienerin Entwicklungshelferin werden. Doch mit einer kleinen Tochter, einem Pflegekind und einem krebskranken Mann hatte sie vorerst keine Zeit dafür. Als die Kinder groß waren und ihr Mann wieder genesen, ging die Gynäkologin mit ihren Ersparnissen zu Karl-Heinz Böhm, der Spendengelder für Äthiopien sammelte. Seine Stiftung "Menschen für Menschen" suchte gerade dringend eine Gynäkologin für Äthiopien. Hengstberger verstand dies als "Ruf von oben" - und folgte ihm.

In Äthiopien sah sie, wie viele Fehlgeburten die Frauen erleiden, wenn eine Schwangerschaft auf die nächste folgt. Schnell wurde der Ärztin klar, dass man bei der Geburtenkontrolle ansetzen müsse. "Ansonsten arbeitet man als Entwicklungshelferin an einem Fass ohne Boden. Wenn eine Frau stirbt, sind oft acht bis zehn Kinder mutterlos", weiß Hengstberger. Also hat sich die findige Ärztin überlegt, wie man Analphabetinnen den weiblichen Zyklus erklären könnte. Als sie 1989 in Äthiopien über den Markt spazierte, entdeckte sie eine Kette mit bunten Holzperlen. Die Idee für die Geburtenkontrollkette war geboren: Bestehend aus 30 Perlen in den Farben gelb, rot und blau, wobei die blauen Perlen wie Regentropfen die fruchtbaren Tage symbolisieren. Jeden Tag schiebt die Frau einen Gummiring über die nächste Perle. So weiß sie, ob sie gerade schwanger werden kann.

Vom Wissen zum Bewusstsein

Um den Frauen bewusst zu machen, dass nicht eine Schwangerschaft nahtlos auf die nächste folgen sollte, hat Hengstberger noch etwas erfunden: Die Mutterschutz-Uhr. Sie zeigt an, dass Frauen bereits sechs Monate nach der Geburt wieder schwanger werden können. Doch wegen gesundheitlicher Risiken sollten sie frühestens achtzehn Monate später wieder schwanger werden.

Heuer feiert Hengstbergers spendenfinanzierter Verein "Aktion Regen" 25-jähriges Jubiläum. Fünf Kliniken konnte sie aufbauen: In Indien, Mexiko, Nicaragua, Äthiopien und Ruanda. "Bloßes Wissen bewegt noch gar nichts", weiß die Aktivistin. "Das Bewusstsein der Menschen muss sich ändern." Deswegen bildet ihr Verein vor Ort sogenannte "Rain Workers" aus. Sie bekommen von den "Rain Doctors" - ehrenamtlichen Ärztinnen und Ärzten aus Österreich -binnen eines Monats das Know-how zum Thema reproduktive Gesundheit und Geburtenkontrolle vermittelt. "Die Rain Workers sind somit Brückenbauer zwischen den Kulturen", erklärt Hengstberger.

Kebede Guebeyanesh ist eine von ihnen. Die 39-jährige Äthiopierin koordiniert Projekte für die "Aktion Regen" in ihrem Heimatland. "Dieser Ansatz hat mich gleich überzeugt: Ich gebe euch nicht Geld, sondern Wissen", sagt Guebeyanesh. Das Geld sei in ihrem Land oft schnell versickert, das Wissen aber bleibe den Menschen erhalten.

Die "Rain Workers" schwärmen immer im Team aus, eine Frau und ein Mann. Die Männer sollen sich genauso in Sachen Verhütung einbringen. Obwohl das äthiopische Gesetz mittlerweile die Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren verbietet, werden sie in den ländlichen Gebieten immer noch häufig mit zwölf oder dreizehn Jahren verheiratet. Deshalb startet die Aufklärung der "Rain Workers" an den Schulen bereits bei den Zehnjährigen.

Hengstberger hofft, dass ihre Broschüre bald auch in den afrikanischen Caritas-Schulen verwendet wird. Vorerst stehen die Chancen schlecht. Der erbitterte Widerstand der katholischen Priester in den Gemeinden erschwert die Zusammenarbeit. "Unsere Rain Workerin in Ruanda hat mir einen Brief geschrieben, dass sie diesen Widerstand nicht mehr aushält", berichtet Hengstberger. Eine weitere Hürde ist, dass Kinder in Afrika noch immer als Pensionsvorsorge betrachtet werden. Auch die Pharma-Industrie ist an der Verbreitung von Hengstbergers Lehre vom Zyklus-Bewusstsein nicht interessiert, weil die Pille so überflüssig wird.

Nächstenliebe als Motivation

Dabei wurzelt Hengstbergers Motivation in ihrem tiefen Glauben: "Als Christin kann ich nicht zuschauen, wie Frauen unschuldig sterben,weil sie keinen Zugang zu medizinischem Basiswissen haben." Sie setzt ihre Hoffnungen in Papst Franziskus. "Mit ihm haben wir erstmals einen Papst, mit dem man reden kann, der um die Lage in Entwicklungsländern weiß und das Erlernen von Körperbewusstsein sicher fördern würde."

Allen Frauen den Zugang zu gynäkologischer Versorgung zu bieten und die Sterblichkeitsrate von Müttern zu senken, ist auch eines der Millenium-Ziele der UNO. Nur jede zweite Frau in den Entwicklungsländern erhält eine ausreichende medizinische Behandlung während der Schwangerschaft und Geburt. Die Bekämpfung von HIV-Infektionen ist ein weiteres Millenium- Ziel. Auch wenn die Zahl der Neuinfektionen weltweit seit der Jahrtausendwende um ein Drittel gesunken ist, infizieren sich jährlich noch immer 2,3 Millionen Menschen.

In einem von katholischen Nonnen geführten Spital in der äthiopischen Stadt Awassa sind die "Rain Workers" mit ihrer Babykette abgeblitzt. Kondome sind ohnehin verpönt. Das Gegenargument der Nonnen: "Unsere Mädchen schlafen erst mit Männern, wenn sie verheiratet sind." Gleichzeitig zeigten die Nonnen lange Listen mit Namen von Mädchen, die mit dem HIV-Virus infiziert sind. Horrend ist die Zahl jener, die sich wegen ungewollter Schwangerschaft oder HIV in den Awassa See stürzen. "HIVinfizierte Frauen werden viel stärker ausgegrenzt als Männer", weiß Guebeyanesh.

Gegen HIV schützt die Babykette nicht. Aber mit der Kette entsteht ein Diskurs darüber. Inzwischen wird die Kette in rund 30 Ländern verwendet. Manche Frauen tragen sie um den Hals, andere unter einem Tuch. Die "Rain Workers" arbeiten auch mit genitalverstümmelten Mädchen und Prostituierten. Positive Beispiele in den Dörfern machen ihnen Mut. Ein äthiopischer Vater von fünf Mädchen kommt jede Woche den weiten Weg zu Fuß zu den Gruppendiskussionen. Er schreibt mit und liest seinen Töchtern zu Hause die Mitschrift vor. Seine Frau ist bei der Geburt gestorben. Er möchte nicht auch noch eine Tochter verlieren.

www.aktionregen.at

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Millenniums-Ziele

2000 beschloss die UNO acht Entwicklungsziele bis 2015. Dabei geht es um Themen wie Gesundheit, Gleichstellung von Frauen, Bildung für alle, aber auch den Aufbau einer Entwicklungspartnerschaft.

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Um die Millenniums-Ziele nach 2015 nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wird an einem Konzept zur Weiterführung gearbeitet. Dieses soll globale Ziele für nachhaltige Entwicklung integrieren.

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