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Gibt es noch Pest und Cholera?

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In früheren Jahrhunderten kämpfte man gegen die Uebertragung der Seuchen mit denf' Mittel der Quarantäne. Das war kostspielig und wirkungslos. Schiffe, die aus Gegenden kamen, wo eine Seuche herrschte, oder die einen an Seuche erkrankten Passagier an Bord hatten, wurden bei der ersten Landung mit einer gelben Flagge bezeichnet und mußten so vierzig Tage, vom Ankunftstag oder demjenigen der letzten Erkrankung an Bord an gezählt, isoliert verbringen. Für die Schiffe und die Besatzung war dies recht nachteilig, für den angelaufenen Hafen bot dies aber nicht unbedingt Schutz gegen eine Verseuchung. Das internationale Abkommen vom Jahre 1952, das im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation abgeschlossen wurde, stellte die Bekämpfung der Seuchenübertragung durch Transportmittel auf modernere Grundlagen, und seither ist kein einziger Fall verzeichnet worden, in dem sich eine Seuche vom Transportmittel auf den Ankunfts- hafen weiterverpflanzt hätte. (Insgesamt wurden seither 45 Schiffe und ein Flugzeug als verseucht befunden.)

Im allgemeinen verzeichnet der Kampf gegen die großen Seuchenkrankheiten gute Fortschritte. Cholera bildet nur noch in Indien und Pakistan, vor allem im Mündungsgebiet des Ganges und des Brahmaputras, ein ständiges Problem. Sonst ist sie seit Kriegsende nur in Japan (1946), Aegypten und Syrien (1947) und in Indochina (1947/52) aufgetreten, wurde aber sehr rasch unterdrückt. In Indien geht die Anzahl der Todesfälle wegen Cholera andauernd und stark zurück — allerdings mit Ausnahme des Seuchenjahres 1953. Im Jahre 1954 starben immerhin noch etwa 18.000 Inder an dieser Krankheit (im Jahr 1950 110.828). Der Erfolg wird der überall eingetretenen, fortlaufenden Verbesserung der allgemeinen Hygiene- und

Gesundheitsvorkehrungen zugeschrieben. Anders steht es mit der Pest, die Europa seit dem

6. Jahrhundert kennt und die sich im 19. Jahrhundert wie eine neue Welle über den Erdball ausgedehnt hat. Nachweisbar sind die Infektionsherde in Asien, Afrika und Zentralamerika Lieberreste dieser großen Epidemie. Dank den neuen und wirksamen Bekämpfungsmitteln gegen Insekten und Nagetiere wird auch diese Seuche zurückgedrängt. Sie ist aber weit tückischer als die Cholera, denn sie ist ihrem Wesen nach eine Tierkrankheit, die nur manchmal, aus noch nicht erforschten Gründen, auch auf die Menschen übergreift. Es besteht also immer die Gefahr, daß die Pest der Nagetiere in seit Jahrzehnten seuchefreien Ländern wieder die Menschen quält.

Der Flecktyphus tritt meist nur in Kriegszeiten auf, weil dann sein Beförderer, die Laus, mehr Gelegenheit hat, von einem Menschen auf den anderen überzugehen. Im letzten Krieg war in Europa nur Jugoslawien arg verseucht, ferner litten die Truppen in Nordafrika und nach dem Weltkrieg in Korea darunter. In Friedenszeiten hat man in den letzten Jahren nur in Abessinien eine große Seuche erlebt. Unter allen schweren Seuchen ist der Flecktyphus am sichersten zu bekämpfen.

Das Wechselfieber wird ebenfalls durch die Läuse übertragen und ist als Krankheit noch wenig erforscht. In Europa trat es seit dem Jahr 1949 überhaupt nicht mehr auf, hingegen verzeichnete man mehrere tausend Fälle in den Kriegen in Indochina und Korea, ferner wieder in Abessinien Epidemien inmitten des Friedens.

Blattern sind die älteste bekannte Seuche. Man trifft sie in allen Erdteilen und in jedem Klima an. Immerhin weicht auch sie stark zurück. In Westeuropa wurden im Jahr-

fünft 1951/55 noch 119 Fälle verzeichnet (Ursprung wird nicht angegeben), im vorangegangenen Jahrfünft hingegen noch 687 Erkrankungen. Für die ganze Welt lauten die Zahlen für die gleiche Zeitspanne 193.000 und hernach 178.000. Auch von dieser Seuche werden Indien und Pakistan am meisten heimgesucht (58 Prozent), ferner die übrigen Länder Asiens (23 Prozent), Afrika (14 Prozent) und Lateinamerika (5 Prozent).

Schließlich erwähnt der Bericht der Weltgesundheitsorganisation das gelbe Fieber, das aus den Tropengebieten zeitweise nach Nordafrika und auch nach Europa vorgedrungen ist, aber nie nach Asien Übergriff — was für die Wissenschaft ein Rätsel bildet. Diese Seuche wird durch erfolgreiche Bekämpfung der Fliege, die sie verbreitet, immer mehr zurückgedrängt.

Die Weltgesundheitsorganisation spricht die Ansicht aus, daß die Cholera in absehbarer Zeit überhaupt verschwinden wird. Die Pest wird nicht mehr so leicht übertragen, aber die Rattenplage auf den Schiffen bildet eine ständige Gefahr für die seuchenfreien Länder. Von den übrigen Seuchen bildet nur das gelbe Fieber — wegen seiner mysteriösen Eigenheiten, die sich der Forschung bisher entziehen — eine ständige Sorge für die Hafenbehörden.

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