Tigermücke - © Foto: iStock/GordZam

Exotische Gelsenarten: Die neuen Mitbewohner

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Die Klimakrise wird auch neue Krankheiten nach Österreich bringen. Expert(inn)en warnen vor Infektionen, die durch exotische Gelsenarten übertragen werden.

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Die Klimakrise wird auch neue Krankheiten nach Österreich bringen. Expert(inn)en warnen vor Infektionen, die durch exotische Gelsenarten übertragen werden.

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Vor elf Jahren wurde sie zum ersten Mal in Österreich gesichtet: die Asiatische Tigermücke. Im Vorjahr tauchte sie bereits in allen Bundesländern auf, wie die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) unlängst vermeldete. Im Rahmen des Gelsenmonitorings zeigte sich zudem, dass es in Teilen von Wien und Graz bereits etablierte Populationen gibt, die auch den heimischen Winter überstehen. In Wien wird die Mückenart durch den Fernverkehr vor allem im Bereich des südöstlichen Grüngürtels eingeschleppt. In den letzten Jahren haben sich die Blutsauger kleinräumig in anliegende Wohngebiete und Gartensiedlungen verbreitet.

Aggressivere Pollen

Dass durch die Erderwärmung auch die Österreicher(innen) neuartigen Krankheitsauslösern wie allergenen Pflanzen, Algenblüten, tropischen Schimmelpilzen oder eben tropischen Stechmücken ausgesetzt sein werden, davor hat kürzlich die Wiener Ärztekammer gewarnt – und sich dabei mit den Zielen der Klimaaktivist(inn)en solidarisch erklärt. Asiatische Tigermücken etwa sind Überträger von über 20 Krankheitserregern, darunter das Dengue-, Zika- oder Chikungunya-Virus. Diese Erreger sind in Österreich noch nicht nachgewiesen. Doch bisher als tropisch oder subtropisch klassifizierte – und oft gefährliche – Krankheiten werden zusehends auch in Europa zum Problem.

Sich verändernde klimatische Bedingungen führen generell dazu, dass sich fast 60 Prozent aller bisher bekannten Krankheiten verschlimmern – und viele neue Gesundheitsrisiken dazukommen. Das zeigte eine im Fachmagazin „Nature Climate Change“ (2022) veröffentlichte Studie. So erhöhen wärmere Winter die Wahrscheinlichkeit, dass Stechmückenarten in Ländern heimisch werden, in denen sie zuvor kaum überleben konnten.

Schlechte Nachrichten haben die Studienautor(inn)en auch für Allergiker. Aufgrund des Anstiegs der Durchschnittstemperatur in Österreich um zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter startet die Pollensaison früher und dauert länger. Eine höhere CO2- und Stickoxid-Konzentration in der Luft macht Pollen zudem aggressiver. Vor allem eine erhöhte Belastung durch Ragweed sei zu beobachten. „Erwartet werden zunehmende Atemwegserkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma oder chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD)“, heißt es im Österreichischen „Special Report zu Gesundheit, Demographie und Klimawandel“. Und schon jetzt ist eine Zunahme „vektorübertragener“ Infektionskrankheiten zu registrieren, etwa durch Zecken oder Gelsen. „Die globale Erwärmung hat dazu beigetragen, dass Infektionskrankheiten, die es vorher nur im Mittelmeerraum oder in den Subtropen gab, auch nach Mitteleuropa gekommen sind – oder noch kommen könnten“, erklärt Norbert Nowotny vom Institut für Virologie der Veterinärmedizinischen Uni Wien.

In der Praxis sieht das etwa so aus: Bringt eine Österreicherin aus ihrem Urlaub das Dengue-Fieber mit, war das früher kein Problem, da die heimischen Gelsen das Virus nicht übertragen können. Mit den Temperaturen steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, dass Mücken heimisch werden, die das Virus weitergeben können – wodurch eine Ansteckung auch in Österreich möglich wird. Zugvögel oder internationaler Handel sind weitere Möglichkeiten, wie neue Krankheiten nach Österreich importiert werden. Ob mittelfristig auch Malaria in unseren Breiten zum Problem werden könnte, ist unter Expert(inn)en noch umstritten. Die Gründe für die Entstehung neuer Gesundheitsrisiken sind komplex und lassen sich nur zum Teil mit dem Schlagwort „Erderwärmung“ erfassen. Neben dem globalen Temperaturanstieg spielen die Häufung von Extremwetterereignissen und die Überlebensraten von Infektionserregern eine Rolle. Ein wesentlicher Faktor ist auch die Globalisierung: Ein immer umfangreicherer und schnellerer Verkehr von Personen und Waren rund um den Globus erleichtert Krankheiten das Reisen. Zudem erhöhen massive Eingriffe in die Natur das Risiko für sogenannte Zoonosen – und damit für weitere Pandemien.

Neue Pandemien am Horizont

„Wenn Menschen durch Abholzung, zum Beispiel für den Anbau von Palmöl oder Soja für Tierfutter, immer mehr in den Lebensraum von Wildtieren einwirken, steigt das Risiko, dass Krankheiten von diesen auf den Menschen überspringen“, so Nowotny. Sollte sich nichts an diesem Umgang mit der Natur ändern, sei alle zehn bis 15 Jahre mit einer Pandemie zu rechnen, schätzt der Virologe.

Bereits lange vor Corona hatten internationale Expert(inn) en vor einer globalen Pandemie durch einen neuartigen Erreger gewarnt. „Man kann nur hoffen, dass die Politik aus den Erfahrungen der Coronakrise gelernt hat“, sagt Ulli Weisz, Mitglied des Fachkollegiums „Scientists4Future“ und Forschungskoordinatorin am Ludwig Boltzmann Institut für Lungengesundheit. Bei der Anpassung des Gesundheitssystems an die Klimakrise fordert Weisz: „Prävention statt Reaktion!“ Es brauche noch mehr Monitoring, bessere Informationssysteme und eine kontinuierliche wissenschaftliche Beobachtung des Gesundheitszustands der Bevölkerung. So sei ein besseres Verständnis der neuen Gesundheitsrisiken zu erreichen. Die Forschung stecke hier noch in den Kinderschuhen.

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