Pusteblume - © Foto: pixabay

Biodiversität und Kultur: „Bitte nicht schützen!“

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Um Arten und Lebensräume zu erhalten, braucht es eine neue Mentalität, die sich am „naturgerechten Leben“ für alle orientiert. Ilja Steffelbauer und Christine Rottenbacher mit Impulsen aus der Kultur- und Landschaftsökologie.

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Um Arten und Lebensräume zu erhalten, braucht es eine neue Mentalität, die sich am „naturgerechten Leben“ für alle orientiert. Ilja Steffelbauer und Christine Rottenbacher mit Impulsen aus der Kultur- und Landschaftsökologie.

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Ende November startet die nächste UN-Klimakonferenz in Dubai, doch die Ausgangslage hat sich verändert: Das Ziel, die Erderwärmung auf durchschnittlich 1,5 Grad zu begrenzen, ist laut aktueller Forschungslage so gut wie gescheitert. Bislang weniger Beachtung findet eine ähnlich chronische Krise, die unsere Lebensgrundlagen – vor allem die Ernährungssicherheit – unmittelbar bedroht. Beinahe eine Million Arten könnten in den nächsten Jahrzehnten verschwinden und so weltweit Ökosysteme zu Fall bringen. Und die Folgen der Biodiversitätskrise könnten weitere akute Krisen wie Migration, Konflikte und Kriege befeuern. Entsprechende Lösungsansätze werden derzeit noch bis Freitag bei den „Tagen der Biodiversität“, einer großen Konferenz an der BOKU Wien, diskutiert. Die FURCHE bat Landschaftsökologin Christine Rottenbacher und Historiker Ilja Steffelbauer, beide von der Donau-Uni Krems, vorab zum Dialog: Sie werfen unterschiedliche Perspektiven auf die globale Problemlage – und machen gemeinsam deutlich, dass die Lösung vor der eigenen Haustür beginnt.

Ilja Steffelbauer: Beginnen wir mit einer Übung: Stellen wir uns zwei Kreise vor, der eine ist die Umwelt, der andere sind Sie. Wie bei der Mengenlehre bilden Sie zwischen diesen Kreisen eine Schnittmenge: Wie sähe diese aus? Spätestens seit Descartes sind diese Kreise oft getrennt. Auf der Seite des Menschen steht allerhand: Kunst, Religion, Technik, Wirtschaft, Politik: kurz Kultur, die scheinbar mit der Natur auf der anderen Seite nichts zu tun hat. Natur wird maximal als Objekt und Ressource kolonisiert – ein fataler Irrtum! Die Kulturökologie hat schon lange darauf hingewiesen, dass „Kultur“ nichts anderes ist als die Anpassungsleistung des Homo sapiens an seine Umwelt: Kultur ist die Superkraft, die es uns ermöglicht hat, als Spezies aus unserer ökologischen Nische in der Savanne Afrikas auszubrechen und so gut wie jeden Lebensraum dieses Planeten zu besiedeln. Sie war immer aufs Engste verzahnt mit der biologischen Umwelt, an die wir uns anpassten.

Christine Rottenbacher: Ein wichtiger Brückenschlag erfolgt heute über die „kulturellen Ökosystemleistungen“: Dabei werden Umweltbedingungen und konkrete Orte betrachtet, wie sich diese über die Jahrhunderte durch die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur geformt haben. Wie also wird unser Gemeingut Landschaft als Lebensraum erhalten und weiterentwickelt? Derzeit werden vermehrt verschiedene Schutzinteressen gegeneinander ausgespielt: Plötzlich steht Klimaschutz gegen Artenschutz, wenn für die Versorgungssicherheit unersetzlicher Ackerboden für Solaranlagen und Wald für Windparks geopfert wird. Wenn man sich hingegen am Begriff der „Klimaregulation“ orientiert, wird der Mehrfachnutzen einer strukturellen Diversität in unseren Lebensräumen besser sichtbar. Mit der Artenvielfalt entstehen auch wichtige „Ökosystemfunktionen“ wie Bodenbildung, Wasserspeicherung etc. So könnten wir zum Beispiel die Versorgungssicherheit mit Nahrungssmitteln, die ja bis zu 80 Prozent bestäuberabhängig ist, mit der lokalen Klimaregulation verbinden. Was es dazu braucht, sind biodiverse Boden-Wasser-Pflanzensysteme, die entsprechend ökologisch gepflegt werden.

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