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Gene sind egoistisch, behauptete einst Richard Dawkins. Gene kooperieren, erklärt nun Joachim Bauer in seinem neuen Buch. Und keiner hat ganz Recht.

Es muss ein nicht sehr großes, aber umso feineres Publikum sein, das die Bücher von Joachim Bauer schätzt. Denn sie sind keine Bestseller, sondern Longseller (sie verkaufen sich über lange Zeit gut) - was im heutigen Buchgeschäft, das auch von Hypes lebt, fast schon als Qualitätsmerkmal gelten darf.

Gottes-Gen, Untreue-Gen?

Dabei gibt es ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die populärwissenschaftlichen Arbeiten des Medizinprofessors mit den Forschungsschwerpunkten Psychosomatik und Neurobiologie zieht: Er will allgemein verständlich machen, wie zwischenmenschliche Erfahrungen sich in biologischen Erfahrungen niederschlagen. Insbesondere geht es ihm auch darum, die bei vielen Laien vorhandene Meinung zu korrigieren, dass Gene quasi allmächtig sind - und unser Leben bestimmen. Gerade auch die Medien verbreiten diese Sicht: Angefangen vom Gottes-Gen, das uns vermeintlich erst gläubig sein lässt, bis hin zum Untreue-Gen, von dessen angeblicher Entdeckung die Presse anfang September berichtete. In einem großen Furche-Interview konterte Bauer den vorhandenen Gen-Zentrismus mit dem Satz: "Gene fahren nicht auf Autopilot" (Furche 18/07). Denn Gene sind, das weiß zumindest jeder Biowissenschafter, nur ein Teil eines komplizierten molekularen Netzwerks - und werden selbst auch gesteuert. Sie stehen unter dem Kommando eines Gen-Schalters, eines Promotors. Dieser wiederum wird von Signalbotenstoffen an- oder abgeschaltet. Deren Vorhandensein schließlich kann von uns und unseren Beziehungen abhängen, wie Bauer in seinem Buch "Das Gedächtnis des Körpers" (2002) an einem schönen Beispiel zeigt: dem Stress.

Dieses, sein erstes Buch, ist vielleicht auch das beste, bietet es doch eine breite und locker zu lesende Einführung in das Thema. Die folgenden Bücher erweitern oder vertiefen den einen oder anderen Aspekt: "Warum ich fühle, was du fühlst" (2005) konzentriert sich auf das Wissen um die Spiegelneuronen. Diese speziellen Nervenzellen bilden die neurobiologische Basis dafür, dass wir uns in andere einfühlen können; bei Autisten etwa ist dieses Spiegelsystem gestört.

Auch das nächste Buch "Prinzip Menschlichkeit" scheint da zuerst nur eine logische Fortsetzung zu sein. Bauer hatte in "Das Gedächtnis des Körpers" schlüssig gezeigt, dass, wo sich Quantität und Qualität von zwischenmenschlichen Beziehungen vermindern (bei Stress, Depression etc.), sich das Krankheitsrisiko (z. B. für Herzinfarkt) erhöht.

Homo cooperativus?

Ergo soll nun umgekehrt gelten: Der Mensch ist von Natur aus auf Kooperation hin angelegt. Denn offensichtlich belohnt das Gehirn gelungenes Miteinander mit der Ausschüttung von Botenstoffen, die gute Gefühle und Gesundheit erzeugen. Im soeben erschienenen Buch "Das kooperative Gen" erhebt Bauer die Kooperation schließlich zu einem alles durchdringenden Natur-Prinzip, das sich selbst auf niedrigster Ebene wiederfinden lässt. Das Leben selbst ist für Bauer etwa erst durch die Kooperation von Proteinen und Genen möglich geworden. Mit diesem Zugang grenzt er sich auch scharf von Richard Dawkins ab, der Gene als egoistische Replikatoren beschreibt, die den Menschen bloß als "Überlebensmaschine" gebrauchen. Auch hält Bauer das darwinistische Credo vom "Kampf ums Überleben" für unzureichend, da es gewisse biologische Phänomene nicht erklären kann. Bei so viel Darwin- und Darwinisten-Kritik tut er gut daran, sich von den Kreationisten klar zu distanzieren; er bezeichnet deren Konzepte als "rational völlig unhaltbar", womit er sicherlich richtig liegt.

Doch wie haltbar ist Bauers dritter Weg - zwischen Darwinismus und Kreationismus? Die Wissenschaft selbst ist korrekt. Das kann man vom ideologischen Überbau, der gerade im jüngsten Buch besonders stark durchdringt, allerdings nicht sagen: Der ist nur mehr politisch korrekt. Der Knackpunkt ist, dass Bauer den positiv gefärbten Begriff der Kooperation zu einer gutmenschlichen Weltsicht überhöht (siehe auch das Interview unten). Es macht natürlich einen Unterschied, ob man feststellt: Moleküle kooperieren oder Moleküle reagieren miteinander. Letzteres klingt wertneutraler.

Auch verwenden Biologen das Wort Kooperation in vielfältiger Weise. Etwa für die Endosymbiose, einer Kooperation von (prokaryotischen) Lebewesen, die so eng ist, dass keiner der ursprünglich getrennten zellulären Organismen ohne den anderen mehr leben kann. Auch das ist Evolution und die kann von Darwins Theorie tatsächlich nicht erklärt werden - da hat Bauer (wieder einmal) völlig recht. Aber typisch ist auch, dass Bauer Kooperationen mit ungleichen Vorteilen unerwähnt lässt: Ein klassisches Beispiel wäre der Parasitismus, wo ein Wettrüsten zwischen Wirt und Parasit stattfinden kann - und sich Evolution à la Darwin auch gut beobachten lässt. Vom "Abschied von Darwinismus" - so der Untertitel des neuen Buches - kann also keine Rede sein. Doch an anderen Stellen finden sich auch vorsichtigere Formulierungen: Dass der Darwinismus etwa "unvollständig" und "einseitig" sei. Als Ergänzung sind die Bauer'schen Ideen (und es sind nicht nur seine) willkommen und richtig; nur kommen sie manchmal selbst allzu einseitig daher - was ihn zu einem Spiegelbild mancher dogmatischer Soziobiologen werden lässt.

Ehrliche Schadenfreude

Schließlich bleibt die problematische These vom Menschen, der von Natur aus auf Kooperation hin angelegt sein soll (die der Medizinprofessor das erste Mal in "Prinzip Menschlichkeit" entfaltet). In einer schwachen Form ist diese These unbestreitbar: So wie der Mensch von Natur aus darauf angelegt ist, hundert Meter in fünfzehn Sekunden (nicht aber fünf) laufen zu können, kann er auch kooperativ agieren. Doch Bauer will damit wohl mehr sagen: Der Mensch sollte - um seiner Natur gerecht zu werden - ein wohlwollendes Miteinander pflegen, weil nur so unser Belohnungssystem gute, lebensverlängernde Stoffe ausschüttet. Gegen diese starke biologistische Glücks-These wiederum gäbe es viele Einwände. Einer wäre die neurobiologische Erkenntnis, die eine Forschergruppe um den Bonner Wirtschaftswissenschafter Armin Falk unlängst veröffentlichte (in Science, 22.11.07): Sie konnten mit Gehirnscans zeigen, dass das Belohnungsareal im Gehirn stärker aktiviert wird, wenn andere für gleiche Leistungen weniger Geld bekommen. Doch das wusste der Volksmund eigentlich schon immer: Schadenfreude ist die ehrlichste Form der Freude.

Fazit: Die letzten zwei Bauer-Bücher sind mit Vorsicht zu genießen (wobei das neueste für molekularbiologisch Unbedarfte ziemlich anspruchsvoll sein dürfte). Aber genießen darf man sie dann allemal.

DAS KOOPERATIVE GEN

Von Joachim Bauer

Hoffmann & Campe, Hamburg 2008 223 Seiten, geb., € 20,60

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