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Richard Dawkins: "Die Religion hat verloren"

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Richard Dawkins, ebenso brillanter wie scharfzüngiger Evolutionsbiologe, über Charles Darwin, die These vom "intelligent design" und kulturelle Viren im Kopf.

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Richard Dawkins, ebenso brillanter wie scharfzüngiger Evolutionsbiologe, über Charles Darwin, die These vom "intelligent design" und kulturelle Viren im Kopf.

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DIE FURCHE: Sie gelten als Liebhaber von Poesie und Literatur. Wie gut gefällt Ihnen die Genesis, das erste Buch der Bibel?

Richard Dawkins: Vieles in der Bibel, zumindest in der englischen Übersetzung des 16. und 17. Jahrhunderts, ist überwältigende Literatur. Mein absolutes Lieblingsbuch ist "Kohelet". Was die Genesis betrifft, so blättere ich von Zeit zu Zeit darin. Das ist eben der Ursprungsmythos des Volkes Israel, aber es ist für mich nicht spezieller als andere Ursprungsmythen, von denen es hunderte gibt.

DIE FURCHE: Wie geht es Ihnen bei dem Gedanken, dass manche Menschen diesen Mythos wörtlich nehmen?

Dawkins: So etwa zeugt von enormer Ignoranz - nicht nur gegenüber der Wissenschaft, weil es ja klar ist, dass das kein wissenschaftlicher Text ist, sondern auch gegenüber der Tatsache, dass es so viele andere Schöpfungsmythen gibt. Jedes afrikanische Volk hat seinen Ursprungsmythos, und viele davon sind wunderschön.

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Richard Dawkins

Wenn Richard Dawkins etwas nicht leiden kann, dann Ignoranz. Oder zumindest das, was er als Ignoranz empfindet. Entsprechend wütend ist der namhafte Biologe und Inhaber des 1995 neu geschaffenen "Charles Simonyi Chair of Public Understanding of Science" an der Universität Oxford über jenen Artikel in der New York Times, in dem sich der Wiener Kardinal Christoph Schönborn für die These vom "intelligent design" ausgesprochen hat. Für Dawkins, der 1941 in Nairobi geboren wurde, beim Verhaltensforscher Niko Tinbergen studierte und mit seinen Büchern - "The Selfish Gene" (1976), "The Ancestor's Tale" (2004) - regelmäßig Bestseller landet, eine "idiotische" Theorie. Kein Wunder, dass Dawkins' Besuch bei den Alpbacher Technologiegesprächen ganz im Zeichen dieser aktuellen Debatte stand.

Wenn Richard Dawkins etwas nicht leiden kann, dann Ignoranz. Oder zumindest das, was er als Ignoranz empfindet. Entsprechend wütend ist der namhafte Biologe und Inhaber des 1995 neu geschaffenen "Charles Simonyi Chair of Public Understanding of Science" an der Universität Oxford über jenen Artikel in der New York Times, in dem sich der Wiener Kardinal Christoph Schönborn für die These vom "intelligent design" ausgesprochen hat. Für Dawkins, der 1941 in Nairobi geboren wurde, beim Verhaltensforscher Niko Tinbergen studierte und mit seinen Büchern - "The Selfish Gene" (1976), "The Ancestor's Tale" (2004) - regelmäßig Bestseller landet, eine "idiotische" Theorie. Kein Wunder, dass Dawkins' Besuch bei den Alpbacher Technologiegesprächen ganz im Zeichen dieser aktuellen Debatte stand.

DIE FURCHE: Anders als die Kreationisten, die den biblischen Mythos wörtlich nehmen, bestreiten die Anhänger des "intelligent design" "nur" die Zufälligkeit der Evolution und gehen von einem göttlichen Masterplan aus. Sie haben diese beiden Richtungen in einem Interview gleichgesetzt ...

Dawkins: Wenn man unter Kreationismus versteht, die Bibel wortwörtlich auszulegen, dann wäre diese Gleichsetzung tatsächlich unfair. Aber für mich gehen Kreationisten davon aus, dass die Welt von einer übernatürlichen Intelligenz geplant wurden. Insofern ist das das gleiche wie die Theorie von "intelligent design".

DIE FURCHE: Das Hauptargument der Anhänger des "intelligent design" - darunter Kardinal Christoph Schönborn - ist, dass die Welt nicht aus purem Zufall entstanden sein konnte ...

Dawkins: Die Welt hat sich auch sicher nicht rein zufällig so entwickelt, sondern wir haben es mit schrittweisen Veränderungen und einer Anhäufung von Wissen zu tun. Das große Problem der Biologie ist ja, diese unglaubliche, organisierte Komplexität zu erklären, also die statistische Unwahrscheinlichkeit zu begreifen, dass etwas so gut funktionieren kann, wie es funktioniert. Jedes Tier, jede Pflanze hat bestimmte, außerordentliche Fähigkeiten: Vögel sind ausgezeichnete Flieger, Fische sind sehr gute Schwimmer. Diese Phänomene können nicht das Produkt reinen Zufalls sein.

DIE FURCHE: Wessen Produkt sind sie dann?

Dawkins: Wenn man sagt, sie sind das Produkt von Design, dann setzt man einen Designer voraus, der mindestens ein so unwahrscheinliches, kompliziertes Wesen sein muss wie das, was er geschaffen haben soll. Da stellt sich die Frage: Wo kommt dieser Schöpfer her? Wer hat Gott designt? Die Schönheit der Evolutionstheorie - ich würde sagen der Evolutionstatsache - ist ja, dass sie erklärt, woher diese Komplexität stammt.

DIE FURCHE: Die Frage nach dem "Warum?" kann aber auch die Evolutionstheorie nicht erklären ...

Dawkins: Ja, aber das ist eine vergleichsweise triviale Frage im Vergleich zur Frage nach der Entstehung des Menschen. Und welche Antwort man auch immer auf das Warum findet: Es hilft uns nicht aus dem Dilemma, dass wir einen Schöpfer brauchen und wir uns fragen müssen, woher er kommt. Der Darwinismus hat jedenfalls unser Bewusstsein geweckt für die Macht, die in der schrittweisen Entwicklung, der graduellen Verbesserung liegt. Wir wissen also, dass sich die belebte Natur so entwickelt hat. Im Bereich der unbelebten Natur und des Urknalls wissen wir es nicht. Aber Darwins Theorie hat der Wissenschaft das Vertrauen gegeben, auch im Bereich der Kosmologie ähnliche Erklärungen zu suchen. Und auch wenn wir hier scheitern sollten, eines wissen wir absolut sicher: Dass ein Designer nicht hilft, weil es noch größere Fragen aufwirft, als er beantwortet.

DIE FURCHE: Die moderne Schöpfungstheologie erhebt ohnehin längst nicht mehr den Anspruch, naturwissenschaftliche Weltenstehungsmodelle zu liefern. Ihr geht es um das Verhältnis des Menschen zu einem personalen Gott, der seit jeher existiert ...

Dawkins: Wenn moderne Theologen sagen, Glauben und Wissenschaft sind zwei unterschiedliche Dinge - so nach dem Motto: wir lassen die Naturwissenschafter ihre Dinge erledigen und die Religion macht ihren Job -, dann ist das eine Ausflucht. Schließlich sind sie immer noch konfrontiert mit der Frage: Woher kommt Gott? Man kann nicht sagen: Er war immer da. Denn wenn man das sagt, dann muss man auch sagen, dass das Universum und das Leben immer schon existiert hat. In gewisser Weise ist das ein endgültiger Rückzug der Religion, die die Erklärungs-Schlacht verloren hat und nun sagt: Wir haben ja gar nie versucht, irgend etwas zu erklären, wir glauben nur.

DIE FURCHE: Sie beschreiben die Evolutionsgeschichte in Ihrem Buch "Climbing Mount Improbable" als Berg der Unwahrscheinlichkeit, von dem es drei Botschaften gebe ...

Dawkins: Richtig. Erstens gibt es auf diesem Berg keine plötzlichen Aufwärtssprünge, also keine steilen Anstiege der Komplexität. Zweitens kann es nie abwärts gehen - die einzelnen Arten können sich gegenüber ihren Vorgängern nicht verschlechtern. Und drittens kann es mehr als nur einen Gipfel geben, also mehr als eine Möglichkeit, ein Problem zu lösen. So ist es dazu gekommen, dass es im Tierreich mehr als 40 verschiedene Arten von Augen gibt.

DIE FURCHE: Können sich die Arten auch dann nicht zurückentwickeln, wenn die äußeren Umstände sich verschlechtern - etwa durch eine nachhaltige Zerstörung der Umwelt?

Dawkins: Es könnte zu einer Rückentwicklung kommen, wenn es eine Entspannung in der natürlichen Selektion gibt. Wenn etwa eine Katastrophe eintritt, die alles Leben ausgelöscht - außer Ratten -, dann könnten sich die Ratten auf ihrem Entwicklungsweg hin zu größeren Tieren zeitweise zurückentwickeln, weil es keinen Konkurrenzkampf gibt.

DIE FURCHE: Sie haben sich nicht nur mit der biologischen, sondern auch mit der kulturellen Evolution beschäftigt. In Ihrem Buch "Das egoistische Gen" von 1976 nennen Sie die Träger des kulturellen Gedächtnisses "Meme", also Ideen, die wie "Viren des Geistes" funktionieren. Was bedeutet das?

Dawkins: Seit ich das geschrieben habe, hat man Computerviren erfunden, also Codes, die die Tatsache ausnutzen, dass Computer alles befolgen, was man ihnen aufträgt. Sie folgen also auch schlechten Anleitungen wie: Lösche diese Harddisk, aber sende mich vorher an einen anderen Computer weiter. Das menschliche Gehirn funktioniert ähnlich: Wie hören Dinge, wir verbreiten Gerüchte, wir geben Anleitungen weiter - manche davon sind gut, andere nicht. Ein Lehrling lernt von einem Zimmermann-Meister, wie man einen Hammer benutzt, er kopiert ihn und gibt diese Fähigkeit an seinen Lehrling weiter. So entsteht ein kulturelles Erbe.

DIE FURCHE: Kann man also nicht nur von "egoistischen Genen" sondern auch von "egoistischen Ideen" sprechen?

Dawkins: Ja. So etwas wie ein Gerücht kann durchaus falsch sein, aber es hält sich trotzdem. Viele Leute glauben zum Beispiel immer noch, dass Elvis Presley lebt. Auch wenn es nicht wahr ist, möchten sie solche Geschichten weitergeben, um andere zum Lachen oder Staunen zu bringen. Nach 20 Generationen wird sich dieses Gerücht dann in eine zufällige Richtung verändern - und vermutlich noch viel grotesker sein als zu Beginn.

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