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Mit der These vom Ende

Sein jüngstes Opus "Fühlen, Denken, Handeln" ist vergriffen, seine Vorträge werden gestürmt: Gerhard Roth - Neurobiologe, Philosoph und neben seiner Tätigkeit als Vorstand des Instituts für Hirnforschung an der Uni Bremen auch Rektor des Hanse Wissenschaftskollegs - hat mit der Rede vom Ende der Willensfreiheit Aufsehen erregt. Zwar hat er nicht behauptet, dieses Problem gelöst zu haben, der Vorwurf des Reduktionismus steht dennoch im Raum. Im Interview mit der furche verteidigt Roth seine Thesen und spricht über ihre Folgen für Theologie, Philosophie und Strafrecht.

die furche: Von Seiten der Neurowissenschafter wird behauptet, in den Versuchen von Benjamin Libet (1983) sowie Patrick Haggard und Martin Eimer (1999) habe man zu Tage gefördert, dass unser Gehirn unbewusst längst entschieden hat, bevor uns der vermeintliche "Willensakt" bewusst wird. Daraus schlussfolgern Sie das Aus des freien Willensaktes. Manche kritisieren die Art der Beweisführung und bezweifeln, ob das eine für das andere ursächlich sein muss.

Gerhard Roth: Im Bereich der empirischen Wissenschaften kennt man nur eine Art von Kausalität: jene, die entlang dem Zeitpfeil von der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Das Argument der Kritiker ist, dieses Vorher oder Nachher spiele dabei keine Rolle. Wenn ich aber nachweisen kann, dass das Gefühl "Ich will etwas" immer in einem festen Zeitabstand folgt, nachdem Hirnprozesse in irgendeiner Weise abgelaufen sind, wird kein vernünftiger Mensch davon sprechen können, diese beiden Ereignisse seien nicht zeitlich korreliert. Die zeitlichen Unterschiede sind beträchtlich, nämlich eine halbe Sekunde. Das ist so langsam, dass man es subjektiv erlebt. Man kann zeigen, dass alles, was in der Hirnrinde, unserem bewusstseinsfähigen Organ, beginnt, frühestens nach einer drittel Sekunde bewusst wird. Wenn man das nicht so sieht, müsste man all diese Experimente zu einer Illusion erklären. Dann muss man folgerichtig sagen, die Naturgesetze haben nur eine beschränkte Bedeutung. Wenn ich das aber als Philosoph oder Theologe tatsächlich meine, dürfte ich mich nie mehr in ein Auto setzen.

die furche: Gerade von Seiten der Theologie und Philosophie wird Ihnen semantische Vermischung vorgeworfen. Lehnt sich die Hirnforschung mit Aussagen über Bewusstsein und Willensfreiheit nicht über die Grenzen der eigenen Zunft hinaus?

Roth: Diese Grenzen der Naturwissenschaften sind keine natürlichen. In früheren Jahrhunderten waren Naturwissenschafter immer auch Philosophen. Nur umgekehrt überschreiten die Philosophen und Theologen ständig ihre Grenzen. Die Theologie redet über alles, und die Philosophie redet über Physik, Chemie, das Weltall und den freien Willen. Und die Naturwissenschafter müssen ihren Mund halten und dürfen nicht über philosophische Probleme reden? Das ist nicht einzusehen.

die furche: Dennoch wirft man Ihnen animistisches Sprechen vor ...

Roth: Dieses Sprachverbot ist eines der schlimmsten, die man aussprechen kann. Man stellt fest, dass es ein Organ in unserem Körper gibt, das Gehirn, das auf eine Weise, die zugegebenermaßen nicht völlig verstanden ist, Gefühle, Handlungen und Gedanken produziert. Daran zweifelt niemand mehr. Und gleichzeitig stellt man fest, dass das subjektive Ich nicht der Produzent dieser Gedanken, dieses Bewusstseins und der Gefühle ist, sondern das Gehirn. Dass das Gehirn das Ich hervorbringt und dass das Gefühl "Ich entscheide" eine Illusion ist - wenn auch für unsere Handlungsplanung und Verhaltenssteuerung eine sehr wichtige -, das ist nur ein empirischer Befund.

die furche: Sie sprechen einerseits vom Ende der Willensfreiheit, andererseits von der nach wie vor vorhandenen Autonomie menschlichen Handelns. Wie geht das zusammen?

Roth: Die Autonomie besteht darin, dass wir als Gesamtperson, nicht nur als subjektiv empfindendes Ich, auf Grund unserer gesamten Lebenserfahrung handeln. Der Hirnforscher und Psychologe kann dabei aber zeigen, dass es nicht dieses subjektiv erlebende Ich ist, das entscheidet, sondern vorher das Gehirn. Der Knackpunkt ist: Was auch immer unser Denken, unser Bewusstsein tut, es geht in die Entscheidung zweifellos ein, aber es ist nicht letztlich ausschlaggebend. Je komplexer die Situation wird, desto mehr beginnt man im Bewusstsein abzuwägen. Der absolute Schlussstrich wird dann aber nicht rational, sondern emotional gezogen.

die furche: Wozu abwägen, wenn sich die Emotionen ohnehin durchsetzen?

Roth: Man muss die Entscheidung bewusst und sprachlich vor der eigenen Umgebung und sich selbst rechtfertigen. Außerdem haben die unbewussten, verhaltenssteuernden limbischen Zentren nur eine geringe Informationsverarbeitungskapazität. Gefühle sagen einem: hierhin oder dorthin. Sie geben aber meist keine Gründe an. Unseren Verstand, unser Bewusstsein haben wir, damit wir große Datenmengen miteinander vereinigen und abwägen können. All diese komplexen Entscheidungen kann das limbische System nicht treffen. Die Großhirnrinde, das Ich, ist also ein riesiger Beraterstab, der Dinge ausbreiten kann, die das Gefühl niemals erwägen könnte.

die furche: Gibt es ein oder mehrere "Iche"?

Roth: Es gibt sicher acht bis zehn Ich-Zustände, zum Beispiel das Körper-Ich, das Erlebnis-Ich, das autobiographische Ich, das Handlungs-Ich, das Willens-Ich, das reflexive Ich und so weiter. Sie alle haben unterschiedliche Funktionen. Diese verschiedenen Ich-Zustände entstehen beim Kleinkind nacheinander und sind notwendige Konstruktionen der Bündelung von Willenszuständen. Das Gehirn ist ja immer konfrontiert mit der Frage: Was tu ich als nächstes? Wir könnten unendlich viele Dinge tun, aber nicht auf einmal. Deshalb muss das Gehirn sich auf eine Handlung fokussieren. Das ist ein außerordentlich schwieriger Entscheidungsprozess. Ohne diese Bündelung, die wir als Willensakt empfinden, wäre eine Handlung nicht möglich.

die furche: Sie haben gemeint, die Folgen dieser Erkenntnisse stellen sich weniger für die Neurobiologie als für die Theologie, Philosophie und Rechtssprechung. Eine Frage an den Philosophen: Welcher Platz bleibt der Verantwortung?

Roth: Die Feststellungen der Hirnforschung sind für unser subjektives alltägliches Leben völlig neutral. Der Mensch fühlt sich dann frei, wenn er tun kann was er will. Und die Frage, ob sein Wille frei ist, interessiert ihn dann nicht mehr. In der Rechtssprechung ist es natürlich ganz anders. Sie beruht, zumindest in Deutschland, auf der Annahme, der - wenn auch eingegrenzten, aber doch vorhandenen - Freiheit des Willens, woraus Schuld und Sühne folgen. Der Straftäter hätte also auch anders handeln können, wenn er nur gewollt hätte. Diese Annahme ist natürlich rein philosophisch und weitestgehend eine Fiktion. Die Idee, dass Täter nicht universell frei sind, ist ja allgemein akzeptiert. Schaut man aus psychologischer Sicht auf die Mörder, dann würde niemand behaupten, dass Mörder freie Menschen sind. Mörder sind Soziopathen und Psychopathen. Nun gibt es also überwältigend klare Evidenzen aus der forensischen Psychologie, der Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungspsychologie und Neuropsychologie, die das Strafrecht nicht länger ignorieren kann. Ob es Philosophen oder Theologen wollen oder nicht: Das wird in nicht zu ferner Zeit zu einer krassen Umwälzung des Strafrechts führen.

die furche: Welcher Platz bleibt bei dieser Sicht dem persönlichen Gewissen?

Roth: Natürlich gibt es das Gewissen als Phänomen, doch es beruht auf positiver und negativer Konditionierung, also Belohnung und Vermeidung von Strafe. Diese Konditionierung läuft zum großen Teil völlig unbewusst ab und gräbt sich tief in uns ein. Man könnte sonst überhaupt nicht erklären, weshalb Menschen an einem Ort der Welt die entsetzlichsten Gewissensbisse haben, wenn sie jemanden töten, und anderswo die entsetzlichsten Gewissensbisse haben, wenn sie jemanden, etwa die so genannten Feinde, nicht töten. Das Gewissen ist leider weitgehend frei verfügbar.

die furche: Und wo bleibt die Seele? Manche glauben ihren Aufweis in Nahtoderfahrungen erlebt zu haben.

Roth: Ich bin selbst als junger Mann mit 29 Jahren mit dem Auto gegen einen Zug gefahren und habe eine Nahtoderfahrung gehabt. Doch alle typischen Symptome haben wohlbekannte Ursachen: Der Tunnelblick kommt dadurch zustande, dass unser Gesichtsfeld eingeengt wird und der helle Bereich zu einem kleinen hellen Fleck schrumpft. Die Ursache dafür ist eine mangelnde Interaktion zwischen dem Hinterhauptslappen und dem Scheitellappen, die beide unser Gesichtsfeld und unser räumliches Sehen konstituieren. Das unendliche Wohlgefühl kommt dadurch zustande, dass bei extremem Schmerz Endorphine ausgeschüttet werden, hirn-eigene Opiate. Und zur "out-of-body-experience", dem Gefühl, neben sich selbst zu stehen, muss man wissen, dass die Empfindung, im eigenen Körper zu stecken, ein Konstrukt des Scheitellappens ist.

die furche: Sie lassen also Nahtoderfahrungen nicht als Hinweis auf ein Leben nach dem Tod und eine unsterbliche Seele gelten?

Roth: Nein. Ob es ein Jenseits gibt, darüber kann kein Neurobiologe, aber auch kein Philosoph oder Theologe etwas aussagen, das wissen wir nicht. Erschreckend ist nur, dass jene Menschen, die von Nahtoderfahrungen berichten, sagen, das Jenseits sähe aus wie das Diesseits. Und das finde ich doch sehr merkwürdig.

die furche: Ihre Thesen haben Ihnen unter anderem auch den Vorwurf des Reduktionismus eingebracht. Ist der Mensch tatsächlich nur eine neurologische Maschine?

Roth: Das behauptet doch kein Forscher ernsthaft, ich am allerwenigsten. Der Mensch ist schon deshalb keine neurologische Maschine, weil die Neurologie, so viel Aufwand sie treibt, immer nur bestimmte Aspekte des Daseins erfassen kann. Was ich als Hirnforscher und Neurobiologe an einer Nervenzelle untersuche, sind auch nur wenige Eigenschaften. Selbst bei einer Nervenzelle gelingt es nicht herauszufinden, was sie im umfassenden Sinne ist, geschweige denn, was ein Gehirn oder gar ein Mensch insgesamt ist. Ich würde niemals behaupten, als Neurobiologe die soziale oder künstlerische Existenz eines Menschen erfassen zu können. Die Neurobiologie ist eine Wissenschaft, die weit reichende Folgen hat, aber die nur bestimmte Aspekte unserer Existenz erfassen kann. Andere Aspekte muss man anderen Disziplinen überlassen. Am wichtigsten aber ist, dass diese Disziplinen tolerant miteinander reden.

Das Gespräch

führte Doris Helmberger

Informationen zum Thema

bietet auch das neue, vierteljährlich erscheinende Magazin "Gehirn & Geist" von Spektrum der Wissenschaft. Infos unter www.gehirn-und-geist.de

NEUROWISSENSCHAFTEN UND

PHILOSOPHIE. Eine Einführung.

Von Michael Pauen und Gerhard Roth (Hg.) Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 342 Seiten, kart., e 18,50/öS 254,60

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