Gottes Spuren im Gehirn

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Sind religiöse Erfahrungen nicht mehr als neurobiologische Prozesse? Ist Gott nur ein Hirngespinst? Die fünfte ökumenische Sommerakademie in Kremsmünster suchte nach Antworten.

Sie wurden zu Boden geschleudert und in rätselhafte Zuckungen versetzt - kein Wunder, dass die Gelehrten lange Zeit glaubten, hier hätten die Götter selbst ihre Hände im Spiel: Seit Hippokrates galt Epilepsie als "Heilige Krankheit" schlechthin. Tatsächlich schienen die Indizien zahlreich: Berichtete der Prophet Mohammed nicht von Visionen? Verkündete der Apostel Paulus nicht, die Stimme Gottes vernommen zu haben?

Lange Zeit beließ man diese Zusammenhänge im Reich des Unerklärlichen. Doch mit dem Siegeszug der Neurowissenschaften gab man sich mit Spekulationen über die Wechselwirkungen von Glaube und Gehirn nicht mehr zufrieden: So konnte der Kanadische Neuropsychologe Michael Persinger in den achtziger Jahren nachweisen, dass spirituelle Erfahrungen bei Epileptikern häufiger auftraten als bei gesunden Personen. Mit magnetischen Signalen erzeugte er im Schläfenlappen des Gehirns epileptische Mikroanfälle, die von den Patienten als Gotteserlebnisse beschrieben wurden.

Blutleere Ekstase

Auch der Neurologe Andrew Newberg von der University of Pennsylvania machte sich jüngst auf die Spur nach dem Glauben im Kopf - und veröffentlichte seine Erkenntnisse im Buch "Der gedachte Gott" (Piper Verlag). Mit Hilfe einer SPECT-Kamera (Single Photon Emission Computed Tomography) hatte er untersucht, was sich im Gehirn betender Nonnen und meditierender Buddhistenmönche abspielte. Während die Durchblutung eines Areals, das der räumlichen Orientierung dient und deshalb von Newberg als "Orientierungsfeld" bezeichnet wird, normalerweise überaus rege war, trat bei den Versuchspersonen "Funkstille" ein. Newbergs Erklärung: In religiöser Ekstase würde nicht nur die räumliche Orientierung verschwinden, sondern auch die Grenze zwi- schen Außenwelt und Selbst.

Ist also der Glaube - und mit ihm womöglich Gott selbst - nichts anderes als ein Hirngespinst? Eine schwierige Frage, der man vergangene Woche auch im Rahmen der fünften ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster auf den Grund gegangen ist. Titel der Tagung: "Seele, wo bist du - Hirnforschung und Menschenbild"*. Für den Tübinger evangelischen Theologen Jürgen Moltmann sind Glaubenserfahrungen jedenfalls mehr als bloße neurobiologische Prozesse: "Eine religiöse Erfahrung ist etwas ganz anderes als eine Ekstase, wie man sie mit Hilfe von Drogen erreicht", betont er im Furche-Gespräch. Jede Lebenserfahrung besitze eine transzendente Dimension - nicht nur außerordentliche Erlebnisse. Folglich könnten Hirnforscher nicht behaupten, religiöse Erfahrungen experimentell hervorrufen zu können, so Moltmann: "Wenn solche Versuchspersonen behaupten, sie hätten eine religiöse Erfahrung gemacht, ist das eine Interpretation. Oder wissen sie, dass es Gott war?"

Von diesem Wissen sind sie weit entfernt - ebenso wie die Hirnforscher selbst: "Bisher gibt es im Bereich spiritueller Phänomene nur schlechte Untersuchungen", gesteht der Ulmer Psychiater Manfred Spitzer offen ein. Zwar interpretiert das menschliche Gehirn als bedeutungsgenerierendes System Sinneseindrücke und fertigt daraus ein Konstrukt der Welt an. Daraus jedoch zu schließen, dass die Vorlage für dieses Konstrukt selbst eine Illusion sei, ist nach Spitzer nicht zulässig. "Auch die Liebe ist im Gehirn verankert. Deswegen können wir nicht sagen, dass es sie nicht gibt."

Gott wird also nicht einfach "obsolet", wenn es gelingt, die Spuren religiöser oder spiritueller Empfindungen im Gehirn nachzuvollziehen. Er wird auch nicht überflüssig, wenn die zahlreichen Zeugnisse von Nahtoderfahrungen zu "biologischen Phänomenen" erklärt werden, wie dies erst jüngst im Magazin Gehirn & Geist (Heidelberg, 3/2003) geschehen ist. Die Schilderungen, durch einen Tunnel gewandelt zu sein, einen "Lebensfilm" gesehen oder den eigenen Körper von außen betrachtet zu haben ("Out of Body Experience"), seien nach Meinung des Neurophysiologen Detlef B. Linke von der Universität Bonn "letzte Abwehrstrategien" des Gehirns: Die neuronale "Vorhersagemaschine" sei einfach mit der Tatsache überfordert, dass die gesamte Zukunft auf einen Augenblick zusammenschrumpft.

Leben nach dem Tod

Wie genau diese Nahtoderfahrungen erlebt werden, hängt nach Meinung des Kölner Hirnforschers Wolfgang Walkowiak sehr stark von der Sozialisation der Person ab: "Manche sehen den Himmel oder bereits verstorbene Verwandte. Andere sehen Aliens oder den Abgrund der Hölle." (Siehe auch Interview rechts).

Ist damit der Glaube an ein Leben nach dem Tod oder an eine unsterbliche Seele, wie er durch die griechische Philosophie in die christliche Theologie kam, erschüttert? Nein, meint der Theologe Jürgen Moltmann. Nahtoderfahrungen seien zwar keine Jenseits-, sondern Diesseitserfahrungen. Doch: "Warum sollten Menschen das nicht als Hinweis für etwas anderes nehmen? Man mag das als psychische Phänomene abtun, aber auch eine Kuh existiert in unserem Kopf als psychisches Phänomen - und ebenso in der Wirklichkeit."

Auch für den Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger ist Gott durch solche Phänomene weder zu beweisen noch als "Hirngespinst" abzutun: "Die Objektivität Gottes stellt keine Objektivität im Sinne der empirischen Wissenschaft dar. Sondern sie ist die persönliche Überzeugung, dass es diesen Gott gibt."

Freier Wille als Illusion

Zur Entscheidung für Gott gehört notwendigerweise Freiheit. Gerade ihre Existenz wird aber von manchen Neurowissenschaftern in Zweifel gezogen. So beschreibt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth den freien Willen als nützliche Illusion des Gehirns: Wenn unser Bewusstsein - auch das im übrigen ein Konstrukt unseres Gehirns - glaube, sich entschieden zu haben, sei die Entscheidung in den zuständigen Hirnarealen längst gefallen.

Dass der Mensch von seinem Gehirn vollkommen determiniert ist, glaubt auch Michael Rosenberger - freilich könne man dies nur aus naturwissenschaftlicher Beobachterperspektive behaupten: Subjektiv gesehen sei der Wille notwendigerweise frei - schließlich sei Freiheit ein existenzielles Grundgefühl des Menschen. "Es gibt eben zwei Zugänge zur Wirklichkeit", so Rosenberger. "Das müssen auch die Hirnforscher akzeptieren."

* Eine Veranstaltung von Radio Oberösterreich, der Hauptabteilung Religion im ORF-Fernsehen, dem Ökumen. Rat der Kirchen Österreichs, der OÖ. Landeskulturdirektion, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz und dem Evangel. Bildungswerk Oberösterreich.

Nähere Informationen zu den Ergebnissen der Sommerakademie unter linz.orf.at und religion.orf.at.

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