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Der letzte nicht bekannte Kontinent

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„Einen akademischen Raum und Rahmen zur Pflege wissenschaftlicher Weiterbildung als Hilfe zu christlicher Lebensgestaltung” wollen die Salzburger Hochschulwochen bieten, sagt der Obmann des Direktoriums, P. Paulus Gordan OSB. Die bedeutende Veranstaltung findet heuer zum 51. Mal statt.

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„Einen akademischen Raum und Rahmen zur Pflege wissenschaftlicher Weiterbildung als Hilfe zu christlicher Lebensgestaltung” wollen die Salzburger Hochschulwochen bieten, sagt der Obmann des Direktoriums, P. Paulus Gordan OSB. Die bedeutende Veranstaltung findet heuer zum 51. Mal statt.

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„Mensch sein — Mensch werden” nannte der evangelische Theologe Helmut Thielicke seinen 1976 erschienenen umfassenden „Entwurf einer christlichen Anthropologie”. Thielicke, mit dessen „Theologischer Ethik” wir uns in Salzburg beim Bendedikti-ner Albert Auer zu befassen hatten, ehe noch jemand auf dem versöhnenden Harmonium der Ökumene spielte, war deutlicher evangelischer Widerpart.

Denn für Auers Naturrecht mit der ebenso unfaßbaren wie unantastbaren Freiheit des Menschen auf Grund des Imago-Dei-Seins konnte der kontrapunktische Gegner nur ein Lutheraner sein, der das Bild des Menschen auf Grund der Ursünde nicht nur, wie katholischerseits vertreten: als ge-sprungen, sondern als total zer-sprungen, zer-scherbt sieht. Dementsprechend steht hier, auch für Thielicke, das .Angebot der Vergebung”, die Chance der göttlichen Gnade.

Mensch sein — Mensch werden: Die Dimension des Unendlichen schlägt zu Buch wie Edgar Morin im „Rätsel des Humanen” formuliert: „Der letzte, dem Menschen unbekannte Kontinent ist bekanntlich der Mensch.” Wie ein Sprichwort nimmt sich dazu Nietzsches Wort aus: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.”

Für die diesjährigen Salzburger Hochschulwochen vom 26. Juli bis 7. August wurde der Buchtitel Thielickes umgedreht; das Motto der Studienwochen lautet „Menschwerden — Menschsein”. Pater Paulus Gordan, der Vertraute des Georges Bernanos — dieses Blatt hat aus der Feder beider Autoren Gültiges publiziert — zieht mit diesem Thema im 51. Jahr der Salzburger Hochschulwochen das christliche Menschenbild auf einen Prüf stand, der zum Test alle Parameter der wissenschaftlichen Disziplinen bereithält:

„So wie uns jeder Mythos über die Schaffung von Menschen etwas angeht, als ein Zeugnis vom Versuch uralter Bewältigung der Lebensaufgabe, etwas von dieser Welt zu verstehen, ebenso muß uns etwas angehen, was die Forschung dieser Zeit zum Rätsel der Menschwerdung an vereinzelten Gewißheiten beizubringen vermag”, schrieb der jüngst 85jährig verstorbene Baseler Theologe Adolf Portmann.

„Was ist der Mensch, was soll er sein?” fragt der Innsbrucker Jesuit Emerich Coreth zu Beginn der Hochschulwochen; er wül den philosophischen Zugang zur Frage nach dem Menschen, seiner Freiheit und seiner Transzendenz eröffnen.

Das naturwissenschaftliche Pendant dazu bietet der Wiener Biologe Rupert Riedl. Alfons Deissler, Ordinarius für alttesta-mentliche Literatur an der Universität Freiburg, wird das „biblische Bild vom Menschen” zeichnen, ihn auch als Bundespartner Gottes und schließlich Jesus Christus als den „Mensch der Menschen” darstellen — ein Thema, das der Regensburger Dog-matiker Wolf gang Beinert mit der Vorlesung „Jesus - der vollkommene Mensch” aufnehmen wird.

Eugen Biser hingegen, der Inhaber des Guardini-Lehrstuhls für christliche Philosophie und Weltanschauung in München, wird die „Menschlichkeit der Sprache” analysieren.

Wenn sich ein Christ den Fragen seiner Zeit stellt und nicht nur eine christliche Antwort darauf sucht, sondern sie auch so formuliert, daß sie von NichtChristen verstanden werden kann, dann handelt es sich allemal um Teil-hard de Chardin, dessen deutscher Biograph Günther Schiwy (München) am Beispiel des französischen Jesuiten die „Evolution als Konfliktbewältigung” darstellen wird.

Man steht mit Teilhard und Schiwy zu guter Letzt nicht nur bei der Mystik im Christus des Glaubens, sondern auch mitten in der Uberlebenskrise. Der Mensch und die Werte” — ein Thema, das dem verewigten deutschen Biologen Joachim Illies zeitlebens. ein Anliegen war — wird nun Otfried Höffe, Ethiker aus Fribourg i. Ue., aus seiner Sicht behandeln. Daran hängt thematisch „Die Kulturbedingtheit des Menschen”, die Ernst E. Boesch aus Saarbrücken zum Thema erhalten hat.

Diese Vorlesungen legen zum Teil den Grund für die nachmittäglichen Kolloquiumsveranstaltungen, wie z. B. für „Familie als Ort der Menschwerdung?” (Rita Süssmuth, Dortmund) oder den „Menschen als Mann und Frau” (Jörg Splett, Frankfurt) und schließlich das „Altern” (Erhard Olbrich, Gießen).

Zum Thema Frau wird eine Auseinandersetzung mit dem Feminismus und den abgedrosselten Frauentraditionen in einer vierstündigen Abhandlung über die „Frau und ihre verlorene Geschichte” (Elisabeth Gössmann, Japan) stattfinden.

Die fehlende „Humanisierung des Politischen” (Norbert Leser, Wien), „Medizin, Technik und Menschlichkeit” {Hans Schaefer, Heidelberg) und schließlich die Frage, wie „human das Recht” sei (Theo Mayer-Maly, Salzburg), der „Mensch auf der Suche nach Glück” (Günter Pöltner, Wien) und schließlich schon in der ersten Woche als Hauptvorlesung „Der Mensch in der Pädagogik” als großes Thema von Marian Heitger (Wien) werden in der ersten großen Vorlesung der zweiten Woche von Friedrich Tenbrock (Tübingen) im „Gefährdeten Humanuni” wohl nochmals summarisch enthalten sein.

Wie ernst und konkret das Leitthema gemeint ist, ersieht man aus der Einladung an den früheren Präsidenten der Münchner Universität, den Politikwissenschaftler Nikolaus Lobkowicz, als Festredner am Sonntag zwischen den beiden Wochen, am 1. August, den „Menschen im Kraftfeld der Politik” darzustellen.

Man sollte, betrachtet man das Thema, die drei Demütigungen des Menschen:

• Kopernikus vertrieb den Menschen aus dem Mittelpunkt der Erde,

• Darwin zeigte dem Menschen die Tiere als seine Vorfahren und

• Freud ließ einen Komplex von Trieben als Herrscher über den Menschen auftreten — nicht als eine Niederlage für allemal sehen. Denn nach der neuen Dimension der Liebe erreicht uns, so Thielicke, der „Wille Gottes.... offensichtlich nicht immer in derselben Gestalt”.

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