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Salzburser Hochschulwochen 1956

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Wenn man die heurigen Salzburger Hochschulwochen (5. bis 19. August) als besonders gelungen bezeichnen darf, dann verdanken sie dies einem Grundzug, der allen Einzelthemen und ihrer Behandlung in besonderem Maße eigen war: dem Bezug zur geschichtlichen Wirklichkeit, zur konkreten geistigen Situation. Dies kam schon in den Hauptvorlesungen zum Ausdruck, die den Prinzipienfragen gewidmet waren, noch stärker aber in den (freilich sehr monologischen) „Arbeitsgemeinschaften“ der Nachmittage, deren hohe Aktualität ihren Niederschlag in den mitunter hochgehenden Wogen der Diskussion fand. Hervorzuheben ist aber auch der organische Aufbau, als dessen innere Achse die beiden Vorlesungsreihen: „Der Weg der abendländischen Philosophie“ (Leo Gabriel) und „Der Weg der abendländischen Theologie“ (Gottlieb Söhngen) anzusehen waren, die in konzentriertester Form zeigten, wie zwei gewaltige Entwicklungsströme doch eigentlich nur einer sind und trotz folgenschwerer historischer Divergenzen uns heute vor eine eigenartig gemeinsame Problemlage stellen. Wenn Söhngen ausdrücklich der Aufzeigung des „methodischen Weges“ vor dem „historischen“ den Vorrang gab, dann darf dies Gabriel für seine Vorlesungen vielleicht noch stärker jn Anspruch nehmen.

Ihm geht es urri die Herausarbeitung der Subjekt-Objekt-Spaltung im Gang des abendländischen Geistes, die in der tragischen Selbstentfremdung des modernen Menschen ihren endgültigen Ausdruck f?nd, einer Selbstcntfrem-dung, die bereits in Marx und Nietzsche ihre

Kronzeugen erhalten hatte. Fallen aus dieser Schau Strahlen in mancherlei Brechungen auf die Einzelthemen der Hochschulwochen, so müssen doch hier in erster Linie die beiden Vorträge herausgehoben werden, die Josef M e u r e r s (Bonn) über die „Entwicklung des naturwissenschaftlichen Weltbildes als Gefährdung und Bewährung abendländischen Geistes“ gehalten hat. Im Rahmen seiner Untersuchung trirt als charakteristischer Zug der „Selbstentfremdung des Menschen“ ein rastloser, fast dämonischer Wissenstrieb hervor, der sich in den Wissenschaften seit der Renaissance immer mehr verdichtet hat und im 19. Jahrhundert als „unbedingtes Wissenwollen“ (Karl Jaspers) hemmungslos auf den Gesamtbereich der Natur erstreckt. Ihm steht die Weisheit einer Hildegard von Bingen gegenüber: „Der Mensch soll nicht alles wissen — wenn er alles wissen will, stellt er sich unter die Fahne des Lügners von Anbeginn!“ Doch nicht die Einkehr in diese vom Glauben an Gott getragene Weisheit hat den Menschen veranlaßt, die Grenzen seiner Kreatürlichkeit zu erkennen. Die Schranke wurde ihm ganz überraschend von der Natur selbst gesetzt. Meurers führte hier als exemplarischen Fall den Versuch des amerikanischen Physikers Michelson an, der 188 5 durch eine außerordentlich verfeinerte Versuchsanordnung von hoher Intelligenz die Bewegung gegen den „Weltäther“ messen wollte. Die Natur verweigerte zum erstenmal selbst die Antwort! Der Naturwissenschaft war ein neuer Weg vorgezeichnet, der in den Entdeckungen der speziellen Relativitätstheorie, der Quantentheorie, und der Ungenauigkeitsrelation noch kaum seinen Abschluß gefunden, aber bereits vielen Forschern die heilsame Einsicht gebracht hat, daß dem menschlichen Erkenntnisvermögen eine prinzipielle Grenze gesetzt ist. Die Naturphilosophie ist jedoch damit von dem Zwang befreit, die Transzendenz aus ihrem Denken ausschließen zu müssen. Einer neuen Zusammenschau von philosophischer Ontologie und Theologie ist damit der Weg geebnet, einem Anliegen, das Gottlieb Söhngen (München), dieser „Wissenschaftler“ unter den Theologen, in temperamentvoller Polemik und mit rhetorischer Brillanz vertritt. Für ihn ist der Weg der abendländischen Theologie der abendländische Weg der christlichen Theologie, der ebenso wie der Gang der abendländischen Wissenschaft seinen unverwechselbaren einmaligen Ort im Abendland hat. Damit ist aber auch die Zuteilung der Bereiche gegeben: Söhngen läßt sich hier durch ein Bild inspirieren, mit dem Dante in seiner „Göttlichen Komödie“ die Sicht der Hierarchien durch Thomas von Aquin so glücklich ergänzt hat: in der Mitte Gott in Christus thronend, zur einen Seite die Theologie als Aufgabe der Kirche und der Kleriker, zur anderen die Philosophie (und Wissenschaft) als unvertretbare Aufgabe des christlichen Laien im Reiche, allerdings auch als deren christliche Aufgabe in voller Freiheit. Ein Ereignis war das mit ungewöhnlicher Teilnahme aufgenommene und von brüderlicher Liebe getragene protestantisch-katholische Gespräch zwischen Hans Asmussen und Otto Karrer. Es wird wenige Theologen geben, die mit soviel persönlichem Mut, aber auch mit soviel Taktgefühl die eigenen Schwächen zu bekennen mit soviel Verständnis die gröbsten Hindernisse zu beseitigen . vermögen, die' dem Gesprächspartner den Weg versperren, wie Otto Karrer. Wenn es dennoch schien, als ob Asmus-sen von etwas ganz anderem spräche, so sollte man sich hüten, hierin ein Negativum zu erblicken. Die aktuellen Anliegen sind nun einmal grundverschieden — hier die schwere Problematik des Trennenden in Glaube und Lehre — dort die Stellung der Kirche in der konkreten politischen Situation.

Ihren Abschluß fanden die Wochen durch einen Vortrag des französischen Expremiers Robert Schuman über „Christlich-europäische Ordnung“, zu dem der rührige und umsichtige Leiter der Hochschulwochen, P. Thom3's Michels, eine große Zahl geistlicher und weltlicher Würdenträger begrüßen konnte. In einigen lapidaren Schlußworten wies Weihbischof Dr. Eiker auf die Notwendigkeit hin, die seit langem geplante katholische LIniversität als geistigen Mittelpunkt nicht nur des katholischen Oesterreich, sondern des ganzen christlichen Europa so bald als möglich zu errichten. Wir wollen es als gutes Omen werten, daß zweimal während der Arbeitsgemeinschaften spontan dem Wunsche Ausdruck gegeben wurde, eine dauernde Institution an Stelle der kurzen Arbeitsgemeinschaften zu setzen: einmal darin, das interkonfessionelle Gespräch zur dauernden Einrichtung zu machen, ein anderes Mal während der hochaktuellen Diskussion über naturphilosophische Probleme: immerhin Momente, an denen sich die Vorpostenstellung ablesen läßt, die der künftigen Gründung zukäme.

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