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Die Salzburger Hochschulwochen 1946

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Überlegung und Erfahrung gaben den Salzburger Hochschulwochen die endgültige Form, die sie in dem Augenblick hatten, als der Einbruch des Nationalsozialismus auch sie vernichtete.

Sorgfältige Überlegung sagte, daß die Salzburger Hochschulwochen ihren Sinn nur darin haben könnten, daß sie gleichsam eine „Universitas in nuce“, eine Universität im kleinen, und zwar als universitas littera-rum und universitas magistrorum et sco-larium, das heißt eine einheitliche Schau der gesamten Wissenschaften und innere Verbundenheit vort Lehrern urid Hörern darstellten. Der Plan war, daß im Laufe der Jahre alle Wissensgebiete, wenigstens die geisteswissenschaftlichen, in einer bestimmten Reihenfolge behandelt werden sollten, aber in der ausgesprochenen Absicht, ihren ■tiefsten inneren Zusammenhang nnd ihre letzte seinsenäßige Einheit herauszuarbeiten. Sein, Wahrsein und Einssetn sind vertauschbare Begriffe, Will Wissenschaft das Sein erforschen und sein Wahrsein aufzeigen, so kann sie es nur in dem Grad, als sie einer übergreifenden Einheit zustrebt.

Die sieben Salzburger Hochschulwochen, die in ununterbrochener Reihenfolge von 1931 bis 1938 sich folgten, wurden allgemein als eine überraschend gelungene Verwirklichung dieses Gedankens angesehen. Darin waren sich alle einig, die als Dozenten oder Hörer oder stille Teilnehmer die Hochschulwochen mitmachten.

Die Erfahrung lehrte, welche Dar-stellungswcise und welches Lchrverfahren die Hochschulwochen am sichersten ihr Ziel erreichen ließen. Gewöhnlich waren es drei größere Problemkreise, die in sogenannten Kursen zur Darstellung kamen. Sie wurden mit einer gewissen Folgerichtigkeit ans verschiedenen Wissens- und Forschungsgebieten ausgewählt, Imimer aber im besonderen Hinblick darauf, was sie für die gegenwärtige Zeit bedeuten. Die Dauer der Hochschul wochen war durchschnittlich' auf drei Wochen festgelegt.

In drei verschiedenen Darstellungsweisen wurden die ausgewählten Stoffe behandelt: in Vorlesungen, in Arbeitsgemeinschaften oder Seminarien und in Vorträgen. Den Vorlesungen war, es vorbehalten, den Stoff in zusammenhängender Reihenfolge streng wissenschaftlich, systematisch darzustellen, aber doch in einer Weise, daß er auch Nicht-fachleuten verständlich wurde. Sie füllten die Vormittage aus. In den Arbeitsgemeinschaften oder Seminarien wurden Fragen, die sich wie von selber aus den Vorlesungen ergaben, in gegenseitiger Aussprache und gemeinsamem Erarbeiten einer Klärung zugeführt. Sie fanden in den früheren Nachmittagsstunden statt. Für eine breitere Öffentlichkeit waren die Vorträge der späteren Nachmittags- und Abendstunden bestimmt. Audi ihr Stoff bewegte sich um Fragen von allgemeinem Interesse, die aber in engem Zusammenhang mit dem Ganzen der Hochschulwochen standen. Hier kam regelmäßig auch das Ausland in seinen besten Vertretern zum Wort.

So waren es Überlegung und Erfahrung, die den wirkungsvollen Rahmen schufen, die den Hochschulwochen bei allen Teilnehmern einen so nachhaltigen Eindruck sicherten. Neben der Verwirklichung der universitas litterarum war es ein Hauptanliegen, auch der universitas magistrorum et scolarium einen sinngemäßen Ausdruck zu schaffen. Die ganzen Hochschulwochen waren gleichsam in eine Atmosphäre hin-

eingestellt, die von einem einzigartig einheitlichen Geist umfassender Gemeinsamkeit durchtränkt war. Dozenten und Hörer waren wie von selber durch die Bande lebendiger Kultgemeinschaft in gemeinsamen Gottesdiensten und liturgischen Veranstaltungen, durch die Bande fruchtbarer Arbeitsgemeinschaft in gegenseitiger Klärung brennender weltanschaulicher Fragen, durch

die Bande unterhaltsamer Tischgemeinschäft, durch die Bande gemeinsamer leiblicher und geistiger Erholung zu einer lebensvollen, von innen her wirksamen Gemeinschaft zusammengeschlossen, die persönlichem Unternehmungsgeist doch noch volle Freiheit ließ. In deutlichen Umrissen zeichnete sich das Bild einer neuen, zeitgerechten universitas magistrorum et scolarium ab.

So leben die Salzburger Hochschulwochen in der Erinnerung aller derer, die als Dozenten und Hörer an der Veranstaltung teilnahmen, weiter. So sind sie auch festgehalten in den einzelnen Bändchen, die alljährlich ein möglichst geschlossenes Bild der betreffenden Hochschulwochen gaben.

Für dieses Jahr sind ein theologischer, ein philosophischweltanschaulicher und ein s o-zialwirtschaftlicher Kurs vorgesehen. Es gilt in der durch die Kriegskatastrophe geschaffenen geistigen Lage der Zeit i den treibenden, schöpferischen Kräften des geschichtlichen Geschehens vorzudringen. •

Der theologische Kurs

Die Kirche in ihrem Sein und Wesen ist durch die Ereignisse in den Blickpunkt der Weltaufmerksamkeit gerückt worden. Der Kirche selber zeigt sich auf einmal in einem ganz neuen Horizont die ostkirdiliche Frage. Eine praktische Auseinandersetzung in lebendiger Wirklichkeit ist unausbleiblich. Epochemachend sind die beiden päpstlichen Rundschreiben, die im Laufe des Krieges urbi et orbi ergingen: Corporis Christi mystici und Orientalis Ecclesiae. Leider übertönte sie der Donner der Bomben und Geschütze, so daß die Weltöffentlichkeit kaum von ihnen Kenntnis nehmen konnte. Die Hochschulwochen müssen zu dieser Frage Stellung nehmen. Sie tun es dadurch, daß sie die beiden Enzykliken zur Grundlage ihres theologischen Kurses machen.

Die Vorlesungen werden sich irrit dem

Wesen der Kirche, der Zugehörigkeit zur Kirche, mit Corporis Christi mystici kl der Sicht der Heiligen Schrift befassen. Ferner werden sie die dogmatische Welt der Ostkirche, die ostkirchliche Religiosität. in ihrer Eigenart und die Uniohsbestrebungen in Vergangenheit und Gegenwart erörtern. In Arbeitsgemeinschaften wird Lesung und Auslegung des Textes der Rundschreiben eine Reihe praktischer Fragen und Zweifel zur Sprache bringen, die nur in Rede und Gegenrede eine letzte Klärung finden können. Mit den wahrscheinlichen oder begründeten Aussichten für eine kommende Wiedervereinigung der Ost- und Westkirche und mit den inneren und äußeren Schwierigkeiten, die ihr entgegenstehen, sollen und werden sich eine Reihe von Vorträgen befassen. Im engen Zusammenhang damit wird die Gründung eines International Institute for Comparative St u dies of Religion at Salzburg, das vor allem die Fragen des Verhältnisses von West- und Ostkirche zum Gegenstand seiner Forschung madien wird, in Erwägung gezogen werden.

Der philosophisch-weltanschauliche Kurs So chaotisch auch noch die geistige Lage der Zeit sich zeigt, so ist doch eine bestimmt gerichtete Dynamik unverkennbar. Ihr gehört irgendwie die Zukunft. Dynamik kann zum Segen, kann aber auch zum Verhängnis werden, je nach der Bahn, in die sie gelenkt wird. Wir alle haben ein unmittelbares Lebensinteresse daran, daß wir sie kennenlernen und damit Einfluß anf ihre Lenkung gewinnen.

Wo imimer wir in der Welt zur Analyse I

der geistigen Lage der Gegenwart ansetzen, stoßen wir auf zwei dynamische Faktoren, wie sie durch die Existenzphilosophie und Psychopathologie ausgelöst worden sind. In Kunst, Literatur, selbst in Wirtschaft und Politik begegnen wir ihren Antrieben und ihrer gestaltenden Kraft. Ein philosophischweltanschaulicher Kurs kann gar nicht anders als den Spüren dieser beiden Bewegungen nachgehen.

Die Vorlesungen werden eine Analyse der geistigen Lage, unserer Zeit durchführen, die weltanschauliche Dynamik der Existenzphilosophie aufdecken, die weltanschaulichen Auswirkungen der Psychopathologie in ihrer dreifachen Abwandlung als Psychoanalyse, Individualpsychologie und analytische Psychologie aufzeigen müssen. Den Arbeitsgemeinschaften wäre die Aufgabe zugedacht, aus Heideggers „Sein und Zeit“ und aus Karl Jaspers Schriften die Existenzphilosophie in gegenseitigem Meinungsaustausch in ihrer wahren Gestalt kennenzulernen. Den Vorträgen bliebe vorbehalten, auf die theologisdie Bedeutung und Auswertung der Existenzphilosophie und der Psychopathologie aufmerksam zu madien und ebenso die pastoralmedizinische und heilpädagogische Seite der Psychopathologie der breiteren öffendidikeit zum Bewußtsein zu bringen.

Der sozialwirtschaftliche Kurs

Als starke, am meisten einflußreiche Macht taucht aus dem Gewoge der Zeit immer wieder die Arbeiterbewegung auf und meldet laut vernehmbar ihre unabdingbaren Ansprüche und Forderungen an. Die Arbeiterbewegung aber steht und fälltf mit der sozialen Frage und . ihrer Lösung. Es hieße, sich jeder ernsten Verantwortung entziehen, wollten unsere Hochschulwochen an dieser dringendsten aller Fragen der

Gegenwart gleichsam uninteressiert vorübergehen. Sie muß ohne jede Voreingenommenheit, so wie sie liegt, in Angriff genommen werden. Die Vorlesungen werden vor allem dem Kerngedanken, dem Eigentum in seiner geschichtlichen Entwicklung, nachgehen, die beiden Weltmächte des Kapitalismus und Kommunismus, beziehungsweise Sozialismus vor das Schiedsgericht der naturrechtlichen und kirchlichen Lehre laden. Zum Schiedsspruch werden die lichtvollen Ausführungen von Quadrage-simo anno Wesentliches und Entscheidendes beizutragen haben. Aufgabe der Arbeitsgemeinschaften wäre es, die verschiedenen Lösungsversuche in der sozialen Frage nach ihrer praktischen Seite hin durchzu-besprechen und in Rede und Gegenrede auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Den Vorträgen bietet sich reicher Stoff auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit, für die erst das Verständnis der großen Öffentlichkeit geweckt werden muß. Auch zu den verschiedenen Staatsauffassungen, die doch das sozialwirtschaftliche Leben maßgebend bestimmen, werden die Vorträge ebenfalls Stellung nehmen müssen.

Wir sind uns wohl bewußt, daß es mit der Wahl und Anordnung der Themata der Hochschulwochen allein noch nicht getan ist. Wohl bedingen sie wesentlich Gelingen und Erfolg. Doch nicht weniger wichtig ist und bleibt die Auswahl der Dozenten. Unter den Umständen, wie sie heute liegen, begegnet diese Frage sehr großen, aber keineswegs unlösbaren Schwierigkeiten. Eine gewisse Vorliebe, deren Salzburg in weitesten Kreisen der Gebildeten sich erfreuen darf, hat werbende Kraft. Die umstürzenden Ereignisse der großen Weltkatastrdphe haben Salzburg unwillkürlich in den Schnittpunkt internationaler Verbindungslinien gerückt. Darum dürfen wir auf ein weitgehendes Interesse und Verständnis des Auslandes für unsere Hochschulwochen rechnen. Wir haben keinen dringlicheren Wunsch, als daß gerade das Ausland auf den Hochschulwochen ausgiebig sich zum Wort meldet. Auf ein wenigstens nicht geringeres Interesse und Verständnis hoffen wir in den Kreisen der Gebildeten im engeren Vaterland. Ihnen allen gilt heute schon der Werberuf: Tua res agitur.

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