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Neues Weltgefuhl durch die Kirche

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Vor kurzem ging die Nachricht um die Welt, daß ein neues Organ der päpstlichen Kurie ins Leben gerufen wurde: der „Päpstliche Rat für die Kultur". Johannes Paul II. übertrug ihm die Aufgabe, die Beziehungen zwischen Kirche und Kultur zu fördern, wofür das 2. Vatikanische Konzil mit der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" die Grundlage bilde.

Tatsächlich scheint das Thema „Christentum und Kultur" wieder von besonderem Interesse: So erschien zu diesem Thema vor wenigen Jahren das bereits als klassisch geltende Buch Emil Brunners in der Gesamtausgabe seiner Werke („Christentum und Kultur" eingeleitet und bearbeitet von Rudolf Wehrli).

Im Jahr 1980 standen die Salzburger Hochschulwochen unter dem Titel „Kultur als christlicher

Auftrag heute". Und auch eine Sommertagung des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs widmete sich etwa gleichzeitig Fragen der Erneuerung der Kultur aus dem Geist des Christentums.

Diese Vielzahl theoretischer Erörterungen zum Verhältnis von Christentum und Kultur steht allerdings in auffälligem Gegensatz zur Realität, daß nämlich das Christentum immer weniger die Basis gegenwärtiger Kulturen bildet — vor allem dann, wenn man im Sinne einer Ansprache des Papstes an Repräsentanten von Wissenschaft und Kultur letztere „als Gesamtheit der Wer-^ te" versteht, die das Leben eines Volkes beseelen und alle Bürger verbinden: „Sitten, Sprache, Kunst, Literatur, die Institutionen und die Strukturen des sozialen Zusammenlebens."

Aus dieser Sicht umfaßten auch die Salzburger Hochschulwochen 1980 Vorlesungen über „Wissenschaft und politische Kultur", „Evangelium und Kultur in der Spätantike", „Kirchliches Lehramt und Kultur", aber auch „Recht, Politik, Friede", oder „Protestbewegungen der Jugend gegen die Kultur".

Diese Hochschulwochen gehörten zweifellos zu den informativsten aber auch anspruchsvollsten der vergangenen Jahre, weshalb man für ihre Herausgabe in Buchform besonders dankbar sein muß („Kultur als christlicher Auftrag heute", herausgegeben von Paulus Gordan OSB).

Das Schlußwort Emil Brunners im „Christentum und Kultur" verdient es, als Zusammenfassung einer Betrachtung über das Verhältnis von Christentum und Kultur zitiert zu werden: „Gerade die furchtbaren Perspektiven, die die Entchristlichuhg der Welt während der letzten Jahrhunderte vor uns aufgetan hat, haben weithin zu einer neuen Besinnung über die Grundlagen wahrer Kultur geführt und vielen in völlig unerwarteter Weise die Augen aufgetan für die Bedeutung christlichen Glaubens... Der Höhepunkt der Säkularisierung ist überschritten,,man fängt überall an, wieder in die Tiefe zu bohren und stößt dabei auf die verschüt-

teten Reichtümer der christlichen Tradition."

Natürlich verstand und versteht das Christentum seinen Auf-

trag nicht in erster Linie darin, Kultur zu schaffen, sondern das Evangelium - die Frohbotschaft für alle Völker und alle Zeiten — zu verkünden. Aber gerade aus der Verschmelzung dieser Verkündigung mit dem Erbe der Antike und den in der Völkerwanderung aufgebrochenen neuen Kräften der Germanen und auch Slawen entstand jene einmalige Kultur, die wir das christliche Abendland nennen und von der insbesondere Europa heute noch zehrt."

In gewissem Sinne waren die diesjährigen Salzburger Hochschulwochen mit dem Thema „Menschwerden — Menschsein" eine Ergänzung dieser sozialkulturellen Schau. Denn der Mensch ist nun einmal kein Natur-, sondern ein Kulturwesen, und selbst der Abstieg ins Untermenschentum macht ihn nicht zum Tier, sondern schafft höchstens aus seiner Freiheit und Verantwortung eine „Subkultur". Das „gefährdete Humanuni" (so Friedrich Ten-bruck) war denn auch das immer wieder anklingende Problem der Hochschulwochen 1982.

Dieses Humanum darf sich freilich nicht in einem geschichtlich fixierten Typ, etwa dem des humanistisch gebildeten Abendländers erschöpfen; vielmehr muß die spirituelle „Neuerung durch die Kirche" heute auch das Welt-

gefühl des Industriearbeiters, der postindustriellen Gesellschaft insgesamt und auch der außereuropäischen Kulturen mit umfassen.

Die bisher in der Geschichte noch nie dagewesene Situation, daß sich das Christentum mit seiner Lehre auf viele Kulturen gleichzeitig einlassen muß, einlassen soll, ist nicht nur Last, sondern auch Gnade.

So gesehen ist unsere Zeit eine große Herausforderung, aber auch eine einmalige Chance für das Christentum, wenn es seine neue Verantwortung für sein konstitutionelles Erbe und für die kulturellen Uberlieferungen der verschiedenen Völker-recht versteht!

Immer wieder leisten die Salzburger Hochschulwochen einen Beitrag zu diesem „ewigen Thema" auf jenem geschichtlichen Boden, der das sein 1400-Jahr-Ju-biläum feiernde Benediktinerkloster St. Peter und die Abteikirche Nonnberg beherbergt.

Besonders hervorgehoben sei auch noch, daß sich diese jährliche Veranstaltung christlicher In-tellektualität mit Erfolg einem „Kult der Adabeis" zu widersetzen bemüht.

Ob das Christentum noch einmal die Kraft aufbringen wird, nicht nur „nachzudenken", sondern auch „vorzudenken" und so Leitbild für das Leben des einzelnen und für die Daseinsgestaltung eines ganzen Kulturkreises überhaupt zu sein, bleibt die; bange Frage für uns Christen.

Dazu Emil Brunner: „Die Menschheit steht vor einer Entscheidung von unvergleichbarer Tragweite. Alles, was man sagen kann, ist dies: Sie könnte im richtigen Sinne fallen; es gibt nichts, was dies unmöglich machte. Aber ob sie im richtigen Sinne fallen wird, kann niemand wissen. Es genügt, wenn jeder für sich selbst im richtigen Sinne entscheidet."

Der Autor ist Parlamentsdirektor

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