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Das Leib-Seele-Problem

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Vor wenigen Wochen hielt der weltberühmte britische Neurophysiologe Sir John Eccles in Wien einen Vortrag, in dem es unter anderem um die Existenz einer unsterblichen Seele ging (Vgl. FURCHE Nr. 46/1980,S. 12). FURCHE-Mitarbeiter Heinz von Sauter meldete sich daraufhin mit dem hier abgedruckten Beitrag zu Wort.

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Vor wenigen Wochen hielt der weltberühmte britische Neurophysiologe Sir John Eccles in Wien einen Vortrag, in dem es unter anderem um die Existenz einer unsterblichen Seele ging (Vgl. FURCHE Nr. 46/1980,S. 12). FURCHE-Mitarbeiter Heinz von Sauter meldete sich daraufhin mit dem hier abgedruckten Beitrag zu Wort.

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Daß beim Menschen etwas den leiblichen Tod überlebt, ist Bestandteil aller Religionen und eigentlich ihr tiefster Kern. Das Christentum nennt dieses Etwas Seele, ein sprachlicher Ausdruck für ein schwer begreifbares Geheimnis, denn einerseits wird die „Auferstehung des Fleisches" gelehrt, anderseits ist die Frage nach dem Verbleib der Seele zwischen dem individuellen Tod und dem Jüngsten Gericht offen.

Versinkt sie mit dem Leib in Todesschlaf bis zur seinerzeitigen gemeinsamen Erweckung, wie Karl Rahner als' Lösung vorschlägt, oder lebt sie unabhängig vom Leib weiter als Teil eines Menschen, wie es die vom Trientiner Konzil bestätigte Lehre vom Zwischenreich, dem Fegefeuer, nahezulegen scheint? Das halten jedoch manche für einen unzulässigen Rückgriff auf die vorchristliche griechische Lehre vom Körper und dem ihn beherrschenden Steuermann.

Wenn heute ein so namhafter Gehirnforscher wie Sir John Eccles im Gegensatz zu dem in der Wissenschaft noch weit verbreiteten Materialismus die Existenz einer Seele nicht mehr ausschließen zu können glaubt, ist das ein begrüßenswerter Brückenschlag zu einem von altersher bekannten und lange diskreditierten Wissen. Und es ehrt ihn, daß er als Wissenschaftler in dieser Anerkennung die äußerste Grenze des Erforschbaren sieht und keine darüber hinausgehenden Theorien entwickelt.

In dieser Hinsicht können Philosophen zweifellos von ihm lernen, denn man vermißt bei ihnen oft eine Beurteilung der Denkmöglichkeiten - eine vor allen Spekulationen zu klärende Frage. Wir bedienen uns ja bei jeder Aussage zwangsläufig der Sprache, und diese ist eine Schöpfung des Gehirns. Müssen wir nicht bereits hier zu zweifeln beginnen, ob unsere Sprachmittel, ob unsere Denkfähigkeit wirklich so unbegrenzt sind, daß wir dem Leib-Seele-Problem überhaupt nahekommen?

Da ist zunächst unser Gehirn, das selbst Sir John Eccles mit einem Computer vergleicht. Wie erinnerlich hat schon Kant von Denkkategorien gesprochen, die er als zwingend erachtete. Heute würde man sagen, das Gehirn ist vorprogrammiert. Das grundlegende Programm ist dabei zweifellos das Denken in Polaritäten, gut-böse, schönhäßlich, oben-unten und eben Leib-Seele oder Körper-Geist. Selbst Leugner der Seele benötigen diesen Gegensatz, auch wenn sie ihn mit andern Namen wie etwa Uberbau der Materie bezeichnen.

Unser Jahrhundert hat uns einen Schritt weitergebracht. Wir haben mittlerweile erkannt, daß wir zwar nur in der Polarität Raum und Zeit Vorstellungen bilden können, daß sich jedoch gerade diese Polarität gemäß der Relativitätstheorie auf einer höheren Stufe zu einer Einheit auflöst. Unser Verstand kann das zwar begreifen und dieses Wissen mathematisch darstellen, aber der hierfür geschaffene sprachliche Ausdruck „raumzeitliches Konti-nuum" bleibt eine Metapher, unser auf Polaritäten vorprogrammiertes Gehirn wird sich darunter solange nichts vorstellen können, bis es uns gelingt, zu diesem Begriff den polaren Gegenbegriff zu finden.

Die Philosophie verdankt dieser wissenschaftlichen Erkenntnis einen neuen Denkanstoß. Wäre es nicht möglich, daß die Polarität Leib-Seele ihre Aufhebung in der Metapher Mensch findet, einem Ausdruck, der uns nur deshalb so geläufig ist, weil wir dieses Wort auch auf den sichtbaren und greifbaren Körper anzuwenden gewohnt sind?

Mit dieser Deutung würde auch der alte philosophische Streit zwischen Monisten und Dualisten sinnlos, da sie von zwei verschiedenen Sphären des Denkens sprechen, die miteinander nicht vergleichbar sind, die Dualisten von der Erlebniswelt, der Welt 1 nach der Lehre von Karl R. Popper, die Monisten von seiner Welt 3, der Welt des Wissens in objektiver Form, wie er sie definiert.

Die Möglichkeit des Menschen, Begriffe außerhalb der Vorprogrammierung des Gehirns wenigstens zu denken, wenn auch nicht vorzustellen, hat Sir John Eccles veranlaßt, neben dem materiellen und erforschbaren Gehirn mit seinen begrenzten Möglichkeiten zusätzlich die Existenz eines Etwas anzunehmen, das er als Selbst oder Seele oder Wille bezeichnet.

Man sollte sich an den gewählten Ausdrücken nicht stoßen, auch wenn man vielleicht die alte Bezeichnung Geist für angemessener gehalten hätte. Denn bei allen dreihundert verschiedenen Deutungen des Begriffs Geist, die in Eißlers philosophischem Lexikon angeführt sind, ist Denkvermögen die Basis, während sich mit dem Begriff Seele eher die Vorstellungen von Leben, Entwicklung und ähnlichem verknüpfen.

Da gibt es also, nun auch wissenschaftlich anerkannt, ein Etwas, das wir mit Seele oder Geist bezeichnen und damit das Gleiche oder auch Verschiedenes meinen, jedenfalls etwas im Grunde nicht Vorstellbares, das zusammen mit dem Leib auf einer höheren Stufe eine Einheit bilden könnte, den Menschen im eigentlichen Sinn als Mittelwesen zwischen Tier und Engel.

Karl R. Popper hat sich mit seiner Drei-Welten-Lehre zweifellos dem religiösen Denken genähert, auch wenn er selbst diesen Zusammenhang nicht anzuerkennen geneigt ist. Die Aussage vom Fortleben nach dem Tod gehört jedenfalls genau wie der Begriff des raumzeitlichen Kontinuums in den Bereich seiner Welt 3. In ihr ist der menschliche Körper gemäß den Erkenntnissen der Mikrophysik eine weitgestreute Atomstruktur-die Festigkeit täuschen uns nur unsere Sinne in der Erlebniswelt 1 vor -, und diese Atome bestehen nicht aus Materie, sondern aus unspezifischer Energie.

Demnach bleibt als wesentliches Kriterium des Körpers nur seine Form, und schon Thomas von Aquin bezeichnet die Seele unter anderem als die' Form des Körpers, der somit in heutiger Sicht jederzeit von der Seele aus jener unspezifischen Energie bei der Auferstehung des Fleisches wiedergebildet werden könnte. Daß der Ausdruck

Fleisch hier nicht im materiellen Sinn zu verstehen ist, geht übrigens schon aus l.Ko 15/44 hervor: Gesät wird ein sinnenhafter Leib, auferweckt ein geistiger Leib.

Und als Trägerin der Form ist die Seele auch die Bewahrerin der Erinnerung an das Leben in Raum und Zeit und seine Folgen, die sich nach religiöser Lehre einstellen, der Ubergang in Himmel, Fegefeuer oder Hölle, dienicht in unserer Erlebniswelt zu finden sind, und die wir uns sicher zu Unrecht als Orte mit einem Zeitablauf Vorstellen. Macht man sich mit diesen Gedanken vertraut, kann man Karl Rahners Aussage beipflichten, daß die Seele mit dem Körper stirbt (Welt 1), nämlich aus Raum und Zeit herausfällt (Welt 3), was dasselbe nur in verschiedener Ausdrucksweise ist. Und damit wird auch die Frage nach der Wartezeit bis zum Jüngsten Gericht müßig, denn Zeit erleben wir nur im Diesseits.

Sicher klärt diese Deutung nicht alle Fragen, aber sie macht aus der breiten Kluft, die vielfach noch zwischen Religion und Wissenschaft herrscht, eine schmale diskutierbare Grenze zwischen zwei genauer umrissenen Gebieten. Und das wäre schon ein gewaltiger Fortschritt.

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