"... dass der Mensch ,ich' sagt"

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Birgit Recki, Professorin für Philosophie an der Universität Hamburg, plädiert für eine Stärkung des Freiheits-und Verantwortungsbewusstseins in der Gesellschaft.

Die Furche: Warum sitzen wir beide jetzt eigentlich hier? War das meine und Ihre freie Entscheidung, ist das Zufall oder einfach nur das Ergebnis hirnphysiologischer Vorgänge?

Birgit Recki: Die Tatsache, dass wir jetzt hier sitzen, sollten wir auf keinen Fall losgelöst davon sehen, dass wir ein Gehirn haben. Aber sie lässt sich natürlich nicht einfach auf die Prozesse, die im Gehirn ablaufen, reduzieren: weil unser Gehirn uns die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu treffen - und auf die kommt es letztlich an. Also wir sitzen hier, weil Sie es offensichtlich interessant gefunden haben, mich zu fragen und ich es interessant finde, Ihnen zu antworten.

Die Furche: Also hätte es auch anders kommen können: Ich hätte mir einen anderen Gesprächspartner suchen oder Sie hätten etwa sagen können: "Nein, ich will lieber eine Kleinigkeit essen gehen ..."

Recki: Ja, sicherlich, ich glaube, wir waren beide frei in unseren Entscheidungen und sitzen jetzt als freie Wesen zusammen, die sich miteinander verständigen.

Die Furche: Nun wird genau diese Entscheidungsfreiheit von der Hirnforschung bestritten beziehungsweise auf neurophysiologische Prozesse zurückgeführt. Was würden Sie dem entgegenhalten?

Recki: Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir nach dem Modell des "Geistes, der über den Wassern schwebt" irgendetwas unabhängig von unserer Hirntätigkeit tun könnten. Aber diese Hirntätigkeit, von der uns die Neurophysiologen weismachen wollen, dass sie einen Determinationszusammenhang darstellt, kann auch nicht so verstanden werden, als ob sie uns im Einzelnen davon abhält, etwas zu tun, was wir tun wollen und für sinnvoll halten.

Die Furche: Der Hirnforscher Wolf Singer (einer der Referenten beim Philosophicum; Anm.) hat in einem Interview mit unserer Zeitung (Furche Nr. 6/2006; Anm.) seine Meinung sehr pointiert in dem Satz zusammengefasst: "Ich ,bin' mein Gehirn". Würden Sie demgegenüber behaupten, dass es ein Ich jenseits des Gehirns gibt?

Recki: Das kommt sehr darauf an, was man unter "jenseits" versteht. Ich halte den Ausdruck für verfänglich und würde ihn daher nicht verwenden. Denn er legt nahe, dass irgendeine mentale Instanz unabhängig von unserem Gehirn entwickelt werden könnte. Das stimmt nicht. Aber der Satz "Ich bin mein Gehirn" ist ebenso falsch, weil da eine offensichtlich komplexe Funktion, die in unserem Sprechen über uns selbst festgehalten wird, und die mit einer semantischen Bedeutung von eigener Geltung verbunden ist, kurzschlüssig mit dem Gehirn identifiziert wird. Es besteht zwar eine Abhängigkeit unseres Denkens von der Gehirntätigkeit, aber das heißt eben nicht, dass unser Denken gewissermaßen im Gehirn aufgeht im Sinne einer Identität.

Die Furche: Die Willensfreiheit wird ja nicht nur von der Hirnforschung in Frage gestellt; auch Sozialwissenschaften - der Mensch als Produkt seiner Erziehung und Umgebung - und Psychoanalyse - der Mensch ist nicht "Herr im eigenen Haus" - haben das Verständnis vom Menschen als autonomen Subjekt zumindest stark relativiert ...

Recki: Es gibt zweifellos eine soziale Bestimmung des Menschen; jeder ist ein Kind seiner Zeit, Kultur und Gesellschaft - und so gesehen auch ein "Produkt" seiner Sozialisation. Nur ändert das überhaupt nichts daran, dass an irgendeinem Punkt seiner Entwicklung der Mensch "ich" sagt und sich darunter etwas vorstellt, was er sein will und sein soll. Das ist die Ebene, auf der wir Ansprüche stellen: Wenn ich "ich" sage, dann stelle ich den Anspruch, dass ich als die Instanz, die da gerade von sich spricht, erkannt, anerkannt, berücksichtigt werden will. Und damit sind dann auch Ansprüche an dieses "Ich", auch meine eigenen Ansprüche an mich selbst, mitgemeint. Wir sind selbstverständlich nicht losgelöst von Prägungen durch Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Familie, Unbewusstes etc.; aber wir müssen uns dabei doch zu der Tatsache verhalten, dass wir die Autoren unserer Handlungen sind, dass wir für diese einzustehen und Verantwortung zu tragen haben und man uns entsprechende Vorwürfe machen kann. Das aber ist jener Komplex von Zuschreibungen, den wir unter dem Thema "Willensfreiheit" behandeln.

Die Furche: Haben diese Relativierungen der Freiheit nicht auch etwas Entlastendes? Wenn ich neurobiologisch, soziologisch, psychologisch determiniert bin, nimmt das ja auch ein Stück weit die Last der Verantwortung von mir ...

Recki: Solche Entlastungsstrategien mögen im Einzelnen durchaus gut funktionieren. Indem ich versuche, Druck von mir zu nehmen, versetze ich mich womöglich in einen Zustand der Leistungsfähigkeit. Unter Umständen kann ich produktiver arbeiten, wenn es mir gelingt, mir zu suggerieren, dass ich jetzt gar nicht unbedingt arbeiten müsste. Ich setze mich beispielsweise einfach vor mein Notebook, lege eine neue Datei an - und rede mir ein, dass ich nicht zwingend etwas schreiben will. In der Regel bewirkt diese Entlastung eher, dass etwas entsteht, als der Druck, um jeden Preis produktiv sein zu müssen. Nur darf man das nicht verallgemeinern: Man kann nicht davon ausgehen, dass durch das öffentliche Propagieren, wir seien eigentlich gar nicht frei, die Menschen sich derart entlastet fühlen, dass sie sich umso mehr entsprechend den normativen Ansprüchen ihrer Freiheit verhalten. Die individuelle Strategie der Entlastung, die es ja nur mit meiner je eigenen raffinierten und komplizierten Psyche zu tun hat, lässt sich nicht ohne weiters auf die strengeren institutionellen Bedingungen des öffentlichen Agierens untereinander übertragen.

Die Furche: Mit Entlastungsstrategie habe ich auch die Tendenz gemeint, im Falle von Versagen die Schuld weg vom Einzelnen hin zu den Rahmenbedingungen - Eltern, Schule, Gesellschaft ... - zu verschieben ...

Recki: "Irgend jemand muss Schuld haben, dass ich es nicht bringe?!" Da würde ich allerdings meine Bedenken anmelden. Das wäre genau einer der Gründe, warum ich weiterhin massiv dafür eintrete, das Freiheits-und Verantwortungsbewusstsein zu stärken, nicht zu schwächen. Es geht nicht an, dass wir den Einzelnen zwar - kurzfristig - entlasten, ihn dadurch aber gleichzeitig depotenzieren und auch weniger ernst nehmen, in dem, was wir von ihm erwarten und was er von sich selbst erwarten darf.

Die Furche: Was folgt daraus für die Beurteilung von Versagen, Delikten, kriminellen Handlungen?

Recki: Man soll dabei natürlich den Täter und seine Tat so differenziert zu beurteilen suchen, wie das in Kenntnis aller heute bekannten relevanten Faktoren nur möglich ist. Das ist ja auch eine Dimension von Gerechtigkeit: alle Mittel anzuwenden, um dem "Fall" gerecht zu werden. Aber wenn diese gutwillige Bereitschaft zur Gerechtigkeit zu einer Auflösung des Prinzips der Zurechnung und Verantwortung führte, dann hielte ich das für einen Fehler.

Die Furche: Würden Sie dem Rechtsphilosophen Reinhard Merkel (ebenfalls Referent beim Philosophicum - s. auch Interview in Furche Nr. 36/2006; Anm.) zustimmen, der meint, wir müssten am Begriff der Verantwortung festhalten, um unser Normengefüge schützen zu können?

Recki: Das ist eine sehr verknappte, rein formale Beschreibung - man muss dann auch dazu sagen, was unser Normenbewusstsein im Einzelnen ausmacht. Es geht ja nicht um ein Normenbewusstsein als solches, sondern es gilt, in erster Linie die (potenziellen) Opfer von Normenübertretungen zu schützen. Wenn man nur abstrakt von Normengefüge spricht, wird die existenzielle Dringlichkeit, die Tatsache, dass es um Leben und Integrität von Menschen geht, nicht hinreichend deutlich.

Die Furche: Zum einen ist Freiheit ein ganz zentraler Wert westlicher Gesellschaften, der in der Geschichte hart erkämpft wurde, zum anderen aber hat es den Anschein, als sei uns Freiheit bisweilen eine Last, die wir gerne delegieren ...

Recki: Ja, man könnte auf die Idee kommen, dass es uns in unserem Teil der Welt zu gut geht. Viele unserer Zeitgenossen wissen nach mehr als einem halben Jahrhundert Frieden, nach der Konsolidierung von Demokratie und Rechtsstaat offenbar nicht mehr so recht, was an unserer Freiheit so wichtig ist, dass wir sie praktisch wie theoretisch verteidigen sollten. Das hat auch eine politische Dimension: Nehmen Sie nur einmal die vorauseilende Vorsicht, mit der sich unsere aufgeklärte Öffentlichkeit derzeit selbst zu zensieren neigt, um nur ja keine Fundamentalisten zu erzürnen ... Freilich ist mit dem Anspruch auf Freiheit auch ein normativer Anspruch an uns selbst verbunden: Wir können nicht einfach alles tun, was uns so durchs Hirn zuckt. Und das ist gerade in einer Massengesellschaft, in der wir uns alle irgendwie miteinander arrangieren, sehr schwer: Rücksicht zu nehmen, sich in dem Maß zu disziplinieren, wie es erforderlich ist, um diesem Freiheitsanspruch auch gerecht zu werden.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

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