WIe Charles Darwin die Welt veränderte

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Alle Lebewesen dieser Erde sind durch einen gemeinsamen Stammbaum verbunden. Charles Darwin erkannte die Grundtatsache der Evolution. Darf man ihn auch kritisieren?

Am 12. Februar 2009 jährt sich der Geburtstag von Charles Darwin zum 200. Mal. Darwin, der die Grundtatsache der Evolution erkannte, war einer der großen Aufklärer am Beginn der Moderne. Seine Abstammungslehre formulierte, was bereits einige seiner Zeitgenossen geäußert hatten: dass die menschliche Spezies mit allen anderen Lebewesen dieser Erde durch einen gemeinsamen Stammbaum verbunden ist, der bis zu den Anfängen des Lebens vor etwa 3,5 Milliarden Jahren zurückreicht. Darwins Name steht für die Ablösung des wissenschaftlich unbrauchbaren Weltentstehungsmodells der Bibel durch eine rational begründete Theorie.

Weitere Theorien mit Folgen

Mindestens ebenso weitreichend wie Darwins Erkenntnis des Evolutionsprinzips waren die Folgen, die seine weiteren Theorien hatten. "Wie jedes andere Tier ist auch der Mensch ohne Zweifel auf seinen gegenwärtigen hohen Stand durch einen Kampf um die Existenz gelangt, und wenn er noch höher fortschreiten soll, muss er einem heftigen Kampf ausgesetzt bleiben. Es muss für alle Menschen offene Konkurrenz bestehen", so Charles Darwins in seinem im Jahre 1871 erschienenen zweiten Hauptwerk "Die Abstammung des Menschen". An gleicher Stelle lesen wir: "Bei den Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt. [...] Auf der anderen Seite tun wir zivilisierten Menschen alles nur Mögliche, um den Prozess der Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Ärzte strengen sich an, das Leben eines jeden bis zum letzten Moment zu erhalten. Es ist Grund vorhanden anzunehmen, dass die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären. [...] Niemand [...] wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen in höchstem Maße schädlich sein muss."

Inspiriert durch Darwin, verkündeten zwischen 1871 und 1933 deutschsprachige Mediziner, Biologen, Philosophen und Publizisten in einer Serie von Bestsellerbüchern den Abschied von der jüdisch-christlichen bzw. humanistischen Ethik. Darwin, der 1882 starb, konnte auf die Rezeption seines Opus keinen Einfluss mehr nehmen. Doch unter Berufung auf ihn wurde von vielgelesenen Autoren wie Ernst Haeckel, Ludwig Büchner, Alfred Ploetz, Wilhelm Schallmeyer, Alexander Tille, Friedrich von Bernardi, August Forel, Eugen Fischer, Fritz Lenz oder Hans Friedrich Karl Günther (auch "Rasse-Günther" genannt) ein neues Wertesystem ausgerufen. Bereits 1905 (!) wurde die "Gesellschaft für Rassenhygiene" gegründet. In einem mit dem Strafrechtler Karl Binding im Jahre 1920 publizierten, viel beachteten Buch über "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens - Ihr Maß und ihre Form" bedauerte der Psychiatrie-Ordinarius Alfred Hoche, dass das seinerzeit (noch) geltende Recht die Tötung von Menschen, die aufgrund unheilbarer und schwerer geistiger Behinderungen "vollständig wertlos" seien, verbiete. Es waren akademische Eliten, die den Boden für die einmaligen Verbrechen bereiteten, die dann - nach 1933 - folgen sollten.

Die Macht (scheinbar) biologisch begründeter Menschenbilder ist auch heute spürbar. Im Jahre 1976 schrieb der britische Soziobiologe Richard Dawkins seinen Bestseller "Das egoistische Gen". Lebewesen seien von Genen gebaute "Maschinen", deren natürliche Bestimmung es sei, die in ihnen befindlichen Gene maximal zu verbreiten. "Ein Affe", so Dawkins, "ist eine Maschine, die für den Fortbestand von Genen auf Bäumen verantwortlich ist, ein Fisch ist eine Maschine, die Gene im Wasser fortbestehen lässt." Gene machen, so Dawkins, Menschen zu egoistischen Akteuren: "Gene in den Körpern von Kindern werden aufgrund ihrer Fähigkeit selektiert, Elternkörper zu überlisten; Gene in Elternkörpern werden umgekehrt auf Grund ihrer Fähigkeit selektiert, die Jungen zu überlisten. Ich sage, dass die natürliche Auslese tendenziell Kinder begünstigen wird, die so handeln, und dass wir daher, wenn wir frei lebende Populationen beobachten, im engsten Familienkreis Betrug und Eigennutz erwarten müssen." Welch ein Zufall, dass das hier aufscheinende Menschenbild wunderbar zur herrschenden Weltwirtschaftsordnung passt, die sich damit als ein zur Natur des Menschen angeblich ideal passendes System definieren lässt.

Leben auf Basis von reinem Zufall?

Darwin sah die Entwicklung neuer Arten aus jeweils vorher existierenden als das Ergebnis eines kontinuierlichen, rein zufallsbedingten Veränderungsprozesses. "In der Variabilität organischer Wesen … scheint uns nicht mehr Planung zu stecken als in der Richtung, aus der der Wind bläst", schrieb er 1876. Was zur Entstehung neuer Arten führe, sei die Summierung fortwährend auftretender, zufälliger Veränderungen des biologischen Substrates. Unter entstandenen Variationen würden sich die jeweils lebenstüchtigsten durchsetzen, weniger lebenstüchtige würden durch die natürliche Selektion beseitigt. Darwin kannte keine Gene. Nach deren Entdeckung wurde das darwinische Dogma angepasst. Dass es rein zufallsbedingte Veränderungen der Gene seien, die sich aufaddierten und so neue Arten entstehen ließen, blieb ein bis heute gültiges darwinisches Dogma der Biologie. Nachdem bei zahlreichen Lebewesen das gesamte Erbgut ("Genom") entschlüsselt wurde, konnte man die Genome von einfachen und verschiedenen höheren Lebewesen (einschließlich dem des Menschen) vergleichen und der Evolution dabei sozusagen in die Karten schauen. Eine Rekonstruktion der Veränderungen, die zu neuen Arten führten, zeigte, dass neben zufälligen auch eine Reihe von nichtzufälligen Faktoren im Spiel ist.

Das Erbgut von Organismen enthält weit mehr als nur Gene (beim Menschen zum Beispiel bilden die ca. 24.000 Gene gerade einmal 1,2% des Erbgutes). Das Gros des Erbmaterials besteht aus Elementen, die es dem Gesamtorganismus (bzw. seinen Zellen) erlauben, das eigene Erbgut in umfangreicher Weise zu steuern. Im Gegensatz zur bisherigen Auffassung, der zufolge die Zellen unter der Regie der Gene stehen, zeigte sich in den letzten Jahren, dass die Situation tatsächlich umgekehrt ist: Zellen eines Organismus, die ihrerseits mit der Umwelt in Verbindung stehen, haben vielfältige Möglichkeiten, auf das Erbgut einzuwirken. Schwere, anhaltende Veränderungen der äußeren Lebensbedingungen können sogar dazu führen, dass Zellen ihr eigenes Erbgut grundlegend umgestalten und so den Weg in Richtung neuer Arten bahnen. Nichts spricht für die Annahme eines evolutionären "Plans" oder "Designs". Doch im Gegensatz zum darwinischen Dogma scheinen lebende Systeme keineswegs nur Objekte eines rein zufälligen Veränderungsprozesses, sondern in der Lage zu sein, ihr Erbgut nach eigenen, in ihnen selbst liegenden Regeln zu verändern. Ohne dieses aktive Entwicklungspotenzial wäre das Leben auf unserem Globus womöglich den zahlreichen ökologischen Katastrophen, die sich während der vergangenen 3,5 Milliarden Jahren nachweislich ereignet haben, zum Opfer gefallen.

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