Darwins Grundideen sind Korrekt

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Die Evolutionstheorie bietet immer noch genügend Raum für Disput. Dabei interessieren sich Biologen kaum für die uninformierten Argumente der Kreationisten. Darwin hatte im Grunde recht, aber er wusste zum Beispiel nichts über Molekularbiologie. Deshalb versuchen Biologen heute, seine Theorie zu vervollständigen.

Vor 150 Jahren erschien Charles Darwins "Die Entstehung der Arten". Bis heute wurde die Evolutionstheorie auf vielfache Weise bestätigt. Sie wurde aber auch ergänzt und bedarf immer noch der Erweiterung, so Gerd Müller, Professor für Theoretische Biologe von der Universität Wien.

Die Furche: Herr Professor Müller, manche meinen, Evolution sei bloß eine Theorie …

Gerd Müller: Evolution ist nicht bloß eine Theorie. Evolution ist die Tatsache, die wir untersuchen. Und über ihre Mechanismen gibt es eine Theorie - die Evolutionstheorie. Die Evolutionstheorie handelt nicht davon, ob Evolution stattgefunden hat, sondern wie. Und darüber gibt es immer noch viel Diskussion unter den Biologen.

Die Furche: Dann hat Darwin wohl nicht alles erklärt. Was fehlt?

Müller: Die Grundideen von Darwin sind korrekt: Mit Variation und Selektion lässt sich die Veränderung von Arten erklären. Aber erst mit der Populationsgenetik - die statistische Verteilung von Merkmalen untersucht - und dem Wissen, das die damals aufblühende Paläontologie hervorbrachte, gelang eine exakte Modellierung von Evolutionsprozessen. Diese wichtige Erweiterung von Darwins Theorie nennt man die Moderne Synthese. Sie stammt aus den 1930er Jahren und bildet bis heute den formalen Kern der Evolutionstheorie. Aber auch diese Theorie ist nicht komplett: sie befasst sich mit statistischen Gen-Verteilungen. Das Entstehen von komplexen Strukturen wie Händen, Augen etc. ist aber nicht ihr Gegenstand. Solche Fragen sollen nun in der sogenannten erweiterten Synthese beantwortet werden. Dabei gibt es eine Vielzahl an Zugängen. Ein wichtiger ist unserer: Evo-Devo - das steht für Evolutionary Development. Letztlich geht es dabei darum zu verstehen, wie aus einzelnen Zellen komplizierte Organismen entstehen.

Die Furche: Das klingt wie: "Die Entstehung der Arten". Das war doch die Frage, die Darwin mit seinem berühmten Buch bereits beantwortet haben wollte.

Müller: Darwin hat sich vor allem mit der Variation der Arten befasst. Die Artbildung war dann eines der Hauptprobleme der Modernen Synthese. Man kann nun verstehen, wie aus einer Population zwei verschiedene Arten werden können - etwa wenn sie wie die Darwinfinken auf einmal geografisch getrennt auf zwei Inseln leben und sich den dortigen Bedingungen anpassen. Aber damit ist noch nicht alles erklärt. Heute interessieren wir uns für die konkreten mechanistischen Prozesse: Wie arbeiten die Gene in den Zellen und was für Strukturen werden dadurch erzeugt?

Die Furche: Als Laie denkt man da vielleicht: Der Plan für das Tier liegt in den Genen. Bei kleinen Veränderungen der Gene - durch Mutationen - kommt es zu Veränderungen des Tiers. Und so entwickeln sich neue Arten. Ist das falsch?

Müller: Es ist zu einfach. Die Gene werden oft als eine Art verkleinerte Abschrift des Körperbauplans betrachtet. So ist es aber nicht. Ein Beispiel: Wenn sie heute in einer Mücke, die in Bernstein eingeschlossen ist, die DNA eines Dinosauriers finden und diese exakt aufschlüsseln könnten, dann wissen sie immer noch nicht, wie der Dinosaurier ausgesehen hat - weil das nicht in der DNA steht. Denn: Die Gene enthalten zwar eine Art Anleitung für die Herstellung der Proteine, sie reagieren aber immer auch lokal auf das, was schon in der Zelle vorhanden ist. Das Ganze lässt sich am besten als Kreislauf verstehen: Die Gene beeinflussen die zelluläre Umwelt; die Umwelt beeinflusst die Gene.

Die Furche: Die Umwelt beeinflusst die Gene. Aber doch nicht im Sinne von Lamarck?

Müller: Nein. Lamarck dachte, dass individuell erworbene Eigenschaften weitervererbt werden. Etwa die langen Giraffenhälse, wenn sich die Tiere nach den Baumwipfeln strecken. Hier geht es nicht um Vererbung, sondern um Variation: Raupen etwa, die sich von unterschiedlichen Blättern ernähren, können ganz verschieden aussehen. Oder die gleichen Pflanzen etwa wachsen im Tal anders als am Berg. Das Phänomen heißt phänotypische Plastizität. Populationen können auf einen Parameter wie Temperatur mit einer bestimmten Breite reagieren. Wenn es nun zum Beispiel heißer wird, kann sich diese Reaktionsnorm verschieben. Das ist Selektion und so kann etwas Neues entstehen.

Die Furche: Und ab wann genau spricht man von einer neuen Art?

Müller: (seufzt) Der Art-Begriff ist einer der schwierigsten Begriffe überhaupt. Üblicherweise sagt man: Zwei Arten sind getrennt, wenn sie sich nicht mehr gemeinsam fortpflanzen können. Aber auch das ist ein gradueller Vorgang, da jedes Individuum ein klein wenig anders ist. Doch lassen Sie mich noch ein paar Dinge zu Evo-Devo sagen. Das Wichtigste ist, dass wir ein dialektisches Frageprinzip anwenden: Erstens interessiert, wie Entwicklungssysteme evoluieren, welche Gene wann an- und abgeschaltet werden, damit zum Beispiel ein Auge und nicht ein Finger wächst. Zweitens wollen wir aber wissen, welchen Einfluss die Entwicklungssysteme auf den Evolutionsablauf haben - wie komplexe Baupläne und neue Merkmale entstehen oder in welche Richtung die Variation gedrängt werden kann.

Die Furche: Apropos "Richtung". Das Auge soll sich ja rund 30-mal und völlig unabhängig voneinander entwickelt haben. Ist das nicht überraschend?

Müller: Nein, warum? Zellen, die eine Orientierung im Raum ermöglichen - und sei es nur die Fähigkeit, vage Schatten zu unterscheiden - bieten einen evolutionären Vorteil. Selbst auf fremden Planeten, wenn es dort Leben gäbe, würden wir ein solches Sinnesorgan erwarten. Wenn dort das Licht von anderer Wellenlänge ist, wäre aber auch der Aufbau des Auge entsprechend anders. Hingegen ist anzunehmen, dass, wenn es diese augenartigen Strukturen gibt, sie vorne am Körper entstehen, falls der Organismus denn eine gerichtete Bewegung hätte. Ähnliche Umweltanforderungen führen nun mal zu gleichartigen Strukturen.

Die Furche: Heißt das, es gibt auch eine Notwendigkeit hin zu intelligentem Leben?

Müller: So es überhaupt andere Welten gibt, auf denen sich Leben über längere Zeiträume entwickeln kann, sollte es auch zu intelligenten Lebewesen kommen. Das ist fast unausweichlich, möchte ich sagen.

Die Furche: Der bekannte Biologe Jacques Monod war da anderer Meinung: Er sprach vom Menschen als "Zigeuner am Rande des Universums". Der Mensch als rares Zufallsprodukt der Evolution.

Müller: Der Begriff des Zufalls wird oft missverstanden. Evolution ist kein beliebiger Zufall. Zufällige Ereignisse sind aber ein wichtiges Element der Evolution. Sie werden durch die Evolution eingefangen und fixiert. Dann ist aber nicht mehr alles möglich und die weitere Entwicklung kann nur mehr in eingeschränkte Richtungen gehen.

Die Furche: Und wenn die Entwicklung dann weitergeht, warum sprechen die Biologen so ungern von Fortschritt?

Müller: Das ist ein unglücklicher Begriff, weil er eine anthropomorphe Perspektive beinhaltet. Der Mensch als intelligentes Wesen würde sich natürlich gerne als Endprodukt des Fortschritts sehen. Aber jede andere Population hat sich auch im Laufe der Zeit immer wieder und besser an ihre spezifische Umwelt angepasst und so bis zum heutigen Tag überlebt. Warum sollte der Mensch da "fortschrittlicher" sein als eine Biene oder ein Bakterium?

Die Furche: Letzte Frage: Woher kommt der Begriff Darwinismus? Niemand redet ja von Newtonismus oder Einsteinismus.

Müller: Die Biologen selbst sprechen kaum von Darwinismus. Oft wird der Begriff verwendet, um weiterreichende Aspekte der Evolutionstheorie zu kennzeichnen. Evolution beschränkt sich ja nicht auf anatomische Strukturen. Die Biologie bemüht sich etwa, den Verstand als Produkt der Evolution zu begreifen. Sie will sogar wissen, ob es überhaupt einen freien Willen gibt. Allein diese Fragen zu stellen, ist für manche eine Provokation.

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