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Vom Totschlag zum Frieden

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Woher kam im entscheidenden Stadium der Evolution der Druck für die Entwicklung des menschlichen Gehirns?

Küken mancher Adlerarten werfen das schwächere Geschwister aus dem Nest. Fregattvögel zerstören das Ei eines brütenden Weibchens, das dann später zur Paarung mit dem Übeltäter bereit ist.

Hyänenrudel geraten in erbitterte Kämpfe um Beutetiere, bei denen Rudelmitglieder getötet werden können. Löwen, die einem altgewordenen Rivalen die Weibchen abgenommen haben, töten oft dessen Nachkommenschaft.

Das Gemeinsame all dieser Fälle ist die überlegene Position, die .diese Tierarten an der Spitze ei-•ner Nahrungspyramide einneh-'men. Nur solche Arten können es sich offenbar leisten, die Zahl ihrer Artgenossen selbst zu reduzieren. Bei anderen würde das unweigerlich zum Aussterben der Art führen.

Bei diesen Spitzenarten jedoch ist ein solches auf Sondersituationen beschränktes Verhalten geradezu eine der vielen Möglichkeiten, die eigene Population zahlenmäßig im Gleichgewicht mit der Umwelt zu halten, was letztlich den Zusammenbruch durch Uberbevölkerung verhindert.

Auch der Mensch gehört zu diesen Totschläger-Arten — mehr noch, manche Wissenschaftler sind überzeugt, gerade durch diese Eigenschaft habe der Mensch aus dem Tierreich emporsteigen können.

Diese Meinung ist wenig populär... Wenn man aber Antwort auf die Frage sucht, welche Faktoren die Evolution der eigentlichen Menschwerdung bewirkt haben, welche Umwelt also den Selektionsdruck erzeugt hat, der das Volumen des menschlichen Gehirns in etwa zwei Millionen Jahren auf das Dreifache anwachsen ließ, so kann die Totschlagsdeutung dabei kaum ausgeklammert werden.

Auch im Alten Testament steht die Geschichte von Kain und Abel an prominenter Stelle...

Die erste Waffe war gewissermaßen ein ganz plötzlich entstandenes wichtiges neues Organ, das selbst einer Evolution unterliegt, die um ein Vielfaches schneller ablaufen konnte als jede biologische Entwicklung.

Obwohl sich die Benutzung der

Waffe kulturell, d.h. durch Nachahmung ausbreitet, gibt sie rückkoppelnd auch wiederum denjenigen Genen einen Selektionsvorteil, die in der Lage sind, Gehirne mit Erfindungs- und Nachahmungsgabe herzustellen.

Untergang oder eigene Bewaffnung als Defensivmaßnahme: Das war die Alternative vor zwei Millionen Jahren. Viele denken leider auch heute noch in dieser archaischen Logik.

Die Phase der Parallelentwicklung von menschlicher Intelligenz und Waffentechnologie geht damit nach drei Millionen Jahren einem plötzlichen Ende entgegen. Der Systemzwang der Evolution stellt uns j etzt vor die Alternative: in Zukunft nur noch eine, eine friedliche Gruppe namens Menschheit, oder atomarer Holocaust.

Wenn solche Betrachtung der Rolle des Gruppenkampfes als treibende Kraft zur Menschwerdung für uns heute erschreckend ist, so sehe ich darin ein sicheres Zeichen dafür, daß wir auf dem Weg vom Tier zum Menschen doch den größten Teil der Strecke bereits zurückgelegt haben. Ein Gedanke, der Mut machen kann.

Der Autor ist Biogenetiker an der Universität Freiburg im Breisgau.

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