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Abschied von Darwin

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Gespräche über die Entstehung des Menschen und der Lebewesen arten nur allzuoft zu hitzigen Debatten aus, in denen zwei mögliche Ansätze einander wie unverträgliche Feinde un-versöhnbar gegenüberstehen. A uf der einen Seite jene, die sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft zu stützen glauben und vehement den Standpunkt vertreten, daß alles, was geworden ist, seine Entstehung nur dem Wirken von Naturgesetzen verdanke.

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Gespräche über die Entstehung des Menschen und der Lebewesen arten nur allzuoft zu hitzigen Debatten aus, in denen zwei mögliche Ansätze einander wie unverträgliche Feinde un-versöhnbar gegenüberstehen. A uf der einen Seite jene, die sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft zu stützen glauben und vehement den Standpunkt vertreten, daß alles, was geworden ist, seine Entstehung nur dem Wirken von Naturgesetzen verdanke.

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Auf der anderen Seite versammeln sich jene, die überzeugt sind, daß die Welt das Werk Gottes sei und daß all das, was die Wissenschaft dazu zu sagen habe, mehr oder weniger versteckte Ketzerei sei.

Um es gleich vorwegzunehmen: Was mir an dem Buch von Joachim Illies „Schöpfung oder Evolution" besonders gefällt, ist sein Versuch, von diesem fruchtlosen „Entweder-Oder" wegzukommen und eine Brücke zu schlagen zwischen den beiden scheinbar unvereinbaren Konzepten. Es sind wieder einmal die „alten Griechen", die eigentlich schon alles vorausgedacht haben: Empedokles verstand Menschwerdung als Evolution, Alkmäibn als Schöpfung. Sokrates und in seinem Gefolge Piaton kamen zu dem Ergebnis, daß man weder von Schöpfung noch von Entwicklung sprechen könne, während die Stoiker in der Menschwerdung eine Abfolge von Untergängen und Neuschöpfungen sahen. Die Reihe der Denkmodelle schließt zuletzt mit De-mokrit, der zu dem Ergebnis kam, daß Menschwerdung ein unlösbares Problem sei.

In der weiteren Folge der Geschichte ist das Denken der verschiedenen Perioden von jeweils einem dieser Ansätze geprägt. Basierend auf den Schöpfungsberichten ist das Denken des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit ausschließlich vom Konzept der Menschwerdung als Schöpfung beherrscht. Im 17. Jahrhundert tritt eine entscheidende Wende im Denken ein. Bahnbrechend ist hier Spinoza. Er traut seiner eigenen Vernunft mehr als frommer Uberlieferung und trägt dazu bei, daß im Zeitalter der Aufklärung eine immer stärkere Zuwendung zur Wissenschaft als Erkenntnisquelle stattfindet.

Nun nimmt wieder die Evolution als Erklärungsmodell überhand. Evolution wird dabei als Selbstentfaltung verstanden, und ihr letzter Grund ist nicht Gott, sondern der Zufall. Als Endpunkt dieser Entwicklung kann der Ausspruch des amerikanischen Zoologen Simpson angesehen werden, wenn er über den Menschen sagt: „Er ist das Ergebnis eines materialistischen Prozesses ohne Zweckbestimmung und Absicht; er stellt die höchste zufällige Anordnung von Materie und Energie dar.

Die von Charles Darwin entwickelte Abstammungslehre ist damit zum Durchbruch gelangt: Zufällige Veränderungen im Erbgut der Lebewesen zusammen mit dem Prinzip des Kampfs ums Dasein und dem des Uberlebens des Tüchtigsten sind für die Entwicklung der Lebewesen allein verantwortlich. Nur so ist es zu erklären, daß der französische Nobelpreisträger Jacques Monod im Menschen nur mehr einen völlig unverständlichen und unverstandenen „Zigeuner am Rande des Universums" sieht.

Die ausgeprägte Frontstellung zwischen Kirche und Anhängern der Evolutionslehre wird umso verständlicher, wenn man berücksichtigt, daß diese Theorie vielfach (zum Beispiel von Haeckel, aber auch von Marx) als Waffe gegen die Kirche eingesetzt wurde. Es stellt sich somit die Frage: Sind hier die Standpunkte so verhärtet, daß eine Annäherung undenkbar ist? Und: Sind die Erkenntnisse der Evolutionstheorie so abgesichert, daß in der Frage der Entwicklung des Menschen das letzte Wort gesprochen ist?

Zunächst zur zweiten Frage: Illies weist darauf hin, daß die Vertreter der modernen Evolutionstheorie sehr oft an der Basis ihrer Argumentation so etwas wie mythologisierte Urmächte (denen beinahe personenhafte Züge zugesprochen werden) stehen: Konrad Lorenz spricht von Mutation und Selektion als den „Konstrukteuren" des Artenwandels, Monod und andere von der Natur oder der Evolution .. . „Offensichtlich schleicht sich in solchen Formulierungen heimlich doch die Religion wieder ein, die aus einer sinnvoll gedeuteten Welt eben nicht zu vertreiben ist", stellt Illies fest.

Zitiert wird auch der Erkenntnistheoretiker Karl Popper, der 1974 feststellte: „Weder Darwin noch irgendein Darwinist hat bisher eine effektive Erklärung der adaptiven (also der sinnvoll sich anpassenden) Entwicklung eines einzigen Organismus oder Organs geliefert."

Der Zoologe Goldschmidt macht wiederum deutlich, daß die immer wieder vermuteten gemeinsamen Ahnen j verschiedenartiger Tiergattungen „zu derart allgemeinen - selbst hilflos un-spezialisierten - Konstruktionen geraten, daß man sie sich nur noch als Fabelwesen .... in die Menagerie der Lebewesen einordnen kann . .."

Es hat sich auch eindeutig erwiesen, daß die Theorie von Ernst Haeckel, „das biogenetische Grundgesetz", die besagt, daß jedes Lebewesen während seiner Embryonalgeschichte die gesamte Stammesgeschichte dieser Lebewesen durchmache, einfach nicht den Tatsachen entspricht. Der deutsche Forscher Blechschmied konnte eindeutig nachweisen, daß der menschliche Embryo in keiner Phase seiner Entwicklung jemals das Stadium des Fischseins durchläuft, wie Haeckel behauptet hatte.

Schließlich zeigen auch die Forschungsergebnisse der Paläontologen, daß es keine Auflösung und Überführung von Tiertypen gibt: „Die fossilen Formen sprechen offensichtlich gegen die Hoffnung auf Ubergänge." Womit man zu dem Ergebnis kommt, daß es Typen von Lebewesen gibt, die unterschiedlich ähnlich sind, sich aber nicht ineinander überführen lassen. Innerhalb der Typen gibt es Evolution, also vom Urpferdchen zum Pferd, nicht aber von der Maus zum Hund.

Zusammenfassend stellt Illies fest: „Es bleibt also dabei: der Darwinismus ist trotz mancher Wiederbelebungsversuche eigentlich längst tot. Die Tragik unserer Zeit ist nur, daß dies die meisten Biologen nicht zugeben wollen oder noch gar nicht bemerkt haben."

Nun, was mir besonders gut gefällt, ist die Tatsache, daß trotz der offenkundigen Mängel der Evolutionstheorie, die hier aufgedeckt werden, dies nicht zum Anlaß genommen wird, alle damit verbundene Einsicht in Bausch und Bogen zu verwerfen. Illies hält vielmehr den harten Kern der Einsichten fest: Es gibt Veränderungen der Erbmasse (Mutation), es gibt das Phänomen der Auswahl (Selektion) und der Vererbung der Eigenschaften. Dies sind Grundpfeiler, auf denen jede umfassende Theorie wird ruhen müssen. Aber diese Erkenntnisse stellen nur die eine Seite der Medaille dar. Die andere Seite der Medaille ergibt sich aus der Beobachtung, daß unsere Welt einen unterschiedlichen Grad der „Geisterfüllt-heit" aufzuweisen hat.

Es geht also um das Problem, das Entstehen der oben erwähnten Typen mit der Beobachtung der zeitlichen Entwicklung dieser Typen in Einklang zu bringen und zu deuten. Dazu schreibt Illies: „Nehmen wir ... die Typen als

Urbilder ernst.......als Gedanken der Schöpfung, auf die Erde herabgedacht! ... Abstammung ist dann auch ein ideeller Vorgang (Schelling und Hegel haben ihn stets so verstanden). Damit ändert sich alles, und vieles wird nun mit Modellen erklärbar, die uns vorher verschlossen waren, denn es steht uns jetzt das ganze Arsenal unserer geistigen Erfahrung offen."

Als Illustration für seine Vorstellungen verwendet Illies die „Verwandtschaftsbeziehungen" zwischen Musikinstrumenten. Wie sähen da die Aussagen eines „Instrumenten-Forschers" bezüglich Abstammung aus? „Nicht .wirkliche' Abstammung, sondern logische, funktionale und historische Herleitung wäre der Sinn der Stamm- und Seitenlinien .... Selbst mit Urahnen könnte er uns aufwarten.. .Schwerlich wird er für alle ein gemeinsames Ur-In-strument rekonstruieren können .... Am Beginn stand nicht irgendein erstes, noch keimhaft stummes Gerät zur Geräuscherzeugung, sondern.....der schöpferische Gedankeeines Künstlers, der sich ein Instrument schuf, um seine Schöpfung zum Klingen zu bringen."

Mit dieser Analogie will Illies verständlich machen, daß neben den in der Natur beobachteten und nach Gesetzmäßigkeiten verlaufenden Entwicklungen die Schöpfung durchaus sinnvoll ihren Platz hat. Man versteht die Realität besser, wenn man für diese zweifache Einsicht offen ist. „Unsere biologischen Erkenntnisse des Artenwandels ... sind also nicht falsch - sie .... bleiben halbe Wahrheit, so lange wir sie nicht offenhalten für die notwendige Ergänzung durch die religiöse Hälfte der Wahrheit."

Daß Wissenschaft mit scheinbar widersprüchlichen Konzepten zurechtkommen muß, ist eine Erfahrung, die die Physik in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat. Es besteht kein Grund, daß Ähnliches nicht auch in der Biologie geleistet werden könnte. Erste Ansätze zu einer solchen Theorie werden in dem Buch dargeboten, wenn Illies von der Aszendenz, der Heraufentwicklung im Rahmen der Evolution, und der Deszendenz, dem Herabsteigen des Geistes Gottes im Zuge der Erschaffung der Typen spricht.

Er ist sich bewußt, damit kein endgültiges Modell geliefert zu haben. Dementsprechend plädiert er für einen neuen Anlauf zu vorbehaltloser Forschung. Sie muß der „Wahrheit folgen, wohin der Weg auch führt. Er führt auf jeden Fall (das hat die Physik als älteste Naturwissenschaft inzwischen gezeigt) weiter, als die Füße des logischen Verstandes tragen!"

SCHÖPFUNG ODER EVOLUTION. Von Joachim Illies. Edition Interfrom, Zürich 1979, öS 70.20.

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