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Wohin mit dem „Atommüll“?

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Welche radioaktiven Abfälle entstehen beim Betrieb der Kernkraftwerke? Was geschieht mit diesen gefährlichen Rückständen? Welche Probleme stellen sich, wie werden sie gegenwärtig behandelt und wie sollen sie in Zukunft gelöst werden?

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Welche radioaktiven Abfälle entstehen beim Betrieb der Kernkraftwerke? Was geschieht mit diesen gefährlichen Rückständen? Welche Probleme stellen sich, wie werden sie gegenwärtig behandelt und wie sollen sie in Zukunft gelöst werden?

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Durch die Spaltung von Urankernen wird im Reaktor durch einen physikalischen Vorgang Energie frei mit dem Nebeneffekt, daß neue Elemente (Spaltprodukte) entstehen, die größtenteils instabil sind, also radioaktive Strahlung aussenden. Die Umwandlung der Spaltprodukte in stabile Atomkerne, der Zerfallsprozeß, kann sich innerhalb von Bruchteilen von Sekunden abspielen oder über viele Jahre erstrecken. Während die erste Gruppe wegen der kurzen Lebensdauer der Spaltprodukte vor allem während des Kraftwerkbetriebes eine Rolle spielt — eine Folge davon ist die notwendige starke Abschirmung des Reaktorkerns — ist es die zweite Gruppe, die das eigentliche Abfallproblem verursacht.

Die anfallenden radioaktiven Rückstände sind von unterschiedlicher Aktivität. Ihre Behandlung und Verarbeitung richtet sich danach. Radioaktive Stoffe bauen sich von selbst ab. Bei den einen geschieht dies sehr schnell, bei den anderen nur langsam. Für jedes radioaktive Isotop drückt sich die mittlere Lebensdauer seiner Kerne in der Zerfallszeit aus.

Volumenmäßig den größten Anteil haben die schwach radioaktiven Rückstände. Im Kernkraftwerk Zwentendorf würden jährlich etwa 40 bis 60 Kubikmeter brennbare und nicht brennbare Abfälle anfallen. Es sind dies Konzentrate von Abwässern aus Labor, Dusche und Wäscherei, zerkleinerte oder gepreßte Teile fester Rückstände, wie Werkzeuge, Maschinenteile, Isoliermaterial, und die Asche brennbarer Rückstände: Plastikmaterial, Schutzanzüge, Pa-Dier. Holz. Alle diese schwach radioaktiven Rückstände werden, mit Zement oder Bitumen verfestigt, in 200-Liter-Fässer abgefüllt und auf dem Kraftwerkgelände gelagert.

Die mittelaktiven Rückstände entstehen hauptsächlich in den Reinigungssystemen des Reaktorkreislaufes. Es sind Ionenaustauscherharze und Filterkerzen. Diese werden ebenfalls in 200-Liter-Fässern einbetoniert und im Abfallager des Kraftwerks gelagert. Die Lagerung stellt kein besonderes Problem dar.

Vom gesamten radioaktiven Spaltinventar eines Kernkraftwerks entfallen auf die schwach- und mittelaktiven Rückstände nur der Bruchteil eines Prozent. Mehr als 99 Prozent der radioaktiven Spaltprodukte entstehen in den ausgebrannten Brennelementen und bleiben dort eingeschlossen.

Die ausgedienten Brennelemente werden im Kraftwerk im wassergefüllten Brennstbfflagerbecken gelagert. Dort bleiben sie etwa sechs Monate zum Abklingen der Nachzerfallswärme und der Radioaktivität. Daraufhin werden sie in Spezialbe-hälter verpackt und in eine Wiederaufbereitungsanlage transportiert. Weil aus inländischen Kraftwerken nur wenig Material anfällt, wird Österreich aus wirtschaftlichen Gründen auf absehbare Zeif nicht in der Lage sein, eine eigene Wiederaufbereitungsanlage zu betreiben.

Der Transport bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle unterliegt strengen Sicherheitsvorschriften nach den Richtlinien der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien. Diese bieten Gewähr dafür, daß bei einem Transportunfall keine Aktivität aus den Behältern austreten kann.

In der Wiederaufbereitungsanlage werden die verbrauchten Brennelemente mechanisch zerkleinert und chemisch aufgelöst. Das im Reaktor nicht spaltbare Uran, das 96 bis 97 Prozent der ursprünglichen Menge ausmacht, und das Plutonium — ein während des Reaktorbetriebes neu entstandenes spaltbares Element — werden von den radioaktiven Spaltprodukten getrennt. Uran und Plutonium werden für die Herstellung neuer Brennelemente wiederverwendet.

Die nicht mehr verwendbaren hochaktiven Spaltprodukte, zirka 2 Prozent der ausgebrannten Brennelemente, werden in der Aufbereitungsanlage in flüssiger Form gelagert, wobei sie weiter zerfallen. In einer zweiten Phase werden sie chemisch Umgewandelt und verglast und in etwa drei Meter lange Stahlzylinder abgefüllt. In dieser Form findet eine weitere kontrollierte Lagerung in der Wiederaufbereitungsanlage während zehn und mehr Jahren statt. Erst in der dritten Phase ist dann die Endlagerung in geeigneten geologischen Formationen vorgesehen.

Ein lückenloses Entsorgungssystem umfaßt auch die Endlagerung der verfestigten hochaktiven Abfälle. Obwohl diese gegenwärtig im Zusammenhang mit der Wiederaufbereitung ausgebrannter Brennelemente im Ausland verbleiben, wird das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle auch in Österreich einwandfrei zu lösen sein müssen. Es müssen Lagerstätten für definitive Unterbringung von radioaktiven Abfällen gefunden werden, unabhängig von einer Möglichkeit oder Erwartung, daß Wissenschaft und Technik Verfahren finden, die eine Vernichtung oder Unschädlichmachung der Rückstände erlauben.

Zur Herrichtung eines dauernden Lagers für radioaktive Abfälle müssen die geeigneten geologischen Formationen ermittelt werden. Zur Zeit wird in zahlreichen Ländern nach solchen stabilen Formationen gesucht. Die endgültige Lagerung der radioaktiven Abfälle muß so sicher erfolgen, daß keine gefährlichen Mengen an radioaktiven Stoffen wieder in die Biosphäre gelangen können. Als sichere und wirtschaftliche Methode wird eine Deponierung in Salz- oder Anhydritformationen angesehen. Salz und Anhydrit haben eine Reihe günstiger Eigenschaften:

#Sie sind vollkommen trocken, stehen also mit der Luft und dem Grundwasser nicht in Verbindung.

#Sie besitzen eine große Plastizität: Risse oder Spalten schließen sich unter dem Gebirgsdruck von selbst. Entstehende Gase können daher nicht an die Oberfläche entweichen.

#Sie haben, verglichen mit anderen Gesteinen, eine gute Leitfähigkeit. Die Wärme hochaktiver Rückstände wird ohne unzulässige Überhitzung abgeführt.

In der Bundesrepublik Deutschland werden bereits seit 1967 radioaktive Abfälle im stillgelegten Salzbergwerk Asse bei Hannover eingelagert. Im Bergwerk wurden Kammern hergerichtet, die nach Auffüllen mit dem Abfall verschlossen werden können. Somit ist mit Sicherheit ausgeschlossen, daß die Aktivität wieder in den Wasser- oder Luftkreislauf gelangen kann. Vorher werden alle höher aktiven Abfälle vor der Einlagerung in eine wasserunlösliche Form überführt. In der Schweiz bemüht sich die 1972 gegründete Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, geeignete Lagerorte zu finden.

Nur in Österreich ist man über rein spekulative Überlegungen nicht hinausgekommen. Auf Grund der Rechtslage muß aber von den Behörden ein Lagerplatz genannt werden. Wenn die Bundesregierung daher davon spricht, daß keine Klarheit über die Endlagerung besteht, dann muß sie sich einmal selbst bei der Nase nehmen.N. S.

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