"Noch 40 Jahre, bis sich das Ozonloch schließt"

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Er sah voraus, was erst mit der Entdeckung des Ozonlochs über der Antarktis Gewissheit wurde: Der Mensch zerstört die lebenswichtige Ozonschicht. Für seine Arbeiten über Ursachen des Ozonschwunds erhielt Paul Crutzen den Nobelpreis. Im furche-Gespräch erläutert er den Stand der Forschung der Atmosphärenchemie.

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Er sah voraus, was erst mit der Entdeckung des Ozonlochs über der Antarktis Gewissheit wurde: Der Mensch zerstört die lebenswichtige Ozonschicht. Für seine Arbeiten über Ursachen des Ozonschwunds erhielt Paul Crutzen den Nobelpreis. Im furche-Gespräch erläutert er den Stand der Forschung der Atmosphärenchemie.

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die furche: Sie haben 1971 als Erster darauf hingewiesen, dass die stratosphärische Ozonschicht durch menschliche Aktivitäten beeinflusst werden kann. Konnte man damals mit der Entstehung eines riesigen Lochs in der schützenden Ozonschicht rechnen?

Paul Crutzen: Nein. Wir Wissenschafter waren von diesem Phänomen völlig überrascht. Viele glaubten gar nicht, dass so etwas wie ein Ozonloch überhaupt durch menschlichen Einfluss möglich ist: Ein Loch in der Ozonschicht, gerade am Südpol, an einem Ort, wo kein Kohlendioxid ausgestoßen wird. Die ganze Dramatik wurde 1985 offenkundig, als Forscher über der Antarktis die Zerstörung fast der Hälfte des Ozons festgestellt haben - eines der wichtigsten Gase in der Atmosphäre. Die Wissenschaft war geschockt, auch die Industrie: Wir dachten, der Ozonverlust geht langsam vonstatten, doch das Gas rutschte uns regelrecht davon. Es war damals schon dramatisch, aber auch spannend, die Ursachen dafür herauszufinden. Zusammen mit Kollegen konnte ich schließlich eine schlüssige Theorie präsentieren. Wir Wissenschafter glauben eben immer, wir wissen alles. Doch wir müssen auf der Hut sein.

die furche: Gab es konkrete Reaktionen auf Ihre Forschungsergebnisse?

Crutzen: Damals gab es kühne Pläne, große Flotten von Überschallflugzeugen zu bauen, die in 20 Kilometern Höhe fliegen sollten. Im Jahr zuvor hatte ich darauf hingewiesen, dass die Stickoxide eine wichtige Rolle beim Ozon-Abbau spielen. Ein amerikanischer Kollege und ich haben dann festgestellt, dass die Überschallflugzeuge eine große Menge eben dieser Stickoxide produzieren. Bis zu 1.000 Maschinen sollten in den USA, in Europa und in Russland angeschafft werden. Schließlich wurden aber nur ein paar Concordes gebaut.

die furche: Trotz allem: Das "hausgemachte" Ozonloch blüht und gedeiht. Im vergangenen September war es dreimal so groß wie die USA. Wie konnte sich ein so großes Loch in jener Gasschicht bilden, die uns vor schädlicher UV-Strahlung schützt? Und warum am Südpol?

Crutzen: Warum dieses Phänomen gerade über der Antarktis entstehen konnte, hat einen einfachen chemischen Grund: Bei einer Temperatur von minus 80 Grad Celsius und bei starker Sonneneinstrahlung finden auf dem Eis Reaktionen statt, die aktives Chlor freisetzen. In der Antarktis stellen sich diese Bedingungen besonders im Frühjahr ein. In katalytischen Reaktionen kann ein Chlor-Molekül bis zu 100.000 Ozonmoleküle zerstören. So ist über der Antarktis in einer Höhe von zwölf bis 22 Kilometern das meiste Ozon vernichtet worden. Über dem Nordpol waren die Auswirkungen nicht so dramatisch: Dort ist es um 15 Grad wärmer, und der Effekt tritt viel schwächer auf. Erst 1996, also relativ spät, hat man in den Industrieländern ein Totalverbot der schädlichen Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe durchgesetzt. Doch in den Entwicklungsländern ist die FCKW-Produktion noch zehn Jahre länger erlaubt. Bis sich das Ozonloch wieder geschlossen hat, wird es wahrscheinlich noch rund 40 Jahre dauern, denn die Haltbarkeit mancher Ozonkiller ist mit bis zu 110 Jahren sehr lang. Tatsache ist aber: Wäre es zu keinem FCKW-Stopp gekommen, hätten wir bis 2035 mit einem Ozonschwund von rund 35 Prozent rechnen müssen. Die UV-Strahlung und damit die Hautkrebsrate hätte ohne Maßnahmen exponentiell zugenommen.

die furche: Über die Folgen des Ozonlochs wird viel spekuliert. Was sind tatsächlich die Auswirkungen dieser Zerstörung der Ozonschicht?

Crutzen: Die Krebsrate steigt an - aber die Hauptursache dafür ist der unvernünftige Umgang mit der Sonne, besonders im Frühjahr, wenn viele aus der kalten Nordhemisphäre in die Tropen reisen. Aber mit Sicherheit hätte die Krebsrate ohne Maßnahmen gegen den FCKW-Ausstoß stark zugenommen. Weitreichende Prognosen sind jedoch schwierig. Das Ozonloch könnte sich auf die Biosphäre und damit das Klima auswirken: Die besten Prognosen rechnen bis 2100 mit einer Klimaerwärmung um zwei Grad und so mit einer Erhöhung des Meeresspiegels um 50 Zentimeter. Es ist auch mehr als eine Spekulation, dass der Golfstrom stagnieren könnte. Wäre das so, könnte es auf der ganzen Welt wärmer werden, nur in Europa erheblich kälter.

die furche: Sie haben vom FCKW-Produktionsstopp gesprochen. Wie sieht es aber mit den Verbrennungsabgasen aus? Reichen die bisher gesetzten Maßnahmen aus, um nachhaltige Klimaveränderungen durch Menschenhand zu stoppen?

Crutzen: Die Reduktion fossiler Brennstoffe ist nur ein Anfang. Wenn das Kyoto-Protokoll von 1997 mit einer fix vorgegebenen Reduktion der CO2-Emissionen erfüllt wird, ist das schön, aber eben nur ein sehr kleiner Anfang. Nicht nur aus Klimagründen, auch wegen der Ölverknappung müssen wir umdenken. Wir stehen erst am Anfang der Verteuerung des Öls: In drei bis vier Jahrzehnten gibt es nichts mehr zu pumpen. Hier kann ich die Reaktion mancher Menschen nicht verstehen. Nach dem Motto: "Das ist unser Öl, unsere Enkelkinder sollen ihr eigenes Öl finden", wird da auf ein Recht auf Öl gepocht. In Deutschland sind CDU und CSU bei den Lkw-Blockaden sogar auf den Protest-Zug aufgesprungen, um daraus Kapital zu schlagen. Das hat mich sehr traurig gemacht. Wir müssen Sparmaßnahmen setzen und können nicht einfach in dieser Höhe Energie verbrauchen.

die furche: Was sind denn die zukunftsträchtigsten alternativen Energien?

Crutzen: Besonders in die Sonnenenergie sollte man investieren. Interessanterweise denken hier gerade die Ölmultis "Shell" und "BP" voraus: Vielleicht werden sie in Zukunft auf diesem Markt aktiv werden. Auch die Windenergie ist eine Möglichkeit. Atomenergie wird also nicht die einzige Lösung sein, schon gar nicht in den Entwicklungsländern. Dort fehlen die dazu nötige Technologien. Große Hoffnungen werden auch auf den Durchbruch der Fusionsenergie gesetzt, wenngleich es hier Risiken und Abfallprodukte gibt. Von Spekulationen abgesehen: Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn Energie in Zukunft unbegrenzt zur Verfügung steht. Wie gesagt ist in 30 bis 40 Jahren Schluss mit Erdöl, und bis heute ist auf dem Gebiet der Sonnenenergie nicht viel investiert worden. Ich hoffe, dass hier die Physik und die Materialwissenschaften große Beiträge liefern.

die furche: Zurück zum Weltklimagipfel in Kyoto: Was hätten Sie den Politikern damals empfohlen, wären Sie dabei gewesen?

Crutzen: Ich hätte zu stärkeren Maßnahmen geraten, um den CO2-Ausstoß zurückzudrängen. Eine Riesen-Aufgabe liegt noch vor uns: Die Kraftfahrzeugmotoren sind zu ineffizient und verbrauchen zu viel Brennstoff. Hier bestehen sehr große Möglichkeiten. Ich habe vom Einliter-Auto gelesen, das vielleicht in ein paar Jahren von VW auf den Markt kommt. Das wäre ein riesiger Fortschritt.

die furche: Untersuchen Sie noch andere atmosphärische Störungen?

Crutzen: Es gibt noch einen dunklen Fleck auf der Weltkarte: Die Tropen und Subtropen sind sehr, sehr wichtig, besonders wegen der Reinhaltung der Luft. Dort ist das OH-Radikal, das so genannte Waschmittel der Atmosphäre, bei weitem am meisten vorhanden. Es entsteht aus Wasserdampf, Ozon und UV-Strahlen und ist sehr reaktiv. In diesen Gebieten wohnt ein großer Teil der Menschheit und will sich industriell und landwirtschaftlich weiterentwickeln; trotzdem findet hier sehr wenig Forschung statt. Ich habe mit meinen Kollegen einen Anfang gemacht: Unser momentanes Hauptforschungsgebiet sind die Tropen in Südost-Asien. Welche Auswirkungen haben etwa menschliche Aktivitäten auf die Monsunsysteme? Interessant sind auch die chemischen Prozesse in der Atmosphäre über dem Meer. Gewisse dieser Reaktionen kann man mit jenen vergleichen, die in der Stratosphäre eine Rolle spielen.

die furche: In Ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 1973 haben Sie die Verschmutzung der Stratosphäre durch Überschallflugzeuge nachgewiesen. Sie selbst sind mit dem Flugzeug nach Graz gekommen. Hatten sie dabei kein schlechtes Gewissen?

Crutzen: Ich musste fliegen, leider. Ehrlich gesagt wollte ich mit dem Zug kommen, aber die Verbindung hierher nach Österreich war einfach zu schlecht und übermorgen werde ich schon wieder in Belgien erwartet. Beim Fliegen selbst habe ich aber kein schlechtes Gewissen. Das Ding fliegt, ob mit mir oder ohne mich.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Zur Person Er wurde Chemiker, um viel Geld zu verdienen Im Gymnasium lagen ihm Sprachen mehr als Chemie. Den Ausschlag, von humanistischen Fächern abzusehen, gab das Argument: "Hier ist wenig zu verdienen!" Der gebürtige Niederländer Paul Crutzen (66) hat nicht nur in Bezug auf seinen Lebenslauf ein Faible für ungeschminkte Tatsachen: 1971 wies er als Erster den menschlichen Einfluss auf die Ozonschicht nach. Für seine Forschungen über das Ozonloch erhielt Crutzen 1995 zusammen mit zwei Amerikanern den Nobelpreis für Chemie.

1933 in Amsterdam geboren, lernte Tiefbauingenieur. Nach Abschluss des Studiums ging er mit seiner finnischen Frau nach Stockholm, arbeitete dort als Programmierer und studierte Meteorologie. 1968 promovierte er und forschte anschließend als Stipendiat an der Universität Oxford. Nach seiner Habilitation "Über die Photochemie von Ozon [...] und die Verschmutzung der Stratosphäre durch Überschallflugzeuge" im Jahr 1973 arbeitete er am "National Center for Atmospheric Research in Colorado". Seit 1980 ist er Direktor der Abteilung Chemie der Atmosphäre des Max-Planck-Insituts für Chemie in Mainz. Paul Crutzen ist Vater zweier Kinder.

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