Traum und Wirklichkeit im Mondsand

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Im 17. Jahrhundert entwickelte ein Freigeist in Frankreich abenteuerliche Fantasien. Im Romanwerk "Reise zum Mond und zur Sonne" (1655 posthum erschienen) beschrieb Savinien de Cyrano de Bergerac einen Flug ins Weltall. Er ermöglicht eine Expedition zu den Bewohnern des Mondes: Diese ernähren sich von Düften, zahlen in Oden und Sonetten, und nutzen ihre langen Nasen als Sonnenuhr. Für den aufmüpfigen Schriftsteller war der Mond ein idealer Ort fernab der weltlichen und kirchlichen Macht, wo man launisch (frz. "lunatique") und verrückt (engl. "lunatic") philosophieren kann, etwa über Atheismus oder Sexualität. Kein Wunder, dass sein Werk aus Angst vor Zensur damals nur verändert und verkürzt herausgegeben wurde. Cyrano de Bergerac, an dessen 400. Geburtstag 2019 zu erinnern ist, gilt heute als einer der ersten Science-Fiction-Autoren. Der Vordenker der Aufklärung artikulierte eine menschliche Sehnsucht, die offenbar tief in der Psyche des Menschen verwurzelt ist -die Reise zum Mond.

Unermessliche Weiten

Im 20. Jahrhundert machte es das Kino möglich, diesen Traum in konkreten Bildern zu imaginieren. Bereits 1902 drehte der Stummfilm-Pionier Georges Méliès den 16-minütigen Streifen "Die Reise zum Mond", der heute als urtypischer Science-Fiction-Film gewürdigt wird. Darin gelangt eine bemannte Raumkapsel mittels einer wuchtigen Kanone auf den Mond. Seitdem ist das Thema aus der Filmgeschichte nicht mehr wegzudenken. 1929 ließ der Filmvisionär Fritz Lang in "Frau im Mond" ein paar Astronauten in eine Raumkapsel steigen, um die lunaren Landschaften zu erkunden. Und wieder ein paar Jahrzehnte später drehte US-Regisseur Stanley Kubrick den vielleicht bis heute ultimativen Weltraumfilm. "2001: Odyssee im Weltraum" beeindruckte 1968 mit Spezialeffekten und philosophischem Tiefsinn.

Auch ein junger Popmusiker mit schüchternem Habitus und seltsamem Auftreten war davon begeistert: David Bowie. Nachdem er den Film gesehen hatte, schrieb er das Lied "Space Oddity", in dem die Geschichte eines fiktiven Raumfahrers erzählt wird: Major Tom antwortet nicht mehr auf die Anweisungen der Bodenstation und lässt sich schließlich allein durch das Weltall treiben -ein zeitgemäßes Bild für den Status des Außenseiters und das Gefühl der Dissoziation, das den britischen Künstler damals noch plagte. In den psychedelischen 1960er-Jahren war dies ein ebenso treffendes Bild für den (sub-)kulturellen Wunsch, innerlich abzuheben und heroisch in die unermesslichen Weiten des Bewusstseins vorzudringen.

Astronauten und Psychonauten

In der Zwischenzeit war die Realität aber nicht mehr weit von den künstlerischen Fantasien entfernt. In der Zeit des Kalten Kriegs hatten die beiden Supermächte ein "Space Race" entzündet und strebten danach, auch im Weltraum die Nase vorne zu haben. In den USA hatte Präsident John F. Kennedy 1961 angekündigt, noch vor dem Jahr 1970 Menschen auf den Mond zu bringen. Das war der Startschuss für die Planungen der "Apollo"-Mission, die ein unglaublich ambitioniertes Projekt verfolgte. Denn die Technologien dafür mussten erst einmal entwickelt werden. Man benötigte eine neue Großrakete, die in der Lage war, das eigentliche Raumfahrzeug in die Mondumlaufbahn zu bringen. Dort musste ein Landefahrzeug ab-und wieder angekoppelt werden.

Die NASA hielt sich an den ehrgeizigen Zeitplan. Kennedy selbst sollte die erfolgreiche Umsetzung dieses Vorhabens nicht mehr erleben, doch am 20. Juli 1969 war es soweit: Im Zuge der Mission "Apollo 11" landeten mit Neil Armstrong und Edwin Aldrin die ersten Menschen auf dem Mond. Der dritte Astronaut, Michael Collins, hielt die Stellung im "Apollo"-Mutterschiff, das einstweilen den Erdtrabanten umkreiste. Ein paar Stunden später, am 21. Juli gegen vier Uhr früh (MEZ), betrat Neil Armstrong als erster Mensch lunaren Boden und sprach den berühmten Satz: "Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit." Die BBC übertrug das Ereignis im Fernsehen und unterlegte die Mondlandung mit der schillernden Musik von David Bowies "Space Oddity"; ein Song, der kurz zuvor als Single veröffentlicht worden war. Im Radio hingegen übte man noch Zurückhaltung, bis die US-Mannschaft sicher auf die Erde zurückgekehrt war. Das war erst dann der Fall, als die Astronauten an Bord einer hitzebeständigen Eintrittskapsel aus dem Ozean geborgen wurden. Die Weltraum-Mission war erfolgreich; Bowies Musik strömte aus allen Kanälen. Sie wurde zum Soundtrack für Astronauten wie Psychonauten.

Mit der Mondlandung hat die Raumfahrt einen kräftigen Schub erhalten - auch wenn es nicht vermeidbar war, dass auch hierzu bald eine Verschwörungstheorie in die Welt gesetzt wurde: Demnach hätte die US-Regierung das Ereignis in den Hollywood-Studios lediglich vorgetäuscht, und ausgerechnet Stanley Kubrick hätte dabei Regie geführt. Doch das "Apollo"-Programm sorgte in den nächsten Jahren verlässlich dafür, dass noch fünf weitere Mondlandungen durchgeführt werden konnten. Bis heute haben zwölf Menschen, allesamt US-Amerikaner, ihre Füße auf den Mond gesetzt. Und der historische Moment von 1969 wurde heuer selbst Stoff für das Kino: Im Film "Aufbruch zum Mond" beleuchtet Regisseur Damien Chazelle das Leben des Weltraumhelden Neil Armstrong, der 2012 im Alter von 82 Jahren verstorben ist (vgl. FURCHE Nr. 45/2018).

Kolonisierung des Weltraums

Heute ist der Mars der neue Mond: Die große Vision der Raumfahrt zielt darauf ab, Menschen erstmals auf den roten Planeten zu bringen. Nicht nur staatliche Institutionen wie die NASA, auch private Unternehmer wie Space-X-Gründer Elon Musk wollen die bemannte Reise zum Mars in absehbarer Zeit ermöglichen - ein Flug, bei dem man im günstigsten Fall 56 Millionen Kilometer zurücklegen muss und gegen den die mittlere Entfernung zum Mond (384.000 Kilometer) wie ein Katzensprung anmutet.

Doch auch die Reise zum Mond ist wieder im Visier von ambitionierten Raumfahrtprogrammen, in den USA, Russland und Europa ebenso wie in China, Indien, Japan, Israel und Südkorea. Unter Präsident Trump will die NASA im Jahr 2021 mit Robotern dorthin zurückkehren; 2024 sollen Astronauten an Bord des Raumschiffs "Gateway" folgen. Die chinesische Regierung hat kürzlich eine Sonde ins All geschickt, die erstmals auf der schroffen Rückseite des Mondes landen soll. Bis 2030 soll dann endlich auch ein Chinese seine Füße auf den Erdtrabanten setzen. Chinas ehrgeiziges Raumfahrtprogramm dient nicht nur der Wissenschaft, sondern verfolgt auch militärische Interessen. Militärexperten in China betonen immer wieder, dass künftige Kriege im All gewonnen werden.

Die europäische Raumfahrtorganisation ESA bereitet indes eine Robotermission zum Mond vor, um in weiterer Folge eine menschliche Mondmission durchzuführen. Zudem hat ESA-Chef Jan Wörner mit der Idee eines "Moon Village" für Aufsehen gesorgt. Japanische Wissenschaftler wiederum haben einen lunaren Lavatunnel im Visier, der Forschern künftig als "Mondhotel" dienen könnte.

Mondbewohner sind zwar weiterhin Science-Fiction, doch die Kolonisierung des Weltraums wird immer stärker diskutiert. Bleibt zu hoffen, dass dies ein Forschungs-und Freizeitprojekt wird -und nicht der letzte Ausweg angesichts eines zunehmend ungemütlichen Planeten.

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